Politik

Wärmewende für die Überwachungsgesellschaft?

Lesezeit: 5 min
07.05.2023 10:00
Der Bundestag hat am 20. April das problematische Gesetz zum „Neustart der Digitali­sierung der Energiewende“ beschlossen. Werden bald nur noch digital kontrollierbare Heiztechnologien erlaubt sein?

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Kaum hat der Bundestag am 20. April das problematische Gesetz zum „Neustart der Digitali­sierung der Energiewende“ beschlossen, wird bekannt: Das Kabinett hatte be­reits tags zuvor den Entwurf des neuen Gebäudeenergiegesetzes verabschiedet, wonach ab 2024 nicht nur Öl- und Gasheizungen, sondern auch Heizungen mit „Biomasse“ für Neubauten verboten bzw. allenfalls bedingt erlaubt werden sollen. Eine Holzheizung würde künftig nur noch eingebaut werden dürfen, wenn sie mit einer Solaranlage kom­biniert und mit einem Staubfilter ausge­stattet wird. Angeblich tech­nologie­neutral und aus ökologischen Gründen zielt die Ampel-Regie­rung damit offenbar schlussendlich auf den immer perfek­teren Ausstieg aus fossilen und sogar aus nachwach­senden Brenn­stof­fen. Neben Kohle, Gas und Öl sollen also Scheit­holz und Hackschnitzel, jenes tra­di­tions­reiche Material zur Wärmeerzeugung, samt Pellets in Deutschland immer mehr der Vergangenheit angehören.

Diese in ihrer Vehemenz geradezu ideologisch anmutende „Wärmewende“ hat allerdings zahlreiche und schwer­wiegende Argumente gegen sich – zu viele, um sie hier auf- und aus­zuführen. Überhaupt drängt sich die Frage auf, was Argumente in dieser gesellschafts­poli­tischen Debatte noch zählen. Denn – so der Schweizer Philosoph Eduard Kaeser – die „Allianz von Big Scien­ce, Big Data und Big Industry ermutigt heute ein Vorwärtsstürmen, das das Nach­denken platt­ walzt.“ Stattdessen gilt es darauf aufmerksam zu machen, dass mit der zunehmenden Verdrängung und Ab­schaf­fung „fossiler“ und sogar auch nachwachsender Brenn­stoffe womöglich nicht nur CO2-Vermei­dung zwecks Klimaschutz im Zentrum ste­hen könn­te. Vielmehr zeichnet sich jetzt als freilich eher verborgenes Motiv auch die Ab­schaf­fung all jener Heizarten ab, die sich nicht irgendwie digital messen oder kontrollieren lassen.

Die am Ende der Fahnenstange nahezu allein noch erlaubten, aber keines­wegs unum­strittenen Wärmepumpen nebst Fernwärme-Technik und sonstigen Heiztechnologien werden ungefähr allesamt mit digita­len Strom- oder Wärme­zählern betrieben. Von daher drängt sich der Ver­dacht auf, dass die sogenannte Wärme­wende insgeheim das Digitalmo­no­pol stärken und da­mit der Per­fektio­nierung der Überwachungsgesellschaft dienen soll. Diese Ver­mu­tung hat einiges für sich: Der von Shoshana Zuboff in ihrem umfangreichen Bestseller identifizierte „Überwa­chungskapi­talis­mus“ schlägt hier zu.

Der damit ausgesprochene Verdacht hat nichts mit irgendwelchen Verschwörungsmythen zu tun. Viel­mehr beruht diese These auf analytischer Beobachtung der angeblich fort­schritt­lichen Regie­rungs­politik und logischer, freilich beunruhigender Schlussfolgerung. Elementare Tra­di­tionen und Bürgerrechte werden von einer rigorosen Verbotspolitik Schritt für Schritt – hübsch fort­schrittlich – kassiert. Die freiheitliche Gesellschaft ist im Zuge der „Zeitenwende“ nicht mehr das, was sie einmal war. Und sie lässt es mit sich machen, zumal all dies sich ja in geordne­ten, demokratischen Zusammenhängen abspielt. Dabei haben doch schon etliche Bücher aus­drücklich auf die Gefahr hingewiesen, dass die Digitalisierung in der Konsequenz dabei ist, die Demokratie auszuhöhlen – man denke hier nur an die einschlägigen Werke von Yvon­ne Hofstetter (2016), Christoph Kucklick (2016), Stephan Riss-Mohl (20117), Volker Böhme-Nessler (2018), Ulrike Guérot (2020), C. N. Nyder (2021), Byung-Chul Han (2021) und nicht zuletzt an mein Buch „Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion“ (2. Aufl. 2014).

