Der Königplatz galt in guten Zeiten einmal durchaus als Genius loci des historischen Berlins, bevor er wörtlich zum Horror vacui der NS-Zeit wurde und in der jüngsten Vergangenheit dann der Verdrängung und dem Vergessen anheimfiel.
Der Platz westlich des Reichstages, von Friedrich Wilhelm I. als Exerzierplatz für die preußischen Soldaten angelegt, und später 1884 bis 1994 nach Plänen Paul Wallots mit dem Reichstag bebaut („Dem Deutschen Volke") war spätestens 1901 mit der Enthüllung des Bismarck-Nationaldenkmals zum politischen Mittelpunkt der Reichshauptstadt Berlin geworden. Vor allem während der Weimarer Republik war hier der Versammlungsort des Volkes, so etwa als vor 100 Jahren erstmals wahre Menschenmassen gegen die französischen Besetzung des Rheinlands demonstrierten. Die Hauptstadt benannte ihn darum als Mittelpunkt des neuen Deutschlands konsequent in „Platz der Republik" um.
Wo früher der Königsplatz die Goldelse einrahmte
Bis Adolf Hitler die Macht übernahm. Die Nazis vereinnahmten nicht nur das Regierungsviertel an der Wilhelmstraße, sondern auch das parlamentarische Herz Deutschlands, als sie zunächst mit der Inszenierung des Reichstagsbrandes die Rechte der Parlamentarier beschnitten und (mit dem Umzug in die leerstehende Kroll-Oper gegenüber) den Reichstag endgültig in ein politisches Marionetten-Theater verwandeln. 1939 ließ Albert Speer dann sogar symbolträchtig die Siegessäule auf dem Königsplatz demontieren und an ihren heutigen Standortmitten im Tiergarten umsetzen. Es waren die Vorbereitungen für den gigantomanischen Plan, auf dem Platz der Republik das Zentrum der Welthauptstadt Germania zu errichten, wofür eigens im nördlichen Spreebogen mit dem Alsenviertel ein ganzes gutbürgerliches Wohnquartier abgerissen wurde, um ausreichend Baugrund zu schaffen.
Nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin ist an diesem Ort nun das politische Zentrum des neuen Deutschlands entstanden. Der alte Reichstag mit Norman Fosters neuer Kuppel nahm den Bundestag auf, an der Spree wurden mit dem Band des Bundes aus neuem Kanzleramt und den neuen Bundestagsneubauten Ost- und West-Berlin symbolträchtig miteinander verklammert. Nur der Platz der Republik blieb lange Jahre bestenfalls ein Bolzplatz, eine unbestimmte Wiese vor dem Reichstag, der erst allmählich ihrer Neubestimmung entgegenstrebt - derzeit wird hier ein neuer Besucherbereich und Zugang für das Parlament gebaut. Nun soll der Platz endlich auch städtebaulich Halt und ein westliches Gegenüber bekommen - nicht irgendein Haus, sondern gewissermaßen einen Rückspiegel der deutschen Geschichte.
Breite Zustimmung im Deutschen Bundestag
Der Bundestag hat 2020 in breiter parlamentarischer Mehrheit (nur gegen die Stimmern der AfD) beschlossen, mit einem deutsch-polnischem Mahnmal dem Überfall Nazi-Deutschlands auf das östliche Nachbarland anno 1939 zu gedenken. Nach dem Regierungswechsel ist das Projekt nun durch die Ampel-Regierung sogar deutlich aufgewertet und erweitert worden. Im Gegensatz zu einer anderen Art von Holocaust-Mahnmal, das viele Bürger befürchteten, will die Regierung von Olaf Scholz (SPD) nun ein Konzept für eine Bebauung der brachliegenden Rasenfläche auf dem historischen Standort der Kroll-Oper zu errichten. Zahlen zu den zu erwartenden Kosten gibt es noch keine, zunächst soll die Planung erarbeitet werden, dann ein erneuter Beschluss für die künftige Bebauung im Bundestag erfolgen - noch in 2024, so die Hoffnung.
Unlängst hat der Kanzler das symbolträchtige Vorhaben in die Hände seiner Kulturbeauftragten gegeben. Die Frage ist nun, ob Ministerin Claudia Roth von den Grünen wirklich genug Fingerspitzengefühl aufbringt, um das diffizile Unterfangen zum Erfolg zu führen. Nicht wenige sprechen bereits von der Quadratur des Kreises, denn schließlich soll hier einerseits ein Mahnmal entstehen, ein „Sinnzeichen, wie es offiziös heißt, andererseits das Gebäude ein Fullservice-Gedenkzentrum werden, halb Versammlungsstätte, halb Ausstellungshaus, samt aller dafür nötigen Einrichtungen - fraglos wird dann auch eine Gastronomie vonnöten.
