Weltwirtschaft

DWN Exklusiv - Daniel Stelter: Unser Geschäftsmodell steuert auf einen hausgemachten Niedergang zu

Lesezeit: 11 min
11.06.2023 08:49  Aktualisiert: 11.06.2023 08:49
Deutschland und Europa stehen schwere Zeiten bevor, sagt der Makroökonom und Strategieberater Daniel Stelter. Ein Gespräch über Epochenbrüche in der Weltwirtschaft, Margin Calls und den Weg in eine neue Planwirtschaft.
DWN Exklusiv - Daniel Stelter: Unser Geschäftsmodell steuert auf einen hausgemachten Niedergang zu
Deutschlands Geschäftsmodell gerät unter Druck - nicht zuletzt wegen der Politik der Bundesregierung. (Foto: dpa)

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Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. In Kooperation mit dem Handelsblatt produziert er Stelters Podcasts, außerdem betreibt er den Blog Beyond the Obvious. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Stelter, der Streit um eine Anhebung der Obergrenze in den USA hatte zuletzt ein Schlaglicht auf die hohen Schulden geworfen, die Staaten, Haushalte und Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten angehäuft haben. Relativ neu ist, dass die Zentralbanken nun die Leitzinsen erhöhen und damit die Refinanzierungsbedingungen verschärfen. Welche (langfristige) Wirkung haben diese Schuldenberge auf die Weltwirtschaft? Droht angesichts der geldpolitischen Wende ein Schulden-induzierter Crash im Weltfinanzsystem?

Daniel Stelter: Die Schulden haben eine ganz konkrete Wirkung auf das Wachstum der Wirtschaft. Wie ein Mühlstein liegen sie auf der Realwirtschaft, weil ein (im Zuge steigender Zinsen wachsender) Anteil des Einkommens (Private, Unternehmen) oder der Steuereinnahmen für den Zinsendienst aufgewendet werden. Am besten lässt sich das in Italien beobachten, wo die Regierung seit Jahren wirklich spart, aber eben das schwache Wirtschaftswachstum letztlich zu höheren Schuldenquoten führt.

Es ist zu befürchten, dass immer mehr Länder Italien ähneln, vor allem weil in den kommenden Jahren die bisher nicht ausgewiesenen Lasten für die alternde Gesellschaft offen zu Tage treten. Dann wird der Druck wachsen, die Schulden real zu senken. Über massive Steuererhöhungen oder Vermögensabgaben, über Pleiten (unwahrscheinlich) oder eben durch die Entwertung mit Hilfe der Inflation. Ich denke, die Verantwortlichen werden alles tun um letzteres zu versuchen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In den USA waren zuletzt mehrere große Regionalbanken kollabiert, die Schweizer Credit Suisse musste unter das Dach des Konkurrenten UBS flüchten. Warum wackeln die Banken derzeit? Werden sich die Spannungen im Bankensystem Ihrer Einschätzung nach zukünftig in weiteren Insolvenzen materialisieren?

Daniel Stelter: Ich denke nicht im großen Stil. Bei den genannten Banken handelt es sich um spezielle Situationen. Schwindet das Vertrauen, kommt es zu einem „Run“. Gelder werden abgezogen. Da kann eine Bank noch so solide sein, wenn alle ihr Geld zurück wollen, ist die Pleite unvermeidlich.

Jetzt wissen wir zwar, dass die Banken in den USA – aber auch Europa – auf erheblichen Verlusten sitzen, weil die Kurse der Wertpapiere in ihrem Bestand aufgrund der gestiegenen Zinsen gefallen sind. Am Ende der Laufzeit werden die Anleihen aber voll zurück gezahlt. Es wird also darum gehen, den Einlegern ein Gefühl der Sicherheit zu geben, dass es am Ende schon gut gehen wird. Genau das macht die Politik und die Notenbanken jetzt.

Ist damit alles gut? Nein, ich denke es gibt eine erhebliche Gefahr von Unfällen im Finanzsystem an anderer Stelle: Schattenbanken, Hedge Fonds, Private Equity....alle haben eine Party gefeiert, als Geld nichts kostete. Wo und wann es zu Turbulenzen kommt, weiß ich nicht. Aber ich halte sie für sehr wahrscheinlich.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben schon mehrfach auf das Phänomen des „Margin Calls“ hingewiesen. Können Sie uns erklären, worum es dabei geht und ob die Wahrscheinlichkeit solcher „Margin Calls“ im Zuge der Zinswende gestiegen ist?

