Politik

Deutschland in der Matrix – wo ist Neo? Ein Plädoyer für das Grundgesetz

Lesezeit: 14 min
14.09.2023 09:29  Aktualisiert: 14.09.2023 09:29
Im Deutschland der „Zeitenwende“ werden die Menschen in einer politisch-medialen Matrix eingesperrt, die sie an ihrer Entfaltung zu freien Bürgern hindert, schreibt Bernd Liske in einer Kritik der aktuellen Zustände.
Deutschland in der Matrix – wo ist Neo? Ein Plädoyer für das Grundgesetz
Thomas „Neo“ Anderson (gespielt von Keanu Reeves, re.) setzt sich i, Kinofilm „Matrix Revolutions“ mit Agent Smith (gespielt von Hugo Weaving) auseinander (Szenenfoto). (Foto: dpa)
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Erinnert sich noch jemand an MATRIX: Den Film mit Keanu Reeves als Neo? Künstliche Intelligenz hat die Welt in ihren Besitz genommen, nutzt Menschen zur Energiegewinnung und hält sie in einer Simulation, um sie unter Kontrolle zu halten. Nur wenige Menschen – wie Morpheus und Trinity – leben noch in der Realität und versuchen, die Menschen zu befreien.

Neo – der nach einem Orakel der Auserwählte ist, der die Matrix besiegen wird – wird von Morpheus ausgebildet und darin belehrt, dass in der Scheinwelt der Matrix (physikalische) Gesetze durch reine Willenskraft gebeugt oder sogar gebrochen werden können.

Gedankliche Flächenbombardements

Spätestens seit der „Zeitenwende“ ist unübersehbar, wie sich Deutschland in einer Simulation befindet. Quasi über Nacht wurden – lange entwickelte – Programme gestartet, die das Land auf einen Kampf gegen Russland ausrichteten. Schritt für Schritt fielen jegliche Hemmungen, Russland durch Sanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine in die Knie zwingen zu wollen. Parallel dazu hat entfaltete sich eine von Russophobie und Demagogie geprägte Hetze, die zum bestimmenden Merkmal medialer und politischer Äußerungen im Deutschland der „Zeitenwende“ geworden ist.

Da haben wir zunächst die Sanktionspakete, die schon bevor der erste Schuss in der „Zeitenwende“ fiel, aus Brüssel abgefeuert wurden und zeigten, dass in den Sanktionssilos die Sprengköpfe längst montiert und die Raketen aufgetankt waren, so dass der Countdown jederzeit ausgelöst werden konnte.

Parallel dazu kam es wie in den Kriegen im Irak und in Jugoslawien zu Flächenbombardements. Hier ging es jedoch nicht um die Zerstörung der Wasser- und Energieversorgung sowie anderer kritischer Infrastrukturen von Land, Wasser und Luft aus: Nein, die Flächenbombardements dieses Kriegs neuer Art erfolgen durch die mediale Artillerie in den gedachten Raum der Bevölkerung mit dem Ziel, eine verbrannte, russophob geprägte, monokulturelle Verblödungs-Erde zu hinterlassen, um so den Sanktionen und weiteren in der Folge ausgelösten Maßnahmen den gefahrlosen Weg zu ebnen.

Das Konzept des Network Centric Warfare 4.0 findet seinen Weg in den gedachten Raum, aus dem es in den realen Raum wirkt und der Ukraine-Krieg ist ein Testbed für diese neue Qualität vernetzter Operationsführung, in der die Sanktionen und die Medien als fünfte und sechste Teilstreitkraft wirken: Ein Testbed auch dafür, wessen und welcher Qualifizierung es noch bedarf, um China zu überdehnen.