Konzept soll Ende März vorliegen
Im Frühjahr bereits, angeblich bis Ende März, soll ein Realisierungskonzept im Hause Roth vorliegen - eine Million Euro wurden dafür bewilligt. Die Stiftung für das Holocaust-Mahnmal wurde von der einstigen Kultur-Managerin auserkoren, die konzeptionelle Leitung zu übernehmen und dabei unter anderem das Deutschen Polen-Institut zu beteiligen. Eine vermutlich pragmatisch professionelle Entscheidung, die trotzdem Sorgen reifen lässt, dass das Handling des sensiblen Themas technokratisch ausgelagert und andernorts bewältigt werden soll. Denn während beim Bemühen, endlich mit einem Mahnmal an den deutschen Völkermord an den Juden Europas ein starkes Signal aus der Mitte der Gesellschaft zu setzen, und sich mit deren Initiatorin Lea Rosh ein Verein dafür engagierte, vermisst man in diesem Fall ein ähnliches überzeugendes Bündnis als Motor. In der „Welt" ätzte bereits Thomas Schmid: „Ein Denkmal ist ein Denkmal, eine Volkshochschule eine Volkshochschule. Es gehört sich nicht, beides zu vermengen." Er fürchtet den Hang der grünen Ministerin als erklärter Anhängerin als Queren und Queeren das bedeutende Vorhaben mit einer typischen „Belehrungsaktion" zu überfrachten.
Selbst in Warschau Aufgeschlossenheit für Projekt
Damit ist die Unterstützung des eigentlichen Vorhabens durchaus vernehmlich. Nach Angaben des in Szczecin geborenen, früheren CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak unterstützt die Union das Deutsch-Polnische-Haus in Berlin. Ziemiak appelliert überdies an den Kanzler, den neuen Wind in Warschau aufzunehmen und mit neuer Initiative nicht nur die Nachbarschaft zu Polen zu beleben, sondern zugleich das Weimarer Dreieck Polens und Deutschlands mit Frankreich als starker Achse Europas. Eigentlich ist in der Union nur die Gruppe der Vertriebenen und Spätaussiedler und deren Vorsitzender Christoph de Vries skeptisch - eine Minderheit in der Partei. Exemplarisch war da eher die Reise der CDU Berlin im November 2023, die in Warschau zur Klausurtagung zusammentraf, um der Idee ihr Plazet zu geben.
Selbst in Polen selbst ist die Haltung „grundsätzlich positiv", ist aus dem Deutschen Polen-Institut in Darmstadt zu vernehmen. Sogar die ansonsten betont Deutschland-feindliche Pis-Partei unter Jaroslaw Kaczynski habe das Projekt „abwartend, aber stets aufmerksam verfolgt", sagt Sprecher Dr. Andrzej Kaluza. Die Regierung habe auch vor Donald Tusks Rückkehr „stets an Treffen und Konsultationen teilgenommen". Kaluza entsinnt sich vor allem , wie der Anstoß vor vielen Jahren von Prof. Florian Mausbach ausging, der als Chef des Bundesamtes für Bauwesen maßgeblich den Regierungsumzug geplant und sämtliche Neu- und Umbauten für Regierung, Bundespräsident und Parlament verantwortet hatte.
Initiative von Vater und Sohn
Dessen Initiative gehört freilich eher zu den Skeptikern, wie sein Sohn Leo Mausbach, mit einer Polin verheiratet und in Warschau in der Deutsch-Polnischen Handelskammer tätig, im Polskie-Radio 2023 in einem Interview deutlich machte. Vater und Sohn waren es, die 2017 eine Idee des einstigen polnischen Außenministers und Auschwitz-Überlebenden Wladyslaw Bartoszewski aufgriffen für ihre Versöhnungs-Initiative. Sie holten dann sukzessive auch die früheren Bundestags-Präsidenten Rita Süssmuth (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD) mit an Bord - sowie Andreas Nachama, den Direktor der Stiftung Topographie des Terrors. Doch ausgerechnet dieses Bündnis namhafter Unterstützer hält offenbar weiterhin am ursprünglichen Mahnmal-Gedanken fest - in gewisser Gleichberechtigung zum Holocaust-Mahnmal in den einstigen Ministergärten. In gleich zwei Briefen an die Bundesregierung warnten sie Ministerin Claudia Roth vor einer drohenden Verwässerung des Vorhabens. Roth erinnerte an die „tausendjährige Nachbarschaft" und Geschichte Polens und Deutschlands und sprach von „einem verbreiterten Ansatz". Aus der Sicht der Mausbachs droht die Auslöschung von sechs Millionen Polen während des Zweiten Weltkrieges in den Hintergrund zu rücken.