Daniel Stelter: Nehmen wir an, Sie könnten sich eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die eine sichere Dividende von 10 Euro pro Jahr bezahlt. Setzen Sie für den Kauf nur Eigenkapital ein, erzielen Sie eine Rendite von 10 Prozent. Attraktiver wäre es, sich 100 Euro von der Bank zu leihen und gleich zwei Aktien zu kaufen. Gibt die Bank sich mit fünf Prozent Zinsen zufrieden, gehen 5 Euro an die Bank und 15 Euro bleiben bei Ihnen. Macht 15 Prozent Rendite.

In der Praxis dürfte die Bank noch großzügiger sein und sich mit nur 20 Prozent Eigenkapital zufrieden geben. Sie können sich also zu Ihren 100 Euro noch 400 Euro von der Bank leihen und fünf Aktien kaufen. Von den 50 Euro Dividende gingen dann 20 Euro an die Bank (5 Prozent auf 400) und Ihnen blieben 30 Euro! Eine Rendite von dreißig Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital. Man spricht vom Hebeleffekt (Leverage).

Das funktioniert aber nur so lange, wie die Papiere im Wert steigen und der Kreditgeber keinen Nachschuss auf das Eigenkapital („Margin Call“) verlangt. Kann man dann kein Geld nachschießen, muss nämlich verkauft werden. Auf dem Weg nach unten wirken Schulden dann als Brandbeschleuniger. Und hier sind wir beim Problem: sobald die Finanzierungskosten über der Wertsteigerung des auf Kredit gekauften Assets – Aktie, Immobilie, .... – liegen, droht der Kollaps. Der Auslöser kann eine plötzliche Krise sein, steigende Zinsen ebenso. Da die Notenbanken schon so aktiv waren und die Inflation sich als hartnäckig erweist, könnte so ein Margin Call schwer zu stoppen sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihren Podcasts und auf Ihrem Blog lassen Sie Stimmen zu Wort kommen, denen zufolge die Weltwirtschaft in den sechsten Kondratieffschen Zyklus eingetreten ist. Was sind Kondratieff-Wellen und was könnte es für uns konkret bedeuten, im sechsten Zyklus angekommen zu sein?

Daniel Stelter: Der russische Ökonom Nikolai Kondratieff hat in den 1920er Jahren lang laufende Wellen der konjunkturellen Entwicklung identifiziert, die seither nach ihm benannt werden. Diese laufen 50-60 Jahre und – so die These einiger Ökonomen – werden von grundlegenden Innovationen und den daraus entstehenden Industrien getrieben. An den Übergängen von einem alten zu einem neuen Zyklus drohen Krisen, wie beispielsweise die große Depression der 1930er Jahre. Gut möglich, dass wir uns gerade in einer solchen Übergangsphase befinden. Innovationen sind allgegenwärtig, ich denke an die Fortschritte in der Biotechnologie und der künstlichen Intelligenz. Ob diese die Basis für einen neuen Aufschwung legen werden, vermag ich nicht zu beurteilen. Wünschenswert wäre es, würde höheres Wachstum doch dabei helfen, mit der Schuldenproblematik umzugehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ein Wort zu den westlichen Aktienmärkten. Dort liegen die Kurse auf hohem Niveau, während sich die Anzeichen für rezessive Tendenzen in Europa und den USA verdichten. Wie erklären Sie sich die Abkopplung zwischen den Aktienmärkten einerseits und der Realwirtschaft andererseits?

Daniel Stelter: Die Börsen sehen keine Gewinnrezession und zugleich ein Ende der Zinserhöhungen bzw. baldige Zinssenkungen. Beides – stabile Gewinne und tiefere Zinsen – würden den Bewertungen Auftrieb geben. Das Risiko ist der doppelte Irrtum: die Rezession kommt doch, was angesichts der deutlich rückläufigen Wachstumsrate der Geldmengen ein durchaus realistisches Szenario ist. Und die Zinsen sinken nicht (so schnell), weil die Inflation sich als hartnäckiger erweist als erwartet. Ich persönlich habe mich damit abgefunden, dass die Märkte länger falsch liegen können.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In den Medien ist es ruhig um den Euro geworden. Sind die strukturellen Probleme der Eurozone, die ab 2010 zur Euro-Krise führten, nun behoben? Wie stellt sich der Zustand der Eurozone und ihrer Banken derzeit aus Ihrer Sicht dar?