Die Folgen dieser politischen Ausrichtung – dauerhaft steigende Energiekosten, Inflation, Rezession, an Fahrt aufnehmende Deindustrialisierung und Insolvenzen, Verarmung, exponentielle Steigerung der Militärausgaben bei parallel sich vollziehenden Einsparungsanstrengungen in so gut wie allen anderen Bereichen, generell Militarisierung der Gesellschaft, vielfältige Spaltungen in der Gesellschaft – werden nur unterschwellig diskutiert und mit anderen Ursachen begründet.

Warum die AfD Zulauf erhält

Da wundert es nicht, dass sich viele Menschen, die noch in der Lage sind, die Realitäten wahrzunehmen – aber nicht unbedingt erfahren darin sind, sich ihnen substanziell zu stellen – der AfD zuwenden und es spricht gegenwärtig einiges dafür, dass es dieser bei einer der nächsten Wahlen gelingt, als stärkste Kraft hervorzugehen.

Anstatt politisches Versagen für diese Entwicklung zum Anlass zu nehmen, tiefgreifendere Analysen zu erstellen, zukunftsweisende nachhaltige Konzepte zu entwickeln und die eingeschlagenen Pfade zu verlassen, bestimmen bei den etablierten Parteien und dem Verfassungsschutz Verdrängung, Schuldzuweisungen und substanzlose Ideen die Bewältigungsbemühungen und verstärken diese Entwicklungen.

Primär ist dabei das Bemühen, die Verfassungsfeindlichkeit der AfD permanent durchs Dorf zu treiben und dabei – wie schon im Zusammenhang mit der Querdenker-Bewegung in der Pandemie – jegliches alternative Denken durch Zuordnung zu diffamieren. Der Verantwortung, das so zu formulieren, bin ich mir – so meine ich – sehr wohl bewusst: Und ansonsten an Reizen interessiert, an welchen Stellen mein Nachdenken unzureichend ist.

Aber, wie die Bundesrepublik Deutschland kein reaktionärer Staat ist, weil es in seinen Parlamenten reaktionäre Abgeordnete gibt, so ist die AfD – wenn auch in einem anderen Maß – keine reaktionäre, verfassungsfeindliche Partei: In beiden Fällen ausreichende Substanz voraussetzend, dass diese Kräfte keine substanzielle Macht erlangen. Dafür, das so zu betrachten, gibt es zwei wesentliche Gründe.

Die AfD als verfassungsfeindlich abzustempeln, ist weniger Ergebnis einer umfassenden Analyse aller Teile und Absichten der Partei, sondern die Entnahme von den Absichten dienenden – und in der AfD festzustellenden – Aspekten aus der Gesamtheit der diese Partei beschreibenden Merkmale zum Zwecke, diese damit weniger aufgrund ihrer Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, als vielmehr die sich ihr zunehmend nähernde Wählerschaft zu verunsichern und darüber hinaus das eigene Versagen zu kaschieren, dieser eine Zukunftsperspektive bieten zu können, mit der man sie an sich binden kann.

Diese Wählerschaft von in manchen Regionen inzwischen über 30% ist es auch, die es geradezu verbietet, die gesamte AfD als verfassungsfeindlich zu diffamieren, weil damit implizit entweder die Unmündigkeit der Bürger oder/und ihre Verfassungsfeindlichkeit behauptet wird: Wohlgemerkt, von 20 bis 30% der Gesamtbevölkerung – noch dazu primär im Osten.

Eine verlogene Debatte erschließt sich auch daraus, dass wir parallel zu dieser Diskussion einem menschenverachtenden Regime Presse und möglicherweise TAURUS-Marschflugkörper geben, das die Russen als „Orks“ bezeichnet, zum Tod von wohl vergifteten russischen Offizieren meint, „Unsere Leute sagen mit einem Lächeln: 'Ratten brauchen immer Gift'. Der Tag beginnt mit guten Nachrichten“ und dessen erklärte Absicht die „Entgiftung“ der Krim und damit der Massenmord ist.

