Chinas angeschlagene Wirtschaft ist im Sommer stärker gewachsen als erwartet und damit auf dem Weg der Besserung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der von einer Immobilienkrise und Schwäche der Exporteure belasteten zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt stieg von Juli bis September um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Statistikamt am Mittwoch in Peking mitteilte. Damit lag es über den Erwartungen der von Reuters befragten Ökonomen, die lediglich ein Plus von 4,4 Prozent auf dem Zettel hatten. Im Frühjahr lag die Zuwachsrate zwar mit 6,3 Prozent weit höher. Doch dies liegt maßgeblich an statistischen Verzerrungen durch die zurückliegende Corona-Krise.
"Grund hierfür ist das im dritten Quartal 2022 stark erhöhte Ausgangsniveau, das sich durch die kräftige Erholung nach Ende des Shanghai-Lockdowns eingestellt hatte", erläuterte Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Im Vergleich zum Vorquartal stieg das BIP im Sommer hingegen um 1,3 Prozent, nach abwärts revidiert plus 0,5 Prozent im Frühjahr: "Die Erholung nach Wegfall der Corona-Beschränkungen gewinnt also im dritten Quartal wieder etwas an Fahrt", sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank.
Die Regierung in Peking und die Notenbank haben in den vergangenen Monaten eine Reihe von Konjunkturstützen beschlossen, um die in der Corona-Krise gebeutelte Wirtschaft zu stabilisieren. Sie reichen von der Ankurbelung der Nachfrage nach Autos und Haushaltsgeräten über die Lockerung von Immobilienbeschränkungen bis hin zur Unterstützung des Privatsektors. Zuletzt hatte zudem die Zentralbank das Finanzsystem mit frischem Geld geflutet.
Offenbar zeigen die Spritzen zur Stärkung der Wirtschaft Wirkung: So übertraf das Wachstum der Einzelhandelsumsätze, ein Indikator für den Konsum, die Erwartungen. Es lag im September bei 5,5 Prozent. Auch die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe legte mit 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat stärker zu als gedacht.
Doch die weiterhin maue Weltwirtschaft, die den chinesischen Exporteuren arg zusetzt, und die anhaltende Immobilienkrise stehen einem nachhaltigen Aufschwung noch im Weg. "Da die chinesische Regierung mit ihrer Immobilienpolitik weit über das Ziel hinausschoss, ist der Wohnungsboom ein Fall für die Geschichtsbücher", so VP-Chefvolkswirt Gitzel: "Viele Chinesen überwiesen Geld für Wohnungen, die vermutlich nie fertiggestellt werden. Das kostet Vertrauen."
Die Misere zeigt sich auch an der Entwicklung beim Konzern Country Garden. Er ließ eine Frist zur Begleichung fälliger Schulden offenbar verstreichen. Damit drohten sämtliche Auslandsverbindlichkeiten des Immobilienentwicklers als Zahlungsausfall gewertet zu werden. Die Auslandsschulden von Country Garden summieren sich auf 17 Milliarden Dollar in Anleihen und Krediten.
Aussicht auf moderates Wachstum
Trotz der Krise am Immobilienmarkt wird die Wirtschaft im Reich der Mitte laut Experten ihren Erholungskurs voraussichtlich fortsetzen. "Dank staatlicher Unterstützung und trotz vieler Risiken dürfte das BIP weiter moderat wachsen", prophezeit Chefvolkswirt Krüger von Hauck Aufhäuser Lampe.
Senior Economist Tommy Wu von der Commerzbank verweist darauf, dass das BIP in den ersten drei Quartalen zusammengenommen in der Volksrepublik um 5,2 Prozent zulegte. Entsprechend könnte das Wachstum in diesem Jahr das offizielle Ziel von rund fünf Prozent erreichen: "Weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen in begrenztem Umfang könnten noch in diesem oder im nächsten Jahr erfolgen, um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen."
2022 war die Wirtschaft belastet von strikten Corona-Lockdowns und der Immobilienkrise mit drei Prozent so langsam gewachsen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Regierung verfehlte ihr Ziel von damals rund 5,5 Prozent deutlich. Sie will das Wachstumsmodell umstellen und setzt stärker auf die Binnenkonjunktur - insbesondere den privaten Konsum.
Deutsche Firmen sehen weiter Vertrauenskrise der Verbraucher
Die deutschen Unternehmen in China sehen zwar Licht am Ende des Tunnels - der Aufschwung hat sich aus ihrer Sicht aber noch nicht verfestigt. "Die wichtigste Botschaft ist: Die Wirtschaft stabilisiert sich, wenn auch auf verhältnismäßig niedrigem Niveau", sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer (AHK). Die Vertrauenskrise der Verbraucher sei aber noch nicht überwunden. Viele deutsche Unternehmen hofften weiter auf Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur. "Die chinesische Regierung darf nun nicht nachlassen", forderte Hildebrandt.
Um der Konjunkturflaute entgegenzuwirken, hatte die chinesische Zentralbank erst Anfang der Woche mit einer großen Geldspritze in das Bankensystem eingegriffen.
Ökonomen rechnen nicht mit einem umfassenden Hilfspaket
China halte sich bewusst zurück, glaubt Max Zenglein, Chefökonom beim China-Institut Mercis im Berlin. «Das chinesische Wirtschaftsmodel befindet sich in einer Umstellungsphase, in der die Regierung bewusst ein geringeres BIP-Wachstum in Kauf nimmt», argumentiert er. Die Regierung ziele darauf ab, dass Chinas zukünftiges Wachstum von Bereichen getrieben werde, die im Einklang mit nationalen strategischen Zielen stünden. Dazu gehört mehr Hightech und weniger Immobilien. «Diese Umstellung verläuft nicht reibungslos, aber Chinas Wirtschaft befindet sich nicht im Krisenmodus», sagte Zenglein.
Auch Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP Bank, rechnet nicht mit einem umfassenden Hilfspaket. Es werde zwar punktuell zu neuen Stützungsmaßnahmen kommen, doch in Anbetracht einer ohnehin schon hohen gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote «wird es keine Bazooka geben», glaubt Gitzel. Vor allem der nach wie vor «schwer kranke Immobilienmarkt» belaste das Wachstum.
Auch leide die chinesische Industrie unter der Blockbildung zwischen Ost und West. Zwischen den USA und China bleibt das Verhältnis angespannt. Im Wettlauf um die Entwicklung künstlicher Intelligenz verschärfte Washington jüngst seine Restriktionen für Chiplieferungen nach China. Unter der Sperre leiden chinesische Tech-Unternehmen, aber auch der US-Halbleiterkonzern Nvidia, der dadurch wohl weniger in der Volksrepublik verkaufen kann. Das chinesische Handelsministerium verurteilte den Schritt der Amerikaner.
Pekinger Statistikamt verweist auf schwieriges Umfeld
«Insgesamt hat sich die nationale Wirtschaft in den ersten drei Quartalen weiter erholt und verbessert», sagte Sheng Laiyun, stellvertretender Direktor des Pekinger Statistikamtes: «Es ist jedoch auch festzustellen, dass das externe Umfeld komplexer und schwieriger wird, die Binnennachfrage weiterhin unzureichend ist und die Grundlagen für die wirtschaftliche Erholung noch gefestigt werden müssen», so Sheng weiter. Er sei aber «sehr zuversichtlich», dass China sein Wachstumsziel erreichen werde.
Zusammengerechnet wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt von Januar bis Ende September um 5,2 Prozent. Das Wachstumsziel der chinesischen Regierung für das Gesamtjahr liegt bei 5 Prozent. (Reuters/dpa)