Daniel Stelter: Die Medien sind ein schlechter Indikator, weil sie tendenziell pro-zyklisch agieren. Insofern könnte man aus der Ruhe auch schließen, dass die nächste Krise nicht mehr weit ist. Was den Euro betrifft: nichts wurde gelöst, alle Probleme wurden von der EZB mit massiven Interventionen unter den Teppich gekehrt. Die erhoffte Konvergenz der Wirtschaften der Mitgliedsländer des Euro fand nicht statt, im Gegenteil, Analysen auch des IWF zeigen eine zunehmende Divergenz.

Die Staaten betreiben eine autonome Finanzpolitik und die Notenbanken des Eurosystems stehen als Finanziers bereit. Die Target 2 – Konten wachsen weiter an und wir alle – als Steuerzahler und faktischer Eigentümer der Bundesbank – sind unfreiwillig einer der größten Gläubiger Italiens. Derweil setzen Italien, Spanien und vor allem Frankreich auf weitere Transfers zu ihren Gunsten und unsere Politik glaubt naiv, durch Großzügigkeit das europäische Projekt voranzubringen. Dabei lernt man schon in der Schule: Freundschaft kann man nicht kaufen.

Die anderen Staaten vertreten ihre eigenen Interessen konsequenter und das ist auch richtig so. Italien beispielsweise könnte sein Staatsschuldenproblem durch eine Besteuerung der privaten Vermögen problemlos lösen. Es ist aber einfacher, mehr Transfers zu fordern. Umso schlimmer, dass die Politiker die bei uns völlig überflüssigerweise Vermögensabgaben und – Steuern fordern, gleiches für Italien ausschließen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: EZB-Direktorin Christine Lagarde sagte vor Kurzem, dass die robuste Inflation weitere Leitzinsanhebungen erfordere. Warum ist die Inflation in Europa überhaupt so hoch? Wer sind die Leidtragenden der Entwicklung, wer profitiert davon?

Daniel Stelter: Die Ursache der Inflation ist einfach erklärt. Während der Corona-Krise haben die Staaten die Wirtschaft mit Transfers gestützt, viele Haushalte bekamen Geld. Zugleich war das Angebot gestört, Lieferketten funktionierten nicht mehr, Produktion war gestört. Die Folge: einer steigenden Nachfrage stand ein sinkendes Angebot gegenüber. Die Notenbanken haben die staatlichen Ausgaben faktisch finanziert, weil sie wohl davon ausgingen, dass es immer genug Angebot gibt, haben sie doch seit 2010 alles versucht um die Inflation nach oben zu bekommen, ohne Erfolg.

Letztlich war es wie der Abwurf von Geld aus dem Helikopter, den Milton Friedman empfohlen hat, um Inflation zu erzeugen. Hätten die Notenbanken auf die Entwicklung der Geldmenge geachtet, hätten sie es kommen sehen können. Nur tun sie das nicht mehr, weil sie über fast drei Jahrzehnte die Geldmengen steigern konnten, ohne Inflation in der Realwirtschaft. Was sie aber erzeugt haben ist Inflation bei den Vermögenswerten.

Nun wird es spannend sein, wie es weitergeht. Blickt man auf die Wachstumsraten der Geldmenge ist es gut möglich, dass es in den kommenden 12 Monaten zu einem deutlichen Rückgang der Inflation kommt, verbunden mit einer Rezession. Kommen dann noch Turbulenzen an den Finanzmärkten hinzu kann es gut sein, dass die Notenbanken dann nochmals heftig intervenieren, was zu einer Rückkehr der Inflation führen würde.

Strukturell erleben wir eine Zeitenwende, die für höhere Inflation spricht. Die Erwerbsbevölkerung schrumpft, wir erleben eine partielle De-Globalisierung und die Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Digitalisierung müssen steigen. Die Politik der gezielten Verteuerung von Energie tut ein weiteres dazu.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Deutschland, das sich in einer Rezession befindet, ist der mit weitem Abstand wichtigste Finanzier der EU – ein Klumpenrisiko für die Staatengemeinschaft?

Daniel Stelter: Eindeutig ja. Ohne ein starkes Deutschland kommt der Euro ins Strudeln, ohne ein starkes Deutschland wird die EU, die letztlich auf einem Wohlstandsversprechen basiert, in Schwierigkeiten kommen. Wir sollten uns nichts vormachen. Die Transfers aus Deutschland sind ein wichtiges Bindeglied.

