Finanzen

Club-of-Rome-Leitfaden für Deutschlands Zukunft

Vor zwei Jahren präsentierte der Club of Rome einen Report zu den entscheidenden Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit. Nun gibt es eine Fassung speziell für Deutschland.
14.10.2024 10:12
Lesezeit: 4 min
Club-of-Rome-Leitfaden für Deutschlands Zukunft
Klimawandel und soziale Gerechtigkeit: Club of Rome fordert tiefgreifende Veränderungen. (Foto: dpa) Foto: Wolfgang Kumm

Die zentrale These des Thinktanks Club of Rome lautet: Klimawandel und drohende Überlastung unseres Planeten lassen sich nicht ohne tiefgreifende Veränderungen auch in sozialen Bereichen begegnen. Eine unter anderem vom Club of Rome organisierte Initiative, Earth4All, legt nun einen Bericht für Deutschland vor - und biete darin praktische Lösungen, die auf den Kontext hierzulande zugeschnitten seien, erläutern Sandrine Dixson-Declève und Paul Shrivastava, Präsidentin und Präsident des Club of Rome.

Wirtschaftlicher Fortschritt müsse mit ökologischer Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden, heißt es im Vorwort von „Earth for All Deutschland“ weiter. „Wir hoffen, dass dieser Bericht zum Handeln anregt. Gemeinsam können wir eine Welt aufbauen, in der sowohl die Menschen als auch unser Planet gedeihen.“

„Die Grenzen des Wachstums“

Vor gut 50 Jahren rüttelte der Thinktank Club of Rome mit seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ die Welt auf. Der Bericht gilt als einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Wenn sich die globale Wirtschaftsweise nicht ändere, brächen Ökonomie, Umwelt und Lebensqualität zusammen, warnte die Forschergruppe.

Im 2022 vorgestellten Folgebericht „Earth for All“ ging es um zentrale Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung (Empowerment) der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.

An diesen Kernthesen zieht sich auch das aktuelle Buch entlang. Zu den Hauptautoren von „Earth for All Deutschland“ gehören Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, einer Denkfabrik für Nachhaltigkeitsforschung, weitere Experten der Forschungseinrichtung in Wuppertal und Till Kellerhoff, Programmdirektor des Club of Rome.

Krisen machen es noch schwieriger

Die Treibhausgasemissionen wie erforderlich noch weiter zu reduzieren, sei eine komplexe politische und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe, die derzeit durch multiple globale Krisen und geopolitische Spannungen überlagert werde, schreibt Fischedick in einem weiteren Vorwort.

Das Buch handele „von radikaler Veränderung“, heißt es zu Beginn. Das sei keine unerreichbare Utopie, sondern eine Vision. Dass Veränderung überraschend schnell möglich ist, zeigt ein Blick zurück: „Noch 1993 gingen Unternehmen der deutschen Energiewirtschaft in einer Zeitungsanzeige davon aus: „regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfs decken“, wird im Buch zitiert. „Heute liegt der Anteil schon nahe bei 60 Prozent, Tendenz steigend.“

Eigentliche Herausforderung kommt erst noch

Bei der Energiewende liege die eigentliche Herausforderung durch die Verkehrs- und Wärmewende allerdings bis zur Jahrhundertmitte noch vor uns. „Nicht zuletzt, weil beide Bereiche direkt in den Alltag der Menschen hineinreichen.“ Veränderungen seien unmittelbar spürbar und weniger abstrakt als bei der Umstellung auf erneuerbare Energien.

Betont wird im Buch auch, dass es bereits positive Trends gibt: sinkende Kosten für erneuerbare Energien (Photovoltaik und Wind) und für Stromspeichertechnologien zum Beispiel, weltweit wachsende Green-Tech-Branchen, die Bemühungen um Kreislaufwirtschaft in der EU und die wachsende Bereitschaft, Subventionen für fossile Energien abzuschaffen.

Ohne mehr Gerechtigkeit geht es nicht

Oft noch zu wenig beachtet werde die extreme Ungleichheit der Weltgesellschaft mit schroffen Gegensätzen zwischen Reich und Arm. Auch die deutsche Politik behandele diesen Aspekt viel zu kurzsichtig. Denn nicht nur global zwischen Ländern, auch innerhalb Deutschlands tue sich ein Graben auf zwischen denen, die viel zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beitragen, und denen, die wenig beitragen, aber stark unter den Folgen leiden.