Die Kroll-Oper - ein vergessener Ort der Historie
Doch Claudia Roth beharrt auf die neue Zielrichtung, ein „Deutsch-Polnisches Haus" zu bauen am Standort Kroll-Oper. „Es ist den polnischen Opfern NS-Deutschlands gewidmet und soll ein Ort des Gedenkens, der Begegnung und des Verstehens werden", heißt es in einer Regierungserklärung. Zu hören ist, dass unterdessen schon Gespräche mit der Berliner Verwaltung geführt werden, das entsprechende Grundstück am Rande des Tiergartens zu sichern oder einzutauschen. Was dies für das dahinter liegende Veranstaltungs-Varieté „Tipi am Kanzleramt" bedeutet, dazu gibt es noch keine Erklärungen. Immerhin hatte hier einst schon Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) tabula rasa verfügt und die Zelte des ursprünglichen Tempodroms abbauen lassen.
Schon damals war die Bedeutung des historischen Geländes weitgehend verblichene Erinnerung. Dabei ist der Standort für das Deutsch-Polnische Haus geradezu prädestiniert, wie ein Blick in die Historie der Kroll-Oper verdeutlicht.
Das schmucke Gebäude war 1844 als schlossartiges Theater-Etablissement unter Beteiligung der Architekten Langhans, Persius und Knoblauch errichtet worden. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde es zur neuen Tagesstätte des Parlaments umgebaut, so wurde hier bereits im März 1933 unter Reichstagspräsident Hermann Göring per Ermächtigungsgesetz alle Gesetzesgewalt auf die NS-Regierung übertragen. Am 1. September berichtete Adolf Hitler in der Kroll-Oper vor den Abgeordneten über die ersten Schüsse auf polnische Grenztruppen - Beginn des Überfalls auf Polen und Zweiten Weltkrieges.
Ruine war Kulisse für Ernst Reuters Berlin-Rede
Im Kriege 1943 von Fliegerbomben weitgehend verstört wurde die Kroll-Oper 1951 gesprengt und 1957 abgetragen. Das letzte Mal diente es Ernst Reuter und Hunderttausenden Berliner Bürgern bei dessen berühmter Berlin Rede im September 1948 („Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!") als imposante Hintergrund-Kulisse. Im selben Jahr wurde der Königsplatz wieder in Platz der Republik rückbenannt, den Namen den er während der Weimarer Republik von 1926 bis 1933 trug, bevor die Nazis wieder die Straßenschilder Königsplatz anbringen ließen.
Für die historische Bedeutung der Kroll-Oper ist darüber hinaus aber auch Hitlers Rede zum sechsjährigen Jubiläum seiner Machtergreifung im Januar 1939 imminent, als er dort eine Nachtsitzung des Parlaments veranstalten ließ und über Abschiebung jüdischer Mitbürger und „die Entfernung der Juden überhaupt" fabulierte und dies „als letztes Ziel" bezeichnete - es war die Ankündigung der Juden-Vernichtung. Im Deutsch-Polnischen Haus könnte dies alles nun in einer Ausstellung aufgearbeitet werden und der Horror vacui am Standort endlich gefüllt und angemessen aufgearbeitet werden. Ein guter Neuanfang vielleicht im Verhältnis zwischen Polen und Deutschland, der endlich auch die beständig vorgetragenen Reparationsforderungen abklingen lassen könnte.
Königsplatz als Figur eines neues Stadtplatzes
Man darf gespannt sein, ob ein Architekt oder Planer noch die Idee aufgreift, auch der früheren städtebaulichen Platzfigur seine ursprüngliche Form zurückzugeben und damit endlich einen Ort mit angemessener Aufenthaltsqualität zu schaffen. Die Goldelse darf an der Straße der 17. Juni verbleiben - ihre militaristische Bedeutung ist zum Glück längst durch die neuere Geschichte Berlins überformt worden, zum Beispiel als Party-Queen der Love-Parade.