Ein anderer Punkt kommt hinzu und er ist für mein Nachdenken noch wesentlicher, wie unserem Land und seiner Bevölkerung eine nachhaltige Zukunft gesichert werden kann. Ein solches Ziel vor Augen zu haben und sich um Ideen wie auch Konzepte zu bemühen, die dem dienlich sind, setzt voraus, die primären Faktoren zu identifizieren, mit denen eine Lage beschrieben und eine Entwicklung provoziert werden kann, die dem dienlich ist. In meinen Aphorismen für die Menschwerdung des Affen bin ich schon auf einige grundlegende Aspekte eingegangen.

Das Versagen der Eliten

Wenn ich unterhalb dieser Betrachtungen nach weiterem suche, dass nachhaltigen Entwicklungen im Weg steht, so ist das auf keinen Fall die Verfassungsfeindlichkeit von Teilen der AfD, sondern das moralisch-ethische Versagen der intellektuellen Ober- und Mittelschicht unseres Landes – die sich primär in der gesellschaftlichen Mitte bewegt.

Zu ihr gehört die politische, mediale und wirtschaftliche Elite unseres Landes – wobei man sich insbesondere bei letzterer wundert, dass sie die Vernichtung der Randbedingungen, die ihren wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahre so maßgeblich mitbestimmt haben, so klaglos hinnimmt und es mag daran liegen, dass sie einen Spieler im Raum sieht, vor dem Sie meint, zu Kreuze kriechen zu müssen und im Übrigen sich in eine Lage manövriert hat, in der sie nur noch selten souverän entscheiden kann.

Zu ihr gehört auch der Verfassungsschutz, der sein Wirken für das Grundgesetz auf seine Auseinandersetzung mit linker und rechter Verfassungsfeindlichkeit beschränkt und ignoriert, wie diese durch Versagen genährt wird, das aus der Mitte erwächst.

Aus diesem Blickwinkel ist die AfD nur eine Folge dieses Versagens. Beim Tanz um das goldene Kalb und dem beginnenden Kampf um einen Platz auf der Arche fallen in allen gesellschaftlichen Bereichen – global, national, unternehmerisch, politisch, privat – zunehmend alle Hemmungen und dominiert der Eigennutz gegenüber dem Gemeinnutz. Schweigen, fehlende Achtung, Willkür, Zensur, Betrug und die in der „Zeitenwende“ verstärkten Eigenschaften Hass, Menschenverachtung, Demagogie und Gehorsam sind Kategorien für etwas, was hier nicht weiter differenziert betrachtet werden kann und Zeugnis davon ablegt, dass in unserer Gesellschaft die Schlauheit die Klugheit dominiert (1, 2) – und unterdrückt.

Die AfD wird zum Auffangbecken derer, die bei diesem Treiben, bei dem das Recht des Stärkeren wirkt, auf der Strecke bleiben, es in diesem Klima von Heuchelei nicht mehr aushalten oder der Simulation entfliehen, weil eine andere Simulation stärker auf sie wirkt. Wenn insofern vor den Folgen des Erstarkens der AfD für den Wirtschaftsstandort Deutschland gewarnt wird, so wird damit verdeckt, dass diese gesellschaftliche Haltungen zwar neben deren Erstarken vielen Menschen in Deutschland ein schönes Leben ermöglichen – weil sie dem Establishment ihr Treiben schweigend zugestehen oder ihre willfährigen Claqueure und Scharfmacher sind –, die genannten Haltungen aber kein gutes Klima für Kreativität, die Durchsetzung bahnbrechender Innovationen und die generelle Resilienz gegen die Herausforderungen unserer Zeit sind.

Wenden wir uns am Beispiel dreier Zeitgenossen einer weiteren Kategorie zu, die aus einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren wie Verdrängung, Selbstbetrug und Betrug erwächst – vielleicht Realitätsverweigerung genannt werden kann – und zeigt, dass die politische Elite Deutschlands Teil dieser Simulation abseits der Realität ist.

