Politik

Wirtschaftswunder adé: Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal erneut gesunken

Konjunktur im Sinkflug: Die Deutsche Wirtschaft schrumpft auch im zweiten Quartal. Eine Rückkehr der Rezession ist möglich. Die Ampelregierung schweigt dazu – aus Realitätsverweigerung oder Ideenlosigkeit? Der grüne Vizekanzler Habeck setzt derweil auf das kommende Jahr und hofft noch auf ein Miniwachstum.
06.08.2024 15:28
Aktualisiert: 06.08.2024 16:58
Lesezeit: 3 min
Wirtschaftswunder adé: Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal erneut gesunken
Die wirtschaftliche Bilanz der Ampel-Regierung bleibt sehr schlecht. Das Wachstum treibt dauerhaft Richtung null Prozent. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Noch im vorigen Jahr beschwor Kanzler Olaf Scholz ein „Wirtschaftswunder“: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren geschehen.“

Doch die deutsche Wirtschaft stagniert und kommt nicht vom Fleck: Schon im vergangenen Quartal schrammte die deutsche Wirtschaft knapp an einer Rezession vorbei, nun sieht es noch schlechter aus: Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal gesunken. Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz zeigt sich unbeeindruckt.

Wirtschaftsministerium glaubt weiter an Wachstum

Das Bundeswirtschaftsministerium hält trotz des jüngsten Schrumpfens der deutschen Wirtschaft an seinem Wachstumsziel fest. Das Plus von 0,5 Prozentpunkten im Jahr 2025, das die Bundesregierung in der kürzlich vereinbarten Wachstumsinitiative genannt hatte, sei nach wie vor möglich, heißt es aus dem Haus von Minister Robert Habeck. Voraussetzung sei jedoch eine „zügige Umsetzung und Inkrafttreten der Maßnahmen“ des Anfang Juli vereinbarten Pakets, wie ein Sprecher betonte.

Alarmstimmung in der Wirtschaft

Im zweiten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt nach Zahlen des Statistischen Bundesamts um 0,1 Prozent zurück. Deutschland droht damit der Rückfall in die Rezession.

Auch andere Indikatoren sorgen für Alarmstimmung in der Wirtschaft. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht unter anderem wegen des dreimaligen Rückgangs des Ifo-Geschäftsklimas von einem „allenfalls blutleeren Wachstum“ für das zweite Halbjahr aus. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, sprach von einer „chronischen Wachstumsschwäche in Deutschland“.

Kauflaune auf Tiefpunkt

Auch die Kaufstimmung unter Verbrauchern hat sich zuletzt verschlechtert, wie der Handelsverband Deutschland kürzlich berichtete. Der Konsumbarometer-Index für Juli sei gefallen, nachdem er zuvor fünf Monate in Folge gestiegen sei. Das deute auf eine „voraussichtlich eher verhaltene Entwicklung des privaten Konsums im weiteren Jahresverlauf hin“.

Aus Habecks Ministerium heißt es dagegen, jüngste Daten des GfK-Konsumklimas deuteten „auf eine Belebung der Konsumentwicklung hin“. Die Verbraucherstimmung habe sich im Juli „spürbar erholt“, vor allem die Einkommensaussichten seien auf den höchsten Stand seit Oktober 2021 gestiegen.

Auch die Konjunktur dürfte in der zweiten Jahreshälfte „infolge der günstigen Rahmenbedingungen aus kräftig steigenden Löhnen, nachlassender Inflation, einer robusten Beschäftigungsentwicklung und einer Belebung der Auslandsnachfrage an Fahrt aufnehmen“, so der Sprecher. Das habe die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht bestätigt.

Ampelkonflikt um Schuldenbremse, Sondervermögen und -Töpfe

Mit der Einigung auf den Haushalt 2025 und der Wachstumsinitiative hofft die Bundesregierung auf „verlässliche Perspektiven für Unternehmen und Verbraucher- und Verbraucherinnen“, wie es in einer Pressemitteilung des BMWK heißt. Wichtig sei nun, dass die Wachstumsinitiative „zügig und beherzt umgesetzt wird“ und dabei „alle betroffenen Ressorts, der Bundestag und der Bundesrat an einem Strang ziehen“.