Dabei kann ich es denn anderen Staaten nicht verübeln, wenn sie fassungslos auf uns blicken, wie wir mutwillig den eigenen Wohlstand beschädigen. Andererseits setzt die EU selbst auch auf die falschen Prioritäten und ist mit ihren ambitionierten Zielen gescheitert. Man denke an das in Lissabon im Jahr 2000 ausgerufene Ziel, der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt zu werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Wirtschaftsstandort Deutschland – so zeigen mehrere aktuelle Rankings – verliert im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit. Welches sind die zentralen Probleme, denen wir uns gegenübersehen und was sollte getan werden, um sie zu beheben?

Daniel Stelter: Die Rankings beschönigen noch die Entwicklung, weil die meisten dahinterstehenden Indikatoren vergangene Leistungen messen. Die Lage ist dramatisch. Wir haben mehr als 20 Jahre nicht ausreichend in das Land investiert, die Infrastruktur bröselt. Das Schulsystem sinkt ebenfalls seit langem im Standard und wir haben fast 3 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss. Die Digitalisierung kennen hiesige Behörden nur aus dem Kino. Zugleich haben wir durch „die dümmste Energiepolitik der Welt“, wie es das Wall Street Journal so treffend schrieb auch die höchsten Energiekosten der Industrieländer. Zeitgleich überbietet sich die Politik mit der Ankündigung weiterer Lasten, wie Vermögenssteuern oder -Abgaben, höheren Einkommens- und Erbschaftssteuern. Die Staatseinnahmen fließen aber überwiegend in den Konsum oder in das Ausland.

Was getan werden sollte? Nun, zunächst müssten wir eine Politik haben, die das erkennt und bereit ist es zu ändern. Doch die haben wir nicht. Wir haben stattdessen ein beschleunigtes „weiter-so!“. Wir schalten in der Energiekrise Atomkraftwerke ab, behaupten es gäbe keinen Strommangel, werfen Kohlekraftwerke an und planen unter dem Titel der „Energieeffizienz“ Gesetze, die zu so hohen Energieeinsparungen zwingen, welche die Wirtschaft um 14 Prozent schrumpfen könnte, wie das IfO-Institut vorrechnet.

Zugleich soll der durch diese Politik gestiegene Strompreis für energieintensive Unternehmen subventioniert werden, damit sie nicht schließen. Das kann man sich nicht vorstellen! Es wird mutwillig der Preis nach oben getrieben und dann müssen die Steuerzahler nicht nur die hohen Preise tragen, sondern auch noch Subventionen bezahlen!

Die grüne Transformation sorgt so nicht für ein „grünes Wirtschaftswunder“, sondern für den beschleunigten Niedergang des Landes.

Was wir brauchen, ist eine Agenda 2030, die den Staat und seine Institutionen modernisiert, die Bürokratie abbaut und das Land saniert. Ich gestehe, ich traue das den Verantwortungsträgern nicht zu.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Seit einigen Jahren mehren sich Verbote und immer restriktivere Vorgaben von Seiten der Politik, etwa das Verbot von Verbrennungsmotoren oder Habecks Ideen zum erzwungenen Heizungstausch. Steuern wir langsam auf eine Art grüner Kommando-Wirtschaft zu?

Daniel Stelter: Wir sind auf genau diesem Weg. Der Staat schwingt sich nicht nur zum allwissenden Planer und Entscheider über Gewinner und Verlierer an Stelle der Wirtschaft auf, er arbeitet auch systematisch an der Entmündigung von Bürgern und Unternehmen.

Neben den an Auflagen gebundenen Subventionen des Strompreises sollen in sogenannten „Klimaschutzverträgen“ Unternehmen bei dem Umbau zur Klimaneutralität unterstützt werden. Im Kern ist es aber nichts anderes als eine Gewinngarantie, die umgekehrt auch gedeckelt ist. Unternehmen können dann nicht mehr frei agieren, sondern sind faktisch Volkseigene Betriebe, ohne es offiziell zu sein.

Den Bürgern wird derweil über Steuern und Abgaben immer mehr von ihrem Einkommen weggenommen, um das Geld dann je nach politischem Ziel wieder als Transfers zurückzubekommen. Auch diese führt in die Unfreiheit.

Bleibt noch der Angriff auf das Eigentum durch immer mehr Vorgaben. Die sogenannte Heizungswende führt zu einem Wertverlust von Immobilien. Noch weiter gehen die Überlegungen der EU zur Gebäudeeffizienz. Die Unternehmensberatung EY hat vorgerechnet, dass es in Deutschland rund 3.000 Milliarden kosten würde, diese Vorgaben umzusetzen. Dem steht ein Wert der Wohngebäude ohne Grund und Boden von rund 6500 Milliarden gegenüber. Im Klartext: der Wert dieser Häuser wird um fast die Hälfte sinken. Da der Wert sehr unterschiedlich ist, je nach Standort, die Sanierungskosten aber überall anfallen, bedeutet das für viele Eigentümer, dass ihnen nicht mehr viel bleibt.