Steinmeier: Demokratie als Geschichte

Da hat am 10. August zunächst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Rede den Verfassungskonvent gewürdigt, der vor 75 Jahren am Herrenchiemsee als Zusammenkunft von Politikern, Beamten und Wissenschaftlern stattfand und dessen Ergebnis ein Text war, der als Vorlage für das ein Jahr später in Kraft getretene Grundgesetz diente.

Für das Gesetz soll das Volk kämpfen wie für seine Mauer. - Heraklit von Ephesos (etwa 540 – 480 v. Chr.), vorsokratischer Philosoph

Mit dem Ende der Rede zu beginnen, ist hilfreich, um ihren sehr beschränkten Sinn zu verstehen, denn der Bundespräsident bringt zum Ausdruck, der Tag des Dankes an den Verfassungskonvent wäre ein Tag der Selbstverpflichtung, zu der die Erinnerung an den Herrenchiemsee und ein „bleibendes Kapitel deutscher Demokratiegeschichte“ gehöre und dazu wünsche er der vergrößerten Ausstellung viele Besucher. Mit dieser Einordnung des Verfassungskonvents in die deutsche Erinnerungskultur verkommen die damaligen Bemühungen zu einer schönen Geschichte, bei der unklar bleibt, ob die damaligen Bemühungen heutzutage noch irgendeine Bedeutung haben.

Worte beschreiben Werte.

Ihr Gewicht entblößt sich durch Handlung.

Hat der Bundespräsident also zum Beispiel recht, wenn er meint, in unserem Staat würden „Freiheit und Demokratie und Recht unser Zusammenleben bestimmen“ und das Grundgesetz würde die Grundlage dafür sein? Aus meiner inzwischen recht umfangreichen persönlichen Erfahrung kann ich das nicht bestätigen und insbesondere muss ich zum Ausdruck bringen: Die Annahme, Deutschland wäre ein Rechtsstaat, ist eine Mär.

Die Wirksamkeit des Grundgesetzes und des Rechts wird nicht durch wohlfeile Worte an Feier- und Gedenktagen gewährleistet, sondern durch ihre permanente Nutzung in der Rechtsprechung. Das Recht wird nach meiner Wahrnehmung jedoch in den verschiedenen Instanzen nicht dafür verwandt, einen Sachverhalt aufzuklären und ihn dann entlang unseres von innerer Harmonie geprägten Rechts zu bewerten, sondern überaus sparsam dafür genutzt, eine Rechtsprechung zu legitimieren, die man entlang des Rechts nur als Willkür betrachten kann.

Wesentliche Erfahrungen, um mir zu erlauben, das zu behaupten, konnte ich mit verschiedenen Gerichten sammeln, als ich mich bemühte, mich gegen den Betrug, die Nötigung, den Verstoß gegen die guten Sitten und die Willkür des Finanzamtes Magdeburg zur Wehr zu setzen.

In Willkür – Einblicke in die deutsche (UN-)Rechtsprechung habe ich meine Erfahrungen mit den originalen Schriftsätzen dokumentiert. Sie weisen umfangreich nach, wie Richter in der Simulation unserer Demokratie das Grundgesetz und das Recht gewohnheitsmäßig beugen und brechen sowie sich gegenseitig legitimieren, so dass das Normal unseres Rechts durch die Normalität der Rechtsprechung nachhaltig beschädigt wird.

Wenn der Bundespräsident weiter meint, die demokratischen und juristischen Strukturen und Funktionen des Staates sollen dazu dienen, die Freiheit der Meinung schützen, so muss man ihm entgegenrufen: Sie mache es aber nicht. Die aktuellen Bemühungen um ein Gesetz gegen digitale Gewalt können dafür als Beispiel dienen.

Von seiner angedachten Ausgestaltung her ist es auch nach Ansicht des Deutschen Richterbundes überaus unpraktikabel. Inzwischen habe ich mich in einem Schreiben an Justizminister Marco Buschmann, einem weiteren Schreiben an Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und einem Artikel in den NachDenkSeiten recht umfangreich mit der Thematik beschäftigt und um Substanz wie auch Praktikabilität bemüht.