Bisher kollidieren die Interessen zwischen Habecks Wirtschaftsministerium und dem von FDP-Chef Christian Lindner geführten Finanzressort. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte Habeck nach den negativen Zahlen des Statistischen Bundesamts auf, einen „Wirtschaftsturbo“ zu zünden. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sollten vor allem mit steuerlichen Entlastungen und Reformen des Sozialstaats verbessert werden.

Daraufhin forderte Franziska Brantner (Grüne), Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, bei T-Online, prompt mehr Investitionen in Form von Sondervermögen, wie sie auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gefordert habe.

Einigkeit sieht anders aus.

Deutschland: Schlusslicht unter den G7-Staaten

Auch der Internationale Währungsfonds prophezeit für Deutschland nur noch ein Wachstum von 0,2 Prozent 2024 – und damit die schwächste Rate aller führenden westlichen Industriestaaten der G7.

Fazit: Trotz der tagtäglichen Horrornachrichten aus der Wirtschaft, herrscht bei der Ampelkoalition Optimismus und „Friede, Freude, Eierkuchen“. Das verabschiedete „Wachstumspaket“ wird es schon richten. Das Argument, die Regierung habe doch eine „Wachstumsinitiative“ auf den Weg gebracht, reicht nicht. Der Industriestandort hat keine Zeit mehr, er ist jetzt gefährdet. Da gibt es nichts mehr schönzureden. Die Ursachen sind hinlänglich bekannt.

Was fehlt, ist eine breite und ehrliche Debatte darüber, mit welchen Maßnahmen die Wirtschaft endlich wieder wachsen kann. Die Ignoranz und Hilflosigkeit der amtierenden Bundesregierung müssen ein Ende haben. Deutschland trägt inzwischen in Europa die rote Laterne, selbst Frankreich und Spanien wachsen stärker. So wird sich das gewohnte Wohlstandsniveau nicht halten lassen.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Politik
Politik EU plant Ukraine-Hilfe: Kann Russlands eingefrorenes Vermögen helfen?
13.11.2025

Die Europäische Union steht vor einer heiklen Entscheidung: Sie will die Ukraine weiterhin finanziell unterstützen, sucht jedoch nach...

DWN
Politik
Politik Zollfreigrenze in der EU: Billigwaren künftig ab dem ersten Euro zollpflichtig
13.11.2025

Billige Online-Waren aus Asien könnten bald teurer werden. Die EU plant, die 150-Euro-Freigrenze für Sendungen aus Drittländern...

DWN
Politik
Politik EU-Politik: Fall der Brandmauer öffnet Tür für Konzernentlastungen
13.11.2025

Das EU-Parlament hat das Lieferkettengesetz deutlich abgeschwächt. Künftig sollen nur noch sehr große Unternehmen verpflichtet sein,...

DWN
Politik
Politik Wehrdienst-Reform: Union und SPD einigen sich auf Kompromiss
13.11.2025

Union und SPD haben ihren Streit über den Wehrdienst beigelegt – und ein Modell beschlossen, das auf Freiwilligkeit setzt, aber eine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Google: Milliardenstreits um Marktmissbrauch
13.11.2025

Google steht erneut unter Druck: Die Preissuchmaschine Idealo verlangt Milliarden, weil der US-Konzern angeblich seit Jahren seine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Stabilisierungsversuch nach Kursverlusten
13.11.2025

Nach der kräftigen Korrektur in den vergangenen Tagen zeigt sich der Bitcoin-Kurs aktuell moderat erholt – was steckt hinter dieser...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gender Pay Gap in der EU: Was die neue Richtlinie wirklich fordert
13.11.2025

Die EU hat mit der Richtlinie 2023/970 zur Gehaltstransparenz die Gender Pay Gap im Fokus. Unternehmen stehen vor neuen Pflichten bei...

DWN
Finanzen
Finanzen Telekom-Aktie: US-Geschäft treibt Umsatz trotz schwachem Heimatmarkt
13.11.2025

Die Telekom-Aktie profitiert weiter vom starken US-Geschäft und einer angehobenen Jahresprognose. Während T-Mobile US kräftig wächst,...