Kommunalwahlen waren bisher in Thüringen eine Domäne der CDU: Doch vor der Entscheidung über 13 Landräte, 94 Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie etliche Kommunalparlamente an diesem Sonntag ist es anders. Die CDU, die bei der Landtagswahl im September die Staatskanzlei von Bodo Ramelow (Linke) zurückerobern will, sieht sich von einer in Umfragen starken AfD mit ihrem Frontmann Björn Höcke attackiert. Kann die als erwiesen rechtsextrem vom Landesverfassungsschutz eingestufte Höcke-Partei bei den Kommunalwahlen die Weichen für die Landtagswahl stellen? Diese Frage treibt die Wahlkämpfer aller anderen Parteien seit Wochen um.
Gewinnerparteien sind attraktiver für Wähler
Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sieht in den Kommunalwahlen, zu denen mehr als 1,7 Millionen Thüringerinnen und Thüringer aufgerufen sind, zunächst einen Stimmungstest. „Ihr Ausgang kann mobilisierend oder demobilisierend für die einzelnen Parteien wirken. Das ist mit Blick auf die Landtagswahl etwa drei Monate später nicht zu unterschätzen.“ Und: „Gewinnerparteien sind für viele Wähler attraktiver als Verliererparteien.“
Zudem könnte die AfD, wenn sie im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2018 und 2019 in Thüringen deutlich zulegt, erzählen, die Menschen vertrauten ihr - „bis in den letzten Winkel Thüringens“.
Eine Prognose wagt allerdings niemand - zu unterschiedlich sind die regionalen Bedingungen und Themen sowie die Persönlichkeiten der Bewerber, bei denen auch SPD, Linke, FDP und Parteilose Chancen auf Oberbürgermeisterämter und Landräte haben. Immerhin hatte die AfD 2023 im thüringischen Sonneberg ihr erstes Landratsamt in Deutschland erobert - danach folgten allerdings Niederlagen in den Kreisen Nordhausen und Saale-Orla, wo ein Parteiloser und ein CDU-Mann gewannen.
Prozess gegen Höcke spielt kaum eine Rolle
Dass die Verurteilung von AfD-Rechtsaußen Höcke wegen Nutzung einer Nazi-Parole in einer Rede Einfluss auf Wahlentscheidungen für oder gegen die AfD haben könnte, glaubt Brodocz nicht. Der AfD sei es offenbar gelungen, bei einem Teil ihrer Wähler in den vergangenen Jahren eine Parteibindung aufzubauen. „Ein Teil der AfD-Wähler ist offenbar immunisiert gegen solche Vorfälle.“ Bei Umfragen zur Landtagswahl hat die AfD in den vergangenen Monaten nur leicht verloren und liegt derzeit bei 30 Prozent, die CDU bei 20 und die Linke bei 16 Prozent.
Für die Thüringer CDU gehe es bereits bei den Kommunalwahlen um viel, glaubt Brodocz. 2018 bei der Wahl von Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte war sie wie schon sechs Jahre zuvor stärkste Partei mit etwa der Hälfte aller Landräte und einem Stimmenanteil von 37,9 Prozent. Einige ihrer langjährigen Amtsträger wie im Thüringer Eichsfeld - einer katholisch geprägten Region - treten aus Altersgründen nun nicht mehr an. „Die CDU braucht mit Blick auf die Landtagswahl ein gutes kommunales Ergebnis“, betont der Politikwissenschaftler.
CDU-Mann Christian Herrgott habe im Saale-Orla-Kreis zu Jahresbeginn gezeigt, „dass wir die sogenannte Alternative schlagen können“, spornt CDU-Chef Mario Voigt Mitglieder und Anhänger der Christdemokraten immer wieder an - und setzt auf das Heimatgefühl. „Wir sind die einzige Partei, die bei den Kommunalwahlen flächendeckend Kandidaten aufgestellt hat", erklärt Voigt.
Nicht überall tritt die AfD überhaupt mit eigenen Kandidaten an: In drei Landkreisen stehen bei der Landratswahl keine AfD-Leute auf dem Wahlzettel, in Weimar stellt die Partei keinen Oberbürgermeisterkandidaten. Bei den Kreistagswahlen ist die CDU mit doppelt so vielen Bewerbern am Start, auch die Linke, die SPD und die Grünen haben mehr Kandidaten als die AfD.
Die Aufstellung einer AfD-Kandidatenliste im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt endete in einer Spaltung: Dort gibt es nach parteiinternem Streit nun zwei Listen, die miteinander konkurrieren. Die örtliche CDU und die AfD selbst haben bereits eine mögliche Anfechtung der Wahl ins Spiel gebracht. Der Vorgang sorgte bundesweit für Aufsehen, wobei lokale AfD-Politiker Höckes Rücktritt forderten.
Für Kopfschütteln sorgt die Kandidatur eines Rechtsextremisten für das Landratsamt in Hildburghausen in Südthüringen. Der dortige Wahlausschuss hatte den Bewerber zugelassen, obwohl dieser als eine zentrale Figur in der rechtsextremen Szene Thüringens gilt.
Erwartet wird, dass eine ganze Reihe von Personenwahlen am Sonntag noch nicht entschieden werden. Dann geht es in Stichwahlen - zusammen mit der Europawahl am 9. Juni.