Diese Bemühungen blieben aber ohne relevante Reaktion. Wenn der Bundespräsident darauf hinweist, Das Grundgesetz spricht ja zuerst vom Menschen selbst – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und erst im zweiten Satz vom Staat: von dessen Verpflichtung, diese Würde zu achten und zu schützen. Das ist in ihrer Kürze und Prägnanz die wohl deutlichste Absage an alles, was vorher an Unmenschlichem in und durch den Staat geschehen war. so muss konstatiert werden, dass die Genannten – und selbst er – meine Würde und meine Bemühungen entwürdigen – ganz im Gegensatz zu seiner Bemühung, die „Menschwürde als Maxime allen staatlichen Handelns“ hervorzuheben.

Damit aber erweist sich ein anderer Aspekt permanenter politischer Thematisierung als leere Hülle ohne relevanten Wert: Bürgerschaftliches Engagement.

Insbesondere wurde aber auf einen Beitrag nicht eingegangen, an dem es dem bisherigen Gesetzentwurf mangelt, der aber von zunehmender Bedeutung ist: Er thematisiert nicht die Zensur. Seit ich ab Ende 2019 auf TWITTER unterwegs bin und mich zu einer Vielzahl gesellschaftlicher Probleme äußere, habe ich damit zu tun, dass TWITTER die Verbreitung meiner Tweets massiv einschränkt, aber auf der anderen Seite Hass- und selbst perverse Tweets priorisiert. Jede Bemühung, gegen diese exterritoriale Rechtsprechung ohne Vorwurf, ohne Anklage, ohne die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und selbst ohne Urteil vorzugehen – gegenüber TWITTER, der Bundesjustizministerin, der Polizei, der Staatsanwaltschaft –, war bisher ohne Erfolg, so dass ich davon ausgehen muss, dass die Zensur von politischer Seite legitimiert wird und sogar in ihrem Auftrag erfolgt, damit aber auch Art. 5 GG seines Wertes beraubt wird.

Allenfalls kann man dieses Herangehen mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus, als Verstöße gegen die „Beschränkungen des Rundfunkempfangs“ die Todesstrafe zur Folge haben konnten, als zivilisatorischen Fortschritt werten.

Indem „die demokratischen und juristischen Strukturen und Funktionen des Staates“ eben gerade nicht mehr „die Freiheit der Meinung, der Presse“ schützen, leisten sie destabilisierenden Entwicklungen in Deutschland Vorschub und werden zu einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Um so mehr wird damit aber die Bedeutung dessen deutlich, was die Väter des Grundgesetzes geleistet haben – und selbst daran, sich mit derartigen Entwicklungen auseinandersetzen zu können, haben sie gedacht. „Ein feste Burg ist unser Grundgesetz“, möchte man ausrufen, doch kommt man nicht darum herum, sich permanent zu mühen, ihre Stabilität zu sichern.

Habeck ist es egal

Gleichfalls am 10. August gab es ein Interview in DIE ZEIT, in dem Giovanni di Lorenzo die narzisstische Seele von Robert Habeck tätschelte und so eindrucksvoll in Szene setzte, als wäre er berufen, der Nachwelt für alle Zeit die Größe von Robert Habeck zu erhalten: Salbung durch gesalbte Worte – und unvergessliche Bilder. Es sind diese Worte und Bilder, mit denen die Menschen in Analogie zu der Computersimulation in MATRIX unter Kontrolle gehalten werden sollen: Sorgt euch nicht, stört mich nicht – ich kümmere mich und mache alles zu eurem Besten.

