Weltwirtschaft

Gas-Deal mit Putin: Fällt Aserbaidschan als EU-Alternative weg?

Lesezeit: 4 min
25.11.2022 14:13  Aktualisiert: 25.11.2022 14:13
Aserbaidschan wurde von der EU als mögliche Gas-Alternative verkauft. Russische Gaslieferungen an Aserbaidschan werfen für Europa nun Fragen auf.
Gas-Deal mit Putin: Fällt Aserbaidschan als EU-Alternative weg?
Russlands Präsident Wladimir Putin und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev. (Foto: dpa)
Foto: Alexander Zemlianichenko / Pool

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Im Juli sah das Verhältnis der EU zu Aserbaidschan noch rosig aus. Man unterzeichnete einen Vertrag mit Baku über die Verdopplung der Gasimporte auf mindestens 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ab 2027. Aserbaidschans Energieminister verkündete im September stolz, dass sich das Gesamtvolumen der Gas-Lieferungen nach Europa auf 12 Milliarden Kubikmeter beläuft.

Seit dem 15. November hat Aserbaidschan laut der unabhängigen Nachrichtenorganisation Eurasianet mit dem Import von Gas aus Russland im Rahmen einer Vereinbarung begonnen, die Baku in die Lage versetzen soll, seinen eigenen Inlandsbedarf zu decken, die jedoch ernste Fragen hinsichtlich seiner im Juli getroffenen Vereinbarung zur Steigerung der Exporte nach Europa aufwirft.

Aserbaidschan will Versorgung von Gaskunden sichern

Der staatliche russische Gasproduzent und -exporteur Gazprom gab laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax am 18. November bekannt, dass er am 15. November mit den Gaslieferungen an die staatliche aserbaidschanische Gasgesellschaft SOCAR begonnen habe und bis März 2023 insgesamt bis zu einer Milliarde Kubikmeter liefern werde. Weder das aserbaidschanische Energieministerium noch SOCAR antworteten auf Fragen von Eurasianet nach einer Bestätigung der Vereinbarung, deren Einzelheiten unklar bleiben.

In einer Erklärung an die aserbaidschanische Nachrichtenagentur APA sagte SOCAR, dass das Unternehmen seit langem mit Gazprom zusammenarbeite und dass die beiden Unternehmen „versuchen, ihre Infrastruktur zu optimieren, indem sie den gegenseitigen Austausch von Gasströmen organisieren.“

Die Vereinbarung wurde kurz vor der winterlichen Nachfragespitze unterzeichnet, da Aserbaidschan bestrebt sein wird, die Versorgung seiner inländischen Gaskunden aufrechtzuerhalten und gleichzeitig seinen Exportverpflichtungen gegenüber Georgien und der Türkei sowie seinem kürzlich erweiterten Handel mit Europa nachzukommen. Die Exporte nach Europa über den südlichen Gaskorridor sollten in diesem Jahr 10 Milliarden Kubikmeter erreichen, doch im Rahmen des neuen, am 18. Juli unterzeichneten Vereinbarung mit der Europäischen Union erklärte sich Baku bereit, die Exporte auf 12 Milliarden Kubikmeter zu erhöhen.

Hält Aserbaidschan seine Zusagen ein?

Diese Erhöhung sollte Brüssel helfen, den Verlust russischer Gaslieferungen auszugleichen. Obwohl die Vereinbarung sowohl in Brüssel als auch in Baku hochgejubelt wurde, war nie klar, woher genau das zusätzliche Gas kommen würde. Probleme mit der Zusage traten laut Eurasianet bereits im September auf, als der aserbaidschanische Energieminister Parviz Shahbazov ankündigte, dass Aserbaidschan in diesem Jahr nur 11,5 Milliarden Kubikmeter nach Europa exportieren werde, ohne einen Hinweis darauf zu geben, warum das Exportziel gesunken ist. Auch woher diese bescheidenere zusätzliche Menge kommen soll, bleibt unklar.

Eine Quelle, die dem Konsortium nahe steht, dem das riesige aserbaidschanische Gasfeld Shah Deniz gehört, dass derzeit die gesamten aserbaidschanischen Gasexporte liefert, bestätigte Eurasianet, dass keine neuen Exportverträge abgeschlossen wurden und das Feld derzeit nur die zuvor vereinbarten 10 Milliarden Kubikmeter liefern soll.

Die Nachricht, dass Aserbaidschan in diesem Winter Gas aus Russland importieren wird, deutet darauf hin, dass Baku das russische Gas zur Versorgung des heimischen Marktes nutzen will, um Gas freizusetzen und seine Verpflichtungen gegenüber Brüssel erfüllen zu können. Die von der Europäischen Union gegen Russland verhängten Sanktionen gelten nicht für Aserbaidschan, dem es weiterhin freisteht, so viel russisches Gas zu importieren, wie es will. Die neue Vereinbarung widerspricht jedoch der politischen Absicht des Abkommens vom Juli, das speziell darauf abzielte, die nach Europa fließenden aserbaidschanischen Gasmengen zu erhöhen, um die Abhängigkeit der EU von russischem Gas zu verringern.

