Der Krieg in der Ukraine beschleunigt den wirtschaftlichen und geopolitischen Niedergang Deutschlands und der EU, während er die Position der USA, die nun „China als letztem großen verbleibenden Rivalen die Stirn zeigen“, stärkt. Wer von ihnen hat in diesem geopolitischen und geoökonomischen Zweikampf die besseren Karten? Auch hierzu äußert sich Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität Leipzig, im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Deutschland befindet sich in einer prekären Situation: Die Verbindungen zu Russland wurden gekappt, die Nordstream-Pipelines wurden gesprengt und die Energiepreise gehen durch die Decke. Kommt das nicht einem Wirtschaftskrieg gegen Deutschland gleich?
Gunther Schnabl: Die wirtschaftliche Lage Deutschlands hat sich aus drei Gründen seit Längerem verschlechtert. Erstens hat Deutschland mit dem Euro die geldpolitische Unabhängigkeit aufgegeben. Da sich die Europäische Zentralbank zunehmend einer Weichwährungspolitik zugewandt hat, wurde schleichend der Druck von den Unternehmen genommen, effizient zu wirtschaften. Das hat das Wachstum gebremst. Zweitens hat die europäische Finanz- und Schuldenkrise Deutschland in kostspielige Eurorettungsmaßnahmen gezwungen, die dazu beigetragen haben, dass die Infrastruktur vernachlässigt wurde. Drittens konnte Deutschland mit der Öffnung von Nordstream 1 zwar den aus der Eurorettung resultierenden Inflationsdruck dämpfen, es hat sich aber dadurch zu stark von Energieimporten aus Russland abhängig gemacht. Jetzt muss die Energie sehr viel teurer beschafft werden. Alle drei Faktoren sind zusammen mit überlasteten Sozialsystemen ein Problem. Das deutet darauf hin, dass die Lage maßgeblich selbst verschuldet ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Erweist sich der Euro also als ein Sprengsatz für die EU?
Gunther Schnabl: Der Euro ist eine Fehlkonstruktion, da die Eurostaaten sehr heterogen sind. Eine gemeinsame Geldpolitik funktioniert nicht, wenn unterschiedliche Teile der Währungsunion unterschiedlichen Konjunkturzyklen folgen, wie dies seit Euroeinführung der Fall war. Die Euroländer hatten zudem traditionell sehr unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Ausgestaltung der Geldpolitik. In Deutschland war die Deutsche Bundesbank unabhängig und auf Preisstabilität fokussiert. Die Banque de France und die Banca d’Italia trugen hingegen zur Finanzierung der Staatsausgaben bei, was mit hoher Inflation verbunden war. Während das Modell der Deutschen Bundesbank in den Europäischen Verträgen verankert wurde, haben die südlichen Euroländer seither an dem Umbau der EZB nach dem Muster der Banca d’Italia gearbeitet.
Die Eurokrise ist entstanden, weil die Geldpolitik der EZB zu expansiv war und die Finanzpolitiken der Euroländer nicht koordiniert waren. Mit der Krise begann die Abwärtsspirale. Deutschland sah sich gezwungen einer Geldpolitik nach italienischem Muster zuzustimmen, weil es den Euro erhalten wollte. Die EZB hat so zunehmend monetäre Staatsfinanzierung betrieben. Die Schuldenkontrollmechanismen wurden schrittweise demontiert. Bei steigender Staatsverschuldung geriet die EZB immer stärker unter Druck, Staatsanleihen zu kaufen, was das Wachstum geschwächt und die Ungleichheit erhöht hat. Hohe Staatsverschuldung zieht früher oder später Inflation nach sich, was das Vertrauen in die Währung erodiert. Es ist unklar, ob die EZB mit den jüngsten Zinserhöhungen eine Trendwende schaffen kann.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie sehen Sie angesichts dessen die Perspektiven der Europäischen Union?
Gunther Schnabl: Die Länder Europas sind nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich eng miteinander verbunden. Der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, der eng mit der Einführung der harten Deutschen Mark verbunden war, hat maßgeblich zum Wohlstand in Europa beigetragen. Ebenso wird ein wirtschaftlicher Abstieg Deutschlands, das noch immer der größte Nettozahler in der EU ist, Europa schwächen. Denn ein wirtschaftlich schwaches Deutschland wird es sich nicht mehr leisten können, anderen Ländern finanziell so stark unter die Arme zu greifen, wie es bisher der Fall war.