Unwidersprochen kann Giovanni di Lorenzo an eine Aussage vor fünf Jahren erinnern, die man quasi als grünes Postulat betrachten muss, wenn man berücksichtigt, dass auch Annalena Baerbock zum Ausdruck brachte, es wäre ihr egal, was ihre Wähler denken: Es ist mir im Grunde egal, was die Menschen denken. Hauptsache, wir einigen uns auf politische Projekte, die uns verbinden und mit denen wir die Zukunft in die Hand nehmen. Die Gedanken dürfen gern frei bleiben.

Die Einigung, von der Robert Habeck spricht, beschränkt sich auf Seiten der Wähler auf eine ausreichende Anzahl von Kreuzen an der Urne, in deren Folge er Projekte in die Hand nehmen und die Wähler deren Folgen tragen dürfen. Als Äquivalent dafür, dass die Menschen ihm freie Hand geben, dürfen sie denken, was sie wollen – er jedoch machen, was er will. Ganz in diesem Sinn versteht man dann auch besser, wenn er im weiteren Verlauf zum Ausdruck bringt, keine Probleme damit zu haben, mit Wählern der AfD zu sprechen: Auch sie dürfen denken, was sie wollen und ihm sagen, was sie wollen – aber es ist ihm egal.

Berücksichtigend, dass wesentliche Teile seines wirtschaftspolitischen Konzepts durch ein Netzwerk bestimmt werden, zu dem die AGORA Energiewende gehört, deren Finanzierung in beträchtlichem Maß durch amerikanisches Kapital erfolgt, ist die Frage legitim, wie frei er selbst mit seinen Gedanken ist.

Symptomatisch für die generelle politische Diskussion in Deutschland über Themen wie die hohen Energiepreise, die Inflation, die Rezession, die an Fahrt aufnehmende Deindustrialisierung und die steigende Anzahl von Insolvenzen ist die vollkommende Außerachtlassung der Sanktionen gegen Russland und die Entkoppelung von deren Rohstofflieferungen mit der Folge, diese nun weltweit sehr viel teurer einkaufen und sich abhängig machen zu müssen – nicht zuletzt von den USA als dem primären Treiber des Ukraine-Kriegs.

Die Ausblendung der Verantwortung dafür ermöglicht es sogar, die dann folgenden politischen Entscheidungen als eigenen Erfolg zu verkaufen – wobei es dafür noch notwendig ist, die mit diesen Entscheidungen verbundenen negativen Konsequenzen für die Wirtschaft und die Bevölkerung zu ignorieren. Wir haben eine Energiekrise und eine Gasmangellage abgewendet im letzten Jahr, die Energiepreise gehen wieder runter. Wir konnten das russische Gas ersetzen.

Da wundert es dann auch nicht mehr, dass auf den Hinweis, Deutschland würde als „der kranke Mann Europas“ betrachtet werden, als Gründe das schwächelnde China und die Abhängigkeit von russischem Gas genannt werden, das „flöten gegangen“ wäre – und auf Nachfrage, die schwächere Binnennachfrage.

Baerbock vor dem Spieglein an der Wand

Ähnlich wie Robert Habeck ergeht es Annalena Baerbock (Video zu dem obigen Zitat), die mit einer geradezu einzigartigen Überzeugung – also, Überzeugung, nicht Überzeugungskraft – meint, der ganzen Welt Haltungen und Handlungen abverlangen zu können – so, Russland den Krieg zu erklären, von China die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern, gegenüber Afrika keinen Respekt aufzubringen, von Indien die Abkehr von Russland zu fordern und Südafrika zu gängeln –, die der Westen zwar in seiner Agenda führt, aber überaus unzureichend selbst lebt.

Dass sie das in der Regel verbissen macht und ihr Lächeln selten natürlich wirkt, mag vielleicht daran liegen, dass ihr in der Simulation ein Spiegel trotz größter Bemühungen immer wieder die Wahrheit über ihre Wirkung auf die Welt offenbart.