2021 hat Gloria Rose in der „Zeitschrift für Technik­folgen­ab­schät­zung in Theorie und Praxis“ unter­strichen: „Demokratie lässt sich nicht so ein­fach digi­talisieren.“ Fast gleichzeitig hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärt: „Wenn es um die Sache der Demokratie geht, ist die digitale Revolution beides – Fluch und Segen, Chance und Gefahr“, um hinzu­zufügen: „Die Demokratie ist nicht irgendein Geschäftsmodell, kein analoges Relikt, reif für digitale Disruption.“ Einschlägige Gefahrenaspekte hat bereits 2014 der Anwalt und Journa­list Glenn Green­wald in seinem Buch „Die glo­bale Über­wa­chung“ heraus­ge­arbei­tet und ge­warnt, eine Kon­trolle über die ganze Gesellschaft sei im An­marsch, die zu­gleich Kon­formität und Angst fördere – womit eine „sehr ernst­hafte Bedro­hung für die Demo­kratie“ gege­ben sei.

Tatsächlich ist überall dort, wo die Digitalisierung Einzug hält, Kontrolle und Überwachung möglich – und wie oft wird das technisch Mögliche auch umgesetzt, ob öffentlich oder ge­heim! So hieß es in einem der letzten Songs von Udo Jürgens unter dem Titel Der gläserne Mensch (2014): „Zur Sicherheit – Lauschangriff! Wir wer­den voll überwacht: BND, NSA, wir alle stehen unter General­ver­dacht… Der gläserne Mensch – gefangen im Netz, gegen jedes Recht und Gesetz“! Solche Überwachung ist beispielsweise bei den digitalen Strom­zäh­lern möglich, mit denen die betreffende Energie sich zweifellos besser erfassen, steuern und verteilen lässt, die aber auch anderen Zwecken dienlich gemacht werden kann und anfällig für Cyberangriffe bleibt. Die Bro­schüre „Lauschangriff durch smarte Zähler – Informationen und Ratschläge zum häusli­chen Daten- und Strahlenschutz bei Strom- und anderen Zählern“ (2020) aus der Feder der Juristin Margit Krug ist diesbezüglich sehr aufschlussreich.

Nun kann man gewiss darüber streiten, ob der Effekt der digitalen Überwachungsmöglich­kei­ten oder der Klima­schutz das eigentliche Ziel der neuen Gesetzgebung aus Berlin darstellt – und wel­ches von beiden Neben- oder Haupteffekt ist. Verdächtig bleibt wie gesagt, dass viele Argumente für die gut gemeinten ökologischen Absichten der rigiden Verbotspolitik in­sofern wenig überzeu­gen können, als die real hierzulande und global erreichbaren Umwelt­ziele schwer­lich in angemessenem Verhältnis zu den geplanten Maßnahmen stehen und ent­spre­chend heftige Proteste hervorrufen – und dass die digitale Trans­formation als deren ideolo­gisch-poli­tisches Hauptziel ohnehin ein leitendes Interesse darstellt. Das Gesetz zum „Neu­start der Digitalisierung der Ener­gie­wende“ spricht ja schon in seinem Namen aus, worum es eigentlich geht – eben um die Digitalisierung der Energiewende und weniger um diese selbst.

Dabei ist die Digitalisierung als Leitprogramm mit all ihren Implikationen in Deutschland und weltweit alles andere als unumstritten. Das belegen zahlreiche Bücher, von denen ich übri­gens viele in zwei ausführlichen Sammelbesprechungen in der Theologischen Rundschau 2019 und 2022 vorgestellt habe; auch habe ich selbst über „Die digitalisierte Freiheit“ und den „Digitalen Turmbau zu Babel“ zwei einschlägige Bücher verfasst, die beide in 2. Auflage vorliegen. Die Problematik der digitalen Transformation besteht ja keineswegs nur in der sich etablierenden Überwachungskultur, sondern auch etwa in den Gefahren der Künstlichen Intel­ligenz. Eliezer Yudkowsky warnte als namhafter KI-Forscher in einem Kommentar des Time Magazine Ende März sogar: „Viele For­scher, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, dar­unter auch ich, gehen davon aus, dass das wahr­scheinlichste Ergebnis der Entwicklung einer übermenschlich intelligenten KI unter den gegenwärtigen Umständen darin besteht, dass buchstäblich jeder auf der Erde sterben wird.“ Immer mehr Sorgen bereiten zudem bekannt­lich international vehement zunehmende Cyber-Attacken – und nicht zuletzt die ökologischen Risi­ken der digitalen Revolution.

