Bereits im Jahr 1949 prägte der berühmte Value-Investor Benjamin Graham den Spruch: „Das Hauptproblem des Anlegers, ja sogar sein schlimmster Feind, ist wahrscheinlich er selbst.“ Graham wollte damit sagen, dass Emotionen wie Gier oder Angst, Selbstüberschätzung und falsche Überzeugungen einen größeren Vermögensschaden anrichten als äußere Ereignisse wie ein Börsencrash oder Inflation.
Auch der Honorar-Finanzanlagenberater Ingo Schröder von Maiwerk beobachtet in seinem beruflichen Alltag zahlreiche Fehler. Anleger würden sich etwa auf gehypte Themen fokussieren, Klumpenrisiken aufbauen und Market-Timing betreiben, erklärt der Kölner gegenüber DWN.
Aktienquote sinkt in Krisen
Laut einer neuen Studie des Instituts für Vermögensaufbau im Auftrag des Vermögensverwalters Vanguard investieren Anleger stark zyklisch. Die Autoren analysierten Daten über 54.000 Depots bei unabhängigen Vermögensverwaltern. Das seien über 90 Prozent aller von unabhängigen Vermögensverwaltern gemanagten Anlegergelder. Außerdem schickten sie Vermögende und Durchschnittsbürger als Testkunden zu Banken und Vermögensverwaltern und werteten die verwalteten Depots aus.
Demnach liegen die Testkundendepots deutlich hinter einem Vergleichsindex, obwohl die Autoren bei der Benchmark und den Depots gleich hohe Kosten unterstellen. Grund sei eine sinkende Aktienquote in Krisen. „Die Performanceverluste entstehen dadurch vor allem in Jahren mit hoher Volatilität und in der Marktphase nach einem starken Einbruch“, heißt es in der Studie.
Außerdem würden die Anleger auf Gewinner-Aktien aus der Vergangenheit setzen. Etwa erhöhten sie die Aktienquote im Bullenmarkt von 2008 bis 2023 deutlich (von rund 30 auf 60 Prozent). Auch der Anteil der heißlaufenden US-Aktien stieg in den Depots rasant an (von 20 auf 40 Prozent), während Aktien aus der Eurozone an Bedeutung verloren (von über 50 auf 30 Prozent von 2018 bis 2023).
Viele Depots enthielten außerdem ETFs auf Trendthemen. Die beliebtesten ETFs liefen auf die Indizes MSCI World Health Care und S&P Global Clean Energies (in jeweils 14 Prozent aller Depots). Danach kamen der MSCI World SRI Select Reduced Fossil Fuel und der Nasdaq 100 (jeweils 11,6 Prozent). Der marktbreite MSCI World folgte erst an siebter Stelle mit 9,3 Prozent. Ein Drittel der 15 beliebtesten Aktienindizes bildete dezidiert Nachhaltigkeitsthemen ab.
Recency Bias und Klumpenrisiken
Auch der Honorarberater Ingo Schröder beobachtet zyklisches Verhalten. „Der größte Fehler ist, dass Anleger sich auf bestimmte Branchen oder Themen fokussieren, die gerade besonders gehypt werden.“ Das führe zu Klumpenrisiken und möglicherweise zu Verlusten. Gerade in Nachhaltigkeitsfonds sei häufig ein zu hoher Prozentanteil angelegt.
Außerdem würden Anleger einem Recency Bias unterliegen, also nur die jüngere Wertentwicklung von Wertpapieren beachten. „Anleger schauen sich die Rendite der letzten paar Jahre an - wenn es hochkommt, vielleicht die Rendite der letzten zehn Jahre“, erklärt Honorarberater Schröder.
Etwa würden manche Anleger nicht in Schwellenländer investieren wollen, die in den vergangenen zehn Jahren schlecht liefen, und stattdessen bloß auf US-Aktien setzen. „Schwellenländer haben aber auf Sicht der letzten 40 Jahre deutlich mehr Rendite gebracht als ein MSCI World“, sagt Schröder.