Bisher haben sich das rohstoffreiche Russland und die von Industrie- und Dienstleistungssektor geprägte Europäische Union wirtschaftlich gut ergänzt. Jetzt aber profitieren die USA davon, dass Deutschland und andere europäische Länder die Energie nicht mehr billig aus Russland, sondern teuer aus den USA importieren. Zudem können die USA auf Waffenkäufe aus Deutschland und der EU hoffen, was die Staatsverschuldung in der EU weiter nach oben treiben wird. Schließlich setzt die EU im Rahmen der sogenannten Taxonomie auf eine grüne Neuausrichtung der Wirtschaftsstruktur, die die marktwirtschaftliche Ordnung auf dem europäischen Kontinent nochmals stark schädigen wird. Aus all diesen Gründen wird die EU wirtschaftlich und politisch hinter den USA zurückfallen. Die geopolitische Stellung der USA wird gestärkt, die nun China als letztem großen verbleibenden Rivalen entschlossen die Stirn zeigen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es läuft also auf einen Zweikampf China gegen die USA hinaus?
Gunther Schnabl: Auch wenn die sogenannte „multipolare Weltordnung“ inzwischen in aller Munde ist, sehe ich trotzdem derzeit keinen ernsthaften Rivalen für die USA. Der Ukraine-Krieg scheint für Russland langwierig und teuer zu werden. Das wird die Lasten und die Unzufriedenheit der russischen Bevölkerung erhöhen. Und China wird die USA nicht als größte Wirtschaftsnation überflügeln. Das beeindruckende Wachstum zwischen 2001 und 2014 war maßgeblich durch die sehr lockere Geldpolitik der US-amerikanischen Zentralbank Fed und die damit verbundenen riesigen Kapitalzuflüsse nach China getrieben. Die daraus entstandenen Überkapazitäten in der Industrie und eine immense Immobilienblase haben das Land jedoch wirtschaftlich und politisch verwundbar gemacht. Die Immobilienblase ist seit längerem geplatzt und China hat alle Hände voll zu tun, die Folgen einzudämmen. Ich erwarte einen schleichenden wirtschaftlichen Abstieg des Reichs der Mitte wie er in Japan seit dem Platzen der Blasenökonomie seit Anfang der 1990er Jahre zu beobachten ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Rolle spielt der Dollar für die Geopolitik der USA?
Gunther Schnabl: Nach Ende des Zweiten Weltkriegs rückte der Dollar mit dem Bretton-Woods-System in das Zentrum des Weltwährungssystems. Charles De Gaulle und Valéry Giscard d’Estaing erkannten das exorbitante Privileg: Da sich alle Länder an der Peripherie des Bretton-Woods-System zu stabilen Wechselkursen gegenüber dem Dollar verpflichtet hatten, mussten sie US-amerikanische Staatsanleihen kaufen, wenn der Dollar unter Abwertungsdruck kam. So finanzierten sie den Vietnam-Krieg und große Sozialausgaben der USA mit. Während sich Deutschland und Europa Anfang der 1970er Jahre vom Dollar entkoppeln konnten, weil die Deutsche Bundesbank eine stabilitätsorientiertere Geldpolitik als die Fed verfolgte, hängt der Rest der Welt weiter am Dollar. Die BRICS-Staaten sind nicht glücklich darüber, dass sie seit der Jahrtausendwende über ihre Dollar-Bindungen Kriege und Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen der USA mitfinanziert haben. Allerdings fehlt eine Alternative. Eine globale Leitwährung hat einen hoch entwickelten Finanzmarkt im Rücken, wo Ersparnisse und Reserven angelegt werden können. Einen solchen gibt es in den BRICS-Staaten nicht. Der chinesische Finanzmarkt wird von einer kommunistischen Regierung reglementiert. Würden Sie dort Ihre Ersparnisse anlegen?
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Glauben Sie, dass die Finanzsanktionen, welche die USA und ihre Alliierten gegen Russland verhängt haben, etwa der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Netzwerk oder die Diskussion über eine Beschlagnahme russischer Güter, das Vertrauen in den US- Dollar und den Euro erschüttern wird und die Rolle des US-Dollars als Weltleitwährung gefährden kann?
Gunther Schnabl: Die größten und am weitesten entwickelten Finanzmärkte der Welt sind in den USA und im Vereinigten Königreich. Diese Vormachtstellung haben die USA für die Sanktionen gegen Russland genutzt, was Russland und seine Oligarchen stark getroffen hat. Deshalb steigt zwar der Anreiz für Russland, China und andere Länder ein alternatives Zahlungssystem und eine alternative Leitwährung aufzubauen, doch es fehlt das notwendige Vertrauen. Zwar dürfte unbestritten sein, dass auch die spätestens seit der Jahrtausendwende zunehmend lockere Geldpolitik der Fed das Vertrauen in den Dollar stark beschädigt hat. Allerdings gab es seit der Jahrtausendwende – im Gegensatz zu der Deutschen Bundesbank in den 1970er Jahren – keine Zentralbank mehr, die mit mehr Preisstabilität das Leitwährungsmonopol des Dollars herausgefordert hat. Der französische Plan, den Euro als zweite Weltleitwährung aufzubauen ist gescheitert, weil Frankreich den Euro zu einer Weichwährung gemacht hat.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Laufen wir auf einen Crash der westlichen Währungen zu? Stünde uns dann eine Währungsreform ins Haus?
Gunther Schnabl: Ob wir auf einen globalen Währungscrash zulaufen, dürfte davon abhängen, welchen geldpolitischen Kurs die Fed in den nächsten zwei Jahren verfolgen wird. Setzt sie ihren Zinserhöhungskurs fort, auch bei größeren Instabilitäten auf den Finanzmärkten, dann wird die führende Stellung des Dollars im Weltwährungssystem bestehen bleiben. Andere Länder wie Japan und Europa wären gezwungen mit Zinserhöhungen zu folgen, was einschneidende Staatsschuldenkrisen nach sich ziehen könnte. In diesem Fall sind Währungsreformen in Japan und Europa nicht ausgeschlossen. Kehren die USA und die anderen Industriestaaten zu den sehr expansiven Geldpolitiken einschließlich großer Staatsanleihekäufe zurück, dann würde sich der Vertrauensverlust in die Papierwährungen nochmals beschleunigen. Die Inflation würde weltweit weiter ansteigen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was würden anhaltend lockere Geldpolitiken für unsere bürgerlichen Freiheiten bedeuten?
Gunther Schnabl: Die weltweit zunehmend expansiven Geldpolitiken sind in den letzten zwei Jahrzehnten mit einem schleichenden Verlust der wirtschaftlichen Freiheit einhergegangen, da die Ausgabenspielräume der Staaten stark gewachsen sind und davon insbesondere große Unternehmen und Investmentbanken profitiert haben. Nach Hayek ist der Verlust wirtschaftlicher Freiheit immer auch mit dem Verlust persönlicher Freiheiten verbunden. Das macht mich zuversichtlich, dass es in den USA zu einer Währungsstabilisierung kommen wird, da dort das Bewusstsein für wirtschaftliche und persönliche Freiheiten stärker als in Kontinentaleuropa ausgeprägt ist. Zudem ist mit dem Bitcoin ein wichtiger Sanktionsmechanismus gegen inflationäre Papier-Währungen entstanden. Sollten die großen Zentralbanken ihre Währungen nicht stabilisieren, dann wird es große Ausweichbewegungen hin zum Bitcoin geben. Wenn die USA es nicht so weit kommen lassen wollen, werden sie ihren geldpolitischen Straffungskurs fortsetzen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wo sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands? Weiter im „amerikanischen Lager“? Oder ist Deutschland - global betrachtet - doch eher ein potentieller BRICS- Staat?
Gunther Schnabl: Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands basierte auf einer harten Währung. Nachdem diese verloren ist, versucht Deutschland sich an seine europäischen Partner anzulehnen, die dafür finanzielle Unterstützung erwarten. Da sich der deutsche Staat viele finanzielle Verpflichtungen aufgebürdet hat, hat Deutschland eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten unter den OECD-Ländern und hat zudem den Staatsanleihekäufen der EZB zugestimmt. Die Taxonomie der EU wird die wirtschaftliche Freiheit in Deutschland weiter stark einengen. Aus der Sicht der Unternehmen ist deshalb der wichtigste Partner die USA, die der größte und auch der weiterhin am wenigsten regulierte Markt sind. Es gibt zu den USA also als Partner keine Alternative.
Info zur Person: Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität Leipzig, wo er das Institut für Wirtschaftspolitik leitet. Sein Forschungsinteresse gilt den wirtschaftlichen Folgen der ultra-lockeren Geldpolitik auf der Grundlage der Arbeiten des Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek. Mehr Informationen finden Sie auf der Forschungsplattform „Nullzinspolitik und wirtschaftliche Ordnung“.