Politik

Kriegsrecht in Südkorea aufgehoben: Präsident Yoon verliert Machtkampf

Südkorea wird von turbulenten innenpolitischen Entwicklungen in Atem gehalten. Nach der kurzzeitigen Ausrufung des Kriegsrechts werden Forderungen nach einem Rücktritt des Präsidenten laut.
04.12.2024 11:50
Lesezeit: 3 min
Kriegsrecht in Südkorea aufgehoben: Präsident Yoon verliert Machtkampf
Demonstranten, die den Rücktritt des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol fordern, versammeln sich vor dem Gebäude der Nationalversammlung in Seoul, Südkorea. (Foto: dpa) Foto: Daniel Ceng

Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol sieht sich wegen des kurzzeitig von ihm verhängten Kriegsrechts mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Die größte Oppositionspartei warf dem konservativen Staatsoberhaupt Verfassungsbruch vor und forderte Yoon zum sofortigen Amtsverzicht auf. Andernfalls werde man ein Amtsenthebungsverfahren einleiten. Gewerkschaften drohten mit Streiks. Auch der Chef der Regierungspartei, Han Dong Hoon, übte scharfe Kritik: Er forderte den Präsidenten laut Berichten südkoreanischer Medien auf, sein Verhalten zu erklären und Verteidigungsminister Kim Yong-hyun wegen der „desaströsen“ Lage zu entlassen.

Der in einem Umfragetief steckende Präsident hatte in der Nacht das von ihm überraschend verhängte Kriegsrecht binnen Stunden wieder aufgehoben. Zu dieser Kehrtwende hatten ihn zuvor sämtliche 190 anwesenden Abgeordneten in der Nationalversammlung per Abstimmung aufgerufen. Zehn ranghohe Berater des Präsidenten wollten daraufhin laut einem Bericht der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap geschlossen zurücktreten - darunter Yoons Stabschef und der nationale Sicherheitsberater.

Internationale Besorgnis

Unklar blieb zunächst, was Yoon zu seinem radikalen Schritt bewog. Die USA als wichtigster Verbündeter und Schutzmacht Südkoreas zeigten sich über die kurzzeitige Verhängung des Kriegsrechts zutiefst besorgt, ebenso wie Deutschland. Auch Japans Regierungschef Shigeru Ishiba ließ wissen, seine Regierung verfolge die Entwicklung im Nachbarland mit „ernsten Bedenken.“ US-Außenminister Antony Blinken begrüßte die spätere Kehrtwende Yoons und mahnte, politische Differenzen müssten „friedlich und im Einklang mit den Prinzipien des Rechtsstaats“ ausgeräumt werden. „ “

In Seoul waren in der Nacht Tausende Demonstranten vor das vom Militär abgesperrte Parlament gezogen, um lautstark gegen Yoons Vorgehen zu protestieren. Kritik kam auch aus seiner eigenen Regierung: „Die Republik Korea ist eine liberale demokratische Nation, und wir stehen an der Seite des Volkes, um die liberale Demokratie zu verteidigen, und werden uns dieser Erklärung des Kriegsrechts entschieden widersetzen“, erklärte Parteichef Han Dong Hoon.

Präsident beschuldigt die Opposition

Es war das erste Mal seit Südkoreas Übergang zur Demokratie Ende der 1980er Jahre, dass der Präsident des Landes das Kriegsrecht verhängte. Zuvor war Südkorea nach Erlangung seiner Unabhängigkeit von Japan im Jahr 1945 überwiegend von Militärdiktaturen regiert worden. Im Frühjahr 1980 verhängte der damalige Militärdiktator Chun Doo Hwan das bislang letzte Mal das Kriegsrecht.

Infolge des nun von Yoon verhängten Ausnahmezustands waren kurzzeitig sämtliche politischen Aktivitäten in Südkorea verboten. Auch die Tätigkeit von Medien und Verlagen schränkte der 63-Jährige damit faktisch ein. „ “

In einer live im Fernsehen ausgestrahlten Rede argumentierte Yoon, das Kriegsrecht ziele auf „den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung der Freiheit“ ab. „Gestern Abend um 23 Uhr habe ich den Ausnahmezustand ausgerufen, in der festen Absicht, die Nation vor den staatsfeindlichen Kräften zu schützen“, sagte er. Yoon beschuldigte die Opposition, mit dem kommunistischen Regime in Nordkorea zu sympathisieren.

Da der Korea-Krieg 1953 mit einem Waffenstillstand und nicht mit einem Friedensvertrag endete, befindet sich Südkorea formell bis heute im Kriegszustand mit dem nördlichen Nachbarn. Für die politische Rechte, der Yoon angehört, ist es ein gängiger Vorwurf, das linke Lager als kommunistisch und „pro-nordkoreanisch zu diffamieren.“

Yoon kämpft gegen schlechte Umfragewerte

Yoons Vorgehen dürfte Experten zufolge innenpolitisch motiviert sein. Die Umfragewerte des unpopulären Präsidenten sind seit Monaten miserabel. An Wochenenden gingen zuletzt vermehrt Demonstranten in der Innenstadt von Seoul auf die Straßen, um seine Amtsenthebung zu fordern. Zudem gibt es seit längerem Korruptionsvorwürfe gegen seine Ehefrau. Gleichzeitig stritten Regierungslager und Opposition über den Staatshaushalt fürs kommende Jahr.

Yoon warf dem von der Opposition dominierten Parlament vor, durch Anträge zur Amtsenthebung von Ministern und weiteren Amtsträgern die Regierungsgeschäfte behindert zu haben. Seit dem Antritt der Regierung im Mai 2022 habe die Nationalversammlung 22 Amtsenthebungsanträge gestellt.

Im südkoreanischen Staatssystem hat der Präsidenten eine starke Rolle. Auch der Ministerpräsident ist ihm deutlich untergeordnet. Die Macht des direkt gewählten Präsidenten ist also vergleichsweise umfassend, allerdings darf er nach einer einmaligen, fünfjährigen Legislaturperiode nicht wiedergewählt werden. Angesichts des öffentlichen Drucks halten es Experten für unwahrscheinlich, dass Yoon bis zum Ende seiner Legislaturperiode 2027 im Amt bleiben wird.

Trotz der Proteste vor dem Parlament blieb die Lage bis auf ein paar kleinere Rangeleien friedlich. Die deutsche Botschaft in Seoul sah zunächst „keine unmittelbare Gefahr für die persönliche Sicherheit und das Eigentum ausländischer Staatsangehöriger.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Landtagswahlen Baden-Württemberg 2026: AfD liegt vor den Grünen – eine Partei gewinnt noch mehr
09.05.2025

Die AfD überholt erstmals laut Insa-Umfrage die grüne Partei in Baden-Württemberg, die seit 13 Jahren regiert und die größte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Ghettobildung nimmt zu
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...