Experten raten von sogenanntem Performance-Chasing ab, also dem Kauf von Wertpapieren, die sich in der Vergangenheit besonders gut entwickelt haben. Langfristig würden sich die Aktienmarktrenditen um einen historischen Mittelwert bewegen. Nach guten Börsenjahren kämen tendenziell wieder schlechte. Wer Wertpapiere kaufe, deren Kurs zuvor besonders stark gestiegen sei, kaufe zu teuer und habe geringere Ertragschancen.
Anleger nutzen ETFs falsch
Außerdem warnen kritische Vermögensberater vor Market-Timing, also dem Ausrichten von Investitionen nach Prognosen oder Marktentwicklungen. Das gelinge selbst Profis meist bloß in Ausnahmefällen.
Auch in der Vanguard-Studie zeigte sich über die gesamten 54.000 Kundendepots, dass die Anleger am besten performten, die am wenigsten handelten. Die 20 Prozent mit der geringsten Umschlagsrate erzielten von 2018 bis 2022 eine Median-Outperformance gegenüber einer Benchmark von 0,85 Prozent pro Jahr. Die 20 Prozent, die am meisten handelten, lagen um 0,94 Prozent pro Jahr hinter der Benchmark. Grund sind laut den Autoren unter anderem die höheren Handelskosten.
Eine Studie der Universität Frankfurt stellte bereits im Jahr 2017 falsches Anlageverhalten bei vielen ETF-Anlegern aus Deutschland fest. Mitautor Andreas Hackethal, Finanzökonom der Frankfurter Goethe-Universität, untersuchte Daten eines großen Brokers von 2005 bis 2010. Dabei verglich er die Kundendepots mit mehreren Benchmarks, darunter einer Buy-and-Hold-Strategie mit einem günstigen „MSCI World“-ETF.
Das Ergebnis: Die ETF-Anleger lagen um 1,7 Prozentpunkte pro Jahr hinter dem „MSCI World“-ETF. Hauptgrund sei die falsche ETF-Wahl: Hätten die Anleger in den „MSCI World“-ETF statt in teure Branchen- oder Themen-ETFs investiert, wäre die Performance um 1,3 Prozentpunkte pro Jahr höher gewesen. 0,4 Prozentpunkte gingen auf Market-Timing zurück.
ETFs seien zwar ein mächtiges Werkzeug zur Diversifikation und eine wichtige Finanzinnovation, schreiben die Autoren. Aber in der Praxis würden sie die Renditen der Anleger nicht erhöhen, selbst nach Abzug der Transaktionskosten. Anleger würden ETFs falsch nutzen. „Unsere Stichprobe von ETF-Nutzern verbessert ihre tatsächliche Portfolio-Performance nach der ETF-Nutzung nicht, da sie sowohl über ein schlechtes ETF-Timing als auch über eine schlechte ETF-Auswahl verfügen“, heißt es in der Studie „Abusing ETFs“.
Wie sollten sich Anleger richtig verhalten?
Der Honorarberater Ingo Schröder rät daher zu einer klaren Strategie. „Wir erleben immer wieder, dass die Produktkosten von ETFs optimiert werden, aber das Risiko ignoriert wird.“ Anleger würden zu große Risiken eingehen. Etwa sei häufig die Aktienquote zu hoch, was zu Verlusten und psychischem Druck in Krisen führe. Aktieninvestoren sollten daher einen weniger volatilen ETF mit Anleihen guter Bonität beimischen.
Der Honorarberater Andree de Boer empfahl gegenüber DWN, in Krisen Aktien nicht zu verkaufen, sondern eine feste Vermögensaufteilung beizubehalten. „Für langfristige Anleger sind Crashes eine Chance. Sie sind die Risikoprämie für die Anlage in schwankungsintensive Wertpapiere. Diese Prämie kann ohne Schwankungen nicht eingefahren werden.“
Finanzökonomen raten zu einer ordentlichen Aktienquote, die sich allenfalls nach einer festen Regel im Zeitablauf ändern sollte. Etwa könne sie mit zunehmendem Alter um 2,5 Prozentpunkte pro Jahr sinken, erklärte Raimond Maurer, Professor für Investment, Portfolio Management und Alterssicherung an der Frankfurter Goethe-Universität. Eine Alternative sei unabhängig vom Lebensalter ein Portfolio aus 60 Prozent globalen Aktien und 40 Prozent Zinsanlagen hoher Bonität in der Heimatwährung.