Warnung vor russischem Angriff ab 2028
Wann greift Russland die EU an? Hat Russland das überhaupt vor? Europäische Geheimdienste jedenfalls warnen laut EU-Außenbeauftragter Kaja Kallas vor einem möglichen russischen Angriff ab dem Jahr 2028. "Viele unserer nationalen Geheimdienste teilen uns mit, dass Russland in drei bis fünf Jahren die Verteidigungsbereitschaft der EU testen könnte", sagte die frühere estnische Regierungschefin bei einer Veranstaltung der Europäischen Verteidigungsagentur in Brüssel. Die EU müsse nicht nur Geld ausgeben, um Krieg zu verhindern, sondern sich auch selbst durch Aufrüstung und Manöver auf einen Krieg vorbereiten.
"Das Versäumnis Europas, in militärische Fähigkeiten zu investieren, sendet ein gefährliches Signal an den Aggressor", unterstrich Kallas. "Schwäche lädt ihn ein." Sicherheitsexperten und westliche Politiker warnen, dass Russland noch in diesem Jahrzehnt einen weiteren Krieg in Europa beginnen könnte. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wird zugetraut, den Westen auf die Probe zu stellen, möglicherweise mit einem Angriff auf eines der Länder an der Ostflanke der Nato
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert daher, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden - während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich auf die Wahlkampf-Fahne geschrieben hat, Russland nicht zu provozieren durch weitere Waffenlieferungen und Finanzhilfen an die Ukraine.
Wie wichtig ist es für Deutschland, kriegstüchtig zu sein?
Ein Angriff auf Mitgliedsländer des westlichen Militärbündnisses sei aktuell nicht wahrscheinlich – aber in fünf bis acht Jahren möglich. "Spätestens Ende dieses Jahrzehnts dürften russische Streitkräfte in der Lage sein, einen Angriff auf die Nato durchzuführen", sagte auch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl. Der Kreml sehe auch die Bundesrepublik Deutschland als Gegner. Auch die Nato nimmt die Bedrohung ernst: Beim Manöver "Steadfast Noon" testete das Militärbündnis im Oktober 2024 seine Verteidigungsfähigkeit mit Atomwaffen. Beteiligt waren auch Kampfjets, die in der Lage sind, in Europa stationierte US-Atombomben zu transportieren.
Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben
US-Präsident Donald Trump habe recht, wenn er sage, dass die Europäer nicht genug Geld für