Wenn nun sogar das Heizen mit Holz – ein ganz urtümliches Wohnbedürfnis – zunehmend der digitalen Trans­forma­tion eingegliedert werden soll, indem im Endeffekt die dafür nicht infrage kom­menden Heizarten immer mehr eingeschränkt oder verboten werden, ist das ein dem Klima- und Naturschutz gewidmetes und doch unna­türlich anmutendes Vorhaben. Bleibt zu hoffen, dass die Dreistigkeit, mit der sol­che Pläne geschmiedet und umgesetzt werden, denn doch endlich breitere Schichten der Bevölkerung wach­rüttelt. Es geht hier nicht allein um das Herunterfahren von Heizen mit nach­wach­senden Rohstoffen, das ja zum Beispiel mittels Filter-Auflagen im Zaum gehalten werden könn­te, sondern um die fast schon totalitär anmutende Durchsetzung digital kontrollierbarer Technologien auf breiter Front.

Nachdem digitale Technologien bekanntlich narzisstische Tendenzen fördern, ver­wun­dert es nicht, wenn der laut Wolfgang Bergmann typisch narziss­ti­sche „Hang zur Tota­li­tät“ um sich greift und auch politisch immer mehr Gestalt annimmt. Der namhafte Psychologe Leon Wurmser hat gewusst: „Ab­solute Idealsetzung be­darf abso­lu­ter Ver­leugnung dessen, was nicht dazu paßt.“ Entspricht dem nicht unsere gegen­wär­tige Situation, dass bestimmte „grüne“ Ideale jetzt derart absolut ge­setzt werden, dass am Ende eben absolut verboten wird, was nicht dazu passt? Überzeugend sprachen die Journalis­ten Stefan Aust und Thomas Ammann bereits in ihrem Buch von 2014 von „Digitaler Diktatur“ als dem drohenden Endresultat des tech­no­logischen Fortschritts!

Der aktuellen Verbotspolitik eignet eine Radikalität, die gebotene Differenzierungen – etwa zwischen importiertem Plantagen-Holz für Pelletsheizungen und heimischem, in ökologisch sinnvollem Maß zu verwendendem Waldholz – zu sehr vermissen lässt und insofern kaum noch bürgerfreundlich geschweige denn freiheitlich anmutet. Gerade die „Wärme-Wende“, die auch noch das von Alters her gewohnte Heizen mit Holz auf die Dauer womöglich ganz verbieten wird, um vor allem die strombetriebenen Wärme­pumpen zu pushen, erweckt stre­ckenweise den Eindruck, als würde die Regierung den Bür­gerinnen und Bürgern kaum noch eigene Vernunftentscheidungen in diesen Dingen zutrauen. Dass sie damit nicht wenige vor den Kopf stößt, ja zum Teil in Verzweiflung stürzt, weil sie mit den sich abzeichnenden Zwän­gen in finanzielle und vielleicht auch baubiologische Nöte geraten, scheint die Verant­wortungstragenden wenig zu küm­mern. Ge­samtgesellschaftlich sind die Dinge jedoch längst nicht ausdis­kutiert. Gerade auch die Frage des natürlichen Heizens mit Holz hat noch einige Monate Debattenfrist, bis der vom Kabinett vorgelegte Gesetzesentwurf im Bundestag zum Beschluss ansteht.

Von Prof. Werner Thiede liegt eine neue Broschüre zum Thema vor:

„Im Namen des sogenannten Fortschritts. Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz- und Freiheitsrechte“ (pad-Verlag 2023, 72 S.; siehe auch www.werner-thiede.de).

Links zum Themenfeld des Artikels:

www.epochtimes.de/politik/deutschland/kabinett-verbietet-heizen-mit-holz-verband-bund-richtet-ungeheuren-schaden-an-a4239057.html

reitschuster.de/post/heizwende-fuenfmal-so-teuer-wie-habeck-beteuert/

vera-lengsfeld.de/2023/04/22/nicht-in-meinem-haus/

efahrer.chip.de/news/wenn-der-nachbar-genervt-ist-waermepumpen-ziehen-vor-gericht-oft-den-kuerzeren_1011803

www.die-tagespost.de/kultur/die-diktatur-der-dummen-art-229206

www.epochtimes.de/politik/deutschland/fdp-attackiert-gruene-planwirtschaftliche-regelungswut-und-ignorante-ueberforderung-der-eigentuemer-a4242525.html

www.die-tagespost.de/leben/glaube/kuenstliche-intelligenz-die-womoeglich-letzte-erfindung-art-232647

www.rubikon.news/artikel/digitale-weltverschmutzung

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/703009/Die-E-Gesellschaft-Wenn-Politik-Mensch-und-Natur-zunehmend-unter-Strom-setzt

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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