Ohne Vermögen, ohne die Möglichkeit über das eigene Einkommen frei zu verfügen – man denke auch an die Kontingentierung von Flügen oder die Beschränkung des Fleischkonsums – und ohne die unternehmerische Freiheit, die zu Innovationen führt, sind wir in der Tat auf dem Weg in eine neue Planwirtschaft. Wie das endet, kann man sich in Dokumentationen über den Zustand in der ehemaligen DDR im Jahr 1990 ansehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In der deutschen und europäischen Politik propagieren gewisse Kreise einen härteren Kurs gegenüber China, der auch Sanktionen beinhalten soll. Sollten die Europäer angesichts der wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung Chinas nicht eher auf Kooperation setzen?

Daniel Stelter: Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist kein Beweis dafür, dass Handel und Austausch an der Wahrscheinlichkeit von Kriegen nichts ändert. Die beiden Staaten haben schon seit Jahren immer weniger miteinander gehandelt. Ich denke schon, dass es dem Frieden dient, wenn man Handel treibt und gegenseitige Abhängigkeiten schafft.

Auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, dass wir uns in einigen Bereichen zu stark abhängig gemacht haben und es sinnvoll ist, Lieferketten zu diversifizieren. Nur grundsätzlich in Frage stellen, sollte man Handel nicht, sondern auf Kooperation setzen. Hier sehe ich eher das Problem, dass wir in Europa an Relevanz verlieren, weil wir verkrustet sind, auf die falschen Themen setzen und bei den Zukunftstechnologien nicht mithalten. Immer mehr werden wir nur noch zum Absatzmarkt für die chinesischen Produkte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie stehen Sie insgesamt betrachtet zum Thema Sanktionen? Hat der Westen mit diesem Instrument in den vergangenen Jahren Erfolg gehabt oder sich doch eher international zunehmend isoliert?

Daniel Stelter: Doch, Sanktionen wirken schon, auch gegen Russland. Nur müssen wir sehen, dass sie auch Gegenreaktionen bewirken. Zum einen hat das Einfrieren der russischen Devisenreserven den Trend beschleunigt, sich vom Dollar unabhängiger zu machen. Zum anderen ist Russland eine Rohstoff-Supermacht, und wenn diese sich nun ausschließlich an China, Indien und anderen BRICs-Staaten ausrichtet, ist das nicht unbedingt in unserem Interesse. Denn Sie haben mit Ihrer Frage schon einen Punkt: wichtige Länder der Welt teilen unsere Sicht der Dinge nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist Deutschlands Geschäftsmodell angesichts einer im Wandel befindlichen Weltordnung, in der sich neue Kraftzentren etablieren, in Gefahr?

Daniel Stelter: Das Geschäftsmodell steuert meines Erachtens auf einen strukturellen Niedergang zu. Dieser ist aber überwiegend hausgemacht, wie bereits diskutiert. Aber es stimmt. Konnten wir früher in einem ausgesprochen positiven Umfeld – Globalisierung, offene Märkte, Industrialisierung unserer Kunden, schwacher Euro – gute Geschäfte machen, so dreht sich das diametral um. Da wir die guten Jahre nicht genutzt haben, um in die Zukunftsfähigkeit des Landes zu investieren, stehen wir jetzt vor der Herausforderung, das Land zu sanieren und zugleich Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und das in einem Umfeld mit Gegen-, statt Rückenwind.

Da sich unsere Politik derweil nicht die Schaffung von Wohlstand zum Ziel setzt, sondern die Schmälerung von Wohlstand als unvermeidlich oder gar wünschenswert erachtet, ist die Gefahr groß, dass es nicht gelingt, den Niedergang noch zu verhindern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was sollten Bürger tun, um ihr Erspartes vor Inflation und drohenden Finanzkrisen zu schützen? Was gehört Ihrer Meinung nach in ein möglichst krisenresistentes Portfolio?

Daniel Stelter: Ich bin kein Anlageberater. Ich denke aber zwei Dinge sind klar. Die Inflation bleibt ein hartnäckiges Problem und Deutschland und die EU bleiben auf dem Kurs des relativen Niedergangs. Dies spricht für eine global diversifizierte Geldanlage in Aktien, Immobilien und Gold.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Stelter, ich danke Ihnen für das Gespräch.


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