Hat Brüssel auf die falsche Gas-Alternative gesetzt?

Die Tatsache, dass ein Teil dieser Importe aus Aserbaidschan mit Hilfe Moskaus ermöglicht wird, deutet darauf hin, dass Brüssels Diversifizierungsbemühungen möglicherweise vergeblich sind, und das nicht nur auf kurze Sicht. Im Rahmen der im Juli unterzeichneten Vereinbarung erklärte sich Baku auch bereit, die Exporte über den südlichen Gaskorridor bis 2027 auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu verdoppeln - das ist das Maximum, das das bestehende Pipelinenetz transportieren kann.

Diese Steigerung wird teuer sein und einige Zeit in Anspruch nehmen, da sowohl neue Kompressoren an die bestehenden Pipelines angeschlossen werden müssen als auch umfangreiche Investitionen in die aserbaidschanischen Gasfelder getätigt werden müssen, um das erforderliche Gas zu fördern.

Bisher wurde noch keine Investitionsentscheidung für den Ausbau der drei Pipelines getroffen, die den südlichen Gaskorridor bilden, über den aserbaidschanisches Gas nach Europa transportiert wird, und es bleibt die Frage offen, woher die zusätzlichen 10 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr kommen sollen. BP bestätigte Anfang des Jahres, dass das riesige Gasfeld Shah Deniz, das es betreibt, nicht in der Lage ist, die gesamten zusätzlich benötigten 10 Milliarden Kubikmeter zu liefern.

Aserbaidschan verfügt zwar über einige andere kleine Gasfelder, aber auch deren Produktion dürfte nicht ausreichen, um Bakus Verpflichtung gegenüber Brüssel zu erfüllen, so dass die Aussicht besteht, dass Gas aus anderen Ländern der Region bezogen werden muss. Dies ließ die seit langem bestehende Hoffnung wieder aufleben, dass Aserbaidschan Gas von seinem Nachbarn auf der anderen Seite des Kaspischen Meeres, Turkmenistan, beziehen könnte. Turkmenistan verfügt über die sechstgrößten Gasreserven der Welt.

Turkmenistan als Alternative zu Aserbaidschan

Die Beziehungen zwischen Baku und Aschgabat haben sich in den letzten Jahren erheblich verbessert und gipfelten laut Eurasianet im Dezember 2021 in einem bahnbrechenden Drei-Wege-Gas-Swap-Abkommen mit dem Iran, in dessen Rahmen sich Turkmenistan verpflichtete, jährlich zwischen 1,5 und zwei Milliarden Kubikmeter Gas an den Nordosten des Irans zu liefern, während eine ähnliche Menge Gas aus dem Nordwesten des Irans nach Aserbaidschan geliefert werden sollte.

Diese Vereinbarung wurde weithin als seltenes und bemerkenswertes Beispiel regionaler Zusammenarbeit gefeiert und galt als mögliche kurzfristige zusätzliche Gasquelle für Europa. Der aktuelle Stand der Vereinbarung ist jedoch unklar. Aserbaidschans unerwarteter Bedarf an russischen Gasimporten lässt den Verdacht aufkommen, dass das Abkommen aufgrund der sich laut Eurasianet verschlechternden Beziehungen zwischen Baku und Teheran in die Brüche gegangen sein könnte.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, turkmenisches Gas nach Europa zu liefern. Türkische Beamte bestätigten laut Eurasianet im Juli, dass Ankara drei Optionen für den Transit von turkmenischem Gas prüft, das von Aserbaidschan über den südlichen Gaskorridor nach Europa geliefert wird. Eine dieser Optionen soll laut dem iranisch-amerikanischen Autor und Dozent für Energiefragen Rob Sobhani, ein von den USA unterstütztes Projekt sein, bei dem Gas, das derzeit aus einigen der kaspischen Ölfelder Aserbaidschans abgefackelt wird, an Land geleitet wird, von wo aus es exportiert werden könnte.

Da jedoch keine Fortschritte bei einer der möglichen Optionen zu verzeichnen sind, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Aserbaidschan - ebenso wie seine Verpflichtung, in diesem Jahr zwölf Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa zu liefern - auch sein Versprechen, die Exporte bis 2027 auf 20 Milliarden Kubikmeter zu verdoppeln, nicht einhalten kann.

Die Gaslieferungen von Russland nach Aserbaidschan stellen nicht nur die Vereinbarung im der EU mit dem Land im Juli in Frage. Angesichts der Unklarheit, woher Aserbaidschan genau das Gas für die EU-Vereinbarungen nimmt, stellt sich auch die Frage, wie man das LNG-Projekt, für welches man mit Rumänien im Oktober den Grundstein legte, realisieren will. Auch in diesem Fall ist unklar, woher das Gas welches Aserbaidschan über LNG-Terminals transportieren möchte, genau stammen soll. Es bleibt abzuwarten wie sich das Verhältnis zwischen Aserbaidschan und der EU entwickelt und ob das im Juli noch hochgelobte Land wirklich eine EU-Alternative zu russischem Gas sein kann.


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