„Vereinfacht gesagt: Wer wenig verdient, hat kein Auto und macht keine Fernreisen, wohnt aber beengt dort, wo die Luft besonders schlecht und der Lärm besonders laut ist.“ Zu befürchten sei zudem, dass sich die Belastungen für diese Haushalte im Zuge des fortschreitenden Klimawandels noch verschärfen, da gerade in diesen Gegenden Probleme mit Hitzeinseln und wenig Zugang zu Grünflächen bestehen.

Arme schon immer im Nachteil

Neu sei dieses Phänomen nicht: „Historische Daten offenbaren, dass schon vor 200 Jahren die Villen der Fabrikanten dort gebaut wurden, wo der Wind und damit die frische Luft herkam (meist im Westen), und in Windrichtung der Fabrik (meist nach Osten) die Wohnquartiere der Fabrikarbeiter*innen.“

Welchen Bildungsabschluss Kinder erreichen, hänge sehr stark vom Bildungsniveau der Eltern ab. Dass jeder Mensch durch eigene Arbeit den Aufstieg schaffen könne, sei ein zentrales Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. In Deutschland sei die soziale Mobilität aber geringer als in den meisten anderen reichen Ländern. „Vor allem die Aufstiegschancen der unteren Einkommensgruppen sind gering und sinken derzeit weiter.“

Wen das Sparen an öffentlicher Infrastruktur trifft

Um soziale Gerechtigkeit gehe es auch, wenn wie in Deutschland seit Jahren zu wenig in den Erhalt von Schwimmbädern, Schulen und anderer öffentlicher Infrastruktur investiert werde. Gerade arme Haushalte seien darauf angewiesen. „Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf eine private Schule, hat ein eigenes Schwimmbad und kann bequem mit seinem Auto überall hinfahren“, heißt es dazu. „Wer sich all das nicht leisten kann, ist auf öffentliche Schulen, Hallenbäder und ÖPNV angewiesen – sprich einen leistungsfähigen Staat und eine gute Infrastruktur.“

Negativbeispiele gebe es auch im Bereich staatlicher Förderprogramme - etwa dem für den Kauf und die Installation einer Ladestation für Elektroautos (Wallbox) in Kombination mit einer Photovoltaikanlage und einem Solarstromspeicher. „Davon profitierten nämlich vor allem Eigenheimbesitzende, die sich ein Elektroauto leisten können.“ Eine ohnehin wirtschaftliche Investition sei für diese wohlhabende Klientel noch wirtschaftlicher gemacht worden.

Bei bestehenden Förderprogrammen gebe es nahezu durchgängig solche Ausschlusseffekte: Finanzstarke Haushalte können von vielen Programmen und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten profitieren, arme Haushalte nicht. Wer über die finanziellen Mittel verfüge, könne auch einem Verbot von Gasheizungen oder Verbrennungsmotoren schneller und leichter folgen.

Wachsende Ungleichheit bedeutet Ruck nach rechts

Mit der wachsenden Ungleichheit steige die Angst vor Veränderungen, „und für viele ist die persönliche Zumutbarkeitsschwelle, ob berechtigt oder nicht, erreicht. Die Solidarität sinkt. Die Gesellschaft rückt nach rechts.“

Weitere Kapitel sind Themen wie Gleichberechtigung, Bildung und Ernährung gewidmet. Erklärt wird zudem, dass die Kostenwahrnehmung beim Klimaschutz derzeit vielfach viel zu kurzfristig sei. Bei der Behauptung, dass die Bekämpfung des Klimawandels zu viel kostet, werde ausgeblendet, dass Untätigkeit am Ende viel mehr kosten würde.

„Verpasst Deutschland in der Energiewende den großen Sprung, würde das für uns alle langfristig teurer und keineswegs sicherer werden. Im schlimmsten Fall werden die Schäden – etwa durch einen ungebremsten Klimawandel – irreparabel sein.“

„Dieses Buch ist für uns der Startschuss auf einem längeren Weg“, heißt es abschließend. Ein großer Sprung in eine bessere Zukunft sei in Deutschland möglich, wenn auch hoch ambitioniert. Auch ein gutes Leben für alle auf dieser Erde sei eine große, aber machbare Gemeinschaftsaufgabe. „Mit diesem Buch schlagen wir eine Richtung vor. Die genauen Wege müssen wir gemeinsam finden.“

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