Alle drei sind sowohl Teil der Simulation und sehen Filme abseits der Realität, speisen sie aber auch selbst mit ihren wohlklingenden wie inhaltsleeren Worten: Sie rauben den Menschen die Kraft, ihre Potentiale bei der Auseinandersetzung mit der Realität einzusetzen und schwächen ihre Möglichkeiten, für die Bewältigung der Herausforderungen in unserer Gesellschaft eigene substanzielle Beiträge zu leisten.

Die Menschen werden wie in MATRIX als durch Tittytainment ruhig zu haltende Objekte und nicht als kreativ-schöpferische Subjekte und Ziel aller Bemühungen betrachtet. Gelingt es jedoch nicht, das Paradigma-Paradoxon der Demokratie aufzulösen, Werte wie Wahrheit, Freiheit, Achtung in ihrer natürlichen Prägung an die Gesellschaftsform zu binden, sondern ihnen nur in der Simulation gerecht werden zu können und zu wollen – in der Realität jedoch die aggressivste Gesellschaftsform nach dem zweiten Weltkrieg zu sein, für die diese Werte nur durch ihre Bindung an einen individuellen Nutzen einen Wert haben, was nicht zuletzt, mit gravierenden Folgen, zu einer Einschränkung der kognitiven Diversität führt –, so wird der Substanzwert der Demokratie und ihr positives Wirken für die Welt wie auch die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandort Deutschland nur in der Simulation aufrechtzuerhalten sein, da das verfügbare Humankapital nur beschränkt aktiviert werden kann und ganz im Gegenteil an seiner Entfaltung gehemmt wird.

Schaut man auf all dieses, schaut man auf vieles weitere, so kann einen schon die Verzweiflung bei dem Bemühen packen, einen Neo zu entdecken, der die Menschen in Deutschland aus der Simulation herausführt und es schafft, ihnen die Realität nicht als bedrückenden und zur Last fallenden grauen Alltag zu präsentieren, sondern als Herausforderung, mit der sich auseinanderzusetzen Spaß machen kann und die es ermöglicht, die eigenen Fähigkeiten erheblich zu steigern und aus der man Nutzen ziehen kann, indem man nützlich ist und in der es nicht notwendig ist, andere zu übervorteilen, um selbst Vorteile zu erlangen. Das Menschsein wird dabei zur existenziellen Orientierung.

Wie kommt die Menschwerdung voran?

Doch wie schafft man es, der Menschwerdung neue Impulse zu geben? Zunächst ist anzumerken: Die Menschheit ist keine Gruppe von Nutztieren auf der Höhe der Produktion, die zwar nicht Milch oder Fleisch, aber vieles andere verwertbare liefern und anstelle von Futter Geld und damit ihr Futter bekommen – nicht eingesperrt hinter Zäunen, sondern „beschützt“ im virtuellen Raum oder kontrolliert durch Implantate, die dann auch noch in den gedachten Raum vordringen –, um einer kleinen Gruppe von Homo Sapiens das Gefühl zu geben, Krone der Schöpfung und vollkommene Herrscher über die Natur zu sein – inclusive der Menschheit.

Nein, die Menschheit ist aufgerufen, den Entwicklungstand, den sie im gedachten Raum schon erreicht hat, in der realen Welt zu verwirklichen. Nur in der Menschwerdung dürfte sich das Überleben der Spezies – und mit ihr wohl eines Großteils des Lebens – verwirklichen.

Die Kraft des Guten entfaltet sich

nicht über die Mittel des Bösen.

...

Wenn der größte Teil der Arbeit immaterielle Gedankenarbeit ist – sich also im gedachten Raum vollzieht –, und in der Folge dessen fehlendes Wissen und negative (böse) Verhaltensweisen die Wirkung begrenzen, so sind die Knappheiten des sechsten Kondratieffs die unzureichend in der Breite der Gesellschaft verankerten Tugenden.

Sie müssen sich ausreichend hilfreich in der Gesellschaft entfalten. Wie eine Dampfmaschine, ein Auto oder auch ein Computer aus mehreren Teilen bestehen, muss die Basisinnovation des sechsten Kondratieff ein Konzept, bestehend aus einer Anzahl von Einzelprojekten, sein, mit dem die im gedachten Raum schon existierenden Tugenden in den realen Raum geführt und so verankert werden, dass sie aus der Gesellschaft heraus jedem Individuum eine Entwicklung und eine Wirkung entlang dessen ermöglichen.

Und so kann die diskutierte Chance des Westens auch so zum Ausdruck gebracht werden: Die Menschwerdung des Affen mit der Demokratie zu verbinden und dafür die Basisinnovation des sechsten Kondratieff bereitzustellen. Um die Völker nicht wie Moses in das gelobte Land zu führen, sondern sie zu motivieren und zu ertüchtigen, tiefer in den gedachten Raum vorzudringen, um von dort aus edel, hilfreich und gut in den realen Raum zu wirken: Um Impulse zu verarbeiten, nach Ideen und Alternativen zu suchen, Visionen zu entwickeln, Dinge in Frage zu stellen, Zusammenhänge zu erkennen, sich mit dem eigenen Denken und Handeln zu beschäftigen.

Mit allen Folgen für die psychosoziale Gesundheit, den Klimaschutz, die Entkrampfung der Spannungen in der Welt, den Umgang mit dem technologischen Fortschritt, die Bewältigung von Herausforderungen wie die Corona-Pandemie und vieles andere.

Das Faszinierende am Allgemeinen

ist die entfaltbare Vielfalt des Konkreten.

Die einfache Antwort auf die Frage nach Impulsen für die Menschwerdung lautet dann: Durch Auseinandersetzung entlang der Werte, denen sich die Menschheit durchaus schon verpflichtet sieht, hinsichtlich derer es ihr aber nach wie vor schwerfällt, sie zu leben.

Doch dafür reicht es nicht aus, sich dem Schein hinzugeben, dieses schon erreicht zu haben. Wie die, denen ursprünglich der heutige Entwicklungsstand zu verdanken ist, müssen es heutige Generationen lernen, sich auseinanderzusetzen.

Auseinandersetzung ist die Voraussetzung für die Evolution. Wie es dem werdenden Menschen möglich war, durch den aufrechten Gang seine Umgebung besser zu überblicken und die Hände für andere Aufgaben freizubekommen, bedarf es heute des aufrechten Gangs im gedachten Raum, um allumfassender denken und kommunizieren zu können.

Die Annahme, jemand könnte daraus hervorwachsen, der aus der Auseinandersetzung mit Martin Luther eine Vorstellung davon hat, wie reformatorische Bemühungen einen gesellschaftlichen Schub auslösen können und sich dazu noch #modernDenken auf die Fahnen geschrieben hat, verflüchtigt sich spätestens dann, wenn man feststellt (1, 2), dass individuelle Prägungen und ein Umfeld von Egoisten, Ignoranten, Claqueuren und Scharfmachern natürliche Grenzen setzen und die Tatsache, dass man auf TWITTER geblockt wird, die unwesentlichste Reaktion ist.

Ich suche weiter – aber die Zeit drängt. Und vielleicht ist Neo ja eine Frau.

Bernd Liske (Jg. 1956 / studierter Mathematiker) ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Büchern und Artikeln setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so Beiträge für die Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten. Die in seinem Buch Aphorismen für die Menschwerdung des Affen – Wie der Mensch zum Menschen und wie die Demokratie ihrem Anspruch gerecht werden kann veröffentlichten Aphorismen betrachtet er als Open-Source-Betriebssystem zur Analyse und Gestaltung individueller, unternehmerischer und gesellschaftlicher Prozesse. Das den Aphorismen vorangestellte Essay über die „Auseinandersetzung als Beitrag für die Menschwerdung des Affen“ beschäftigt sich insbesondere mit der Natur der Demokratie und stellt Wege zur Diskussion, wie die westlichen Demokratien eine nachhaltige Zukunft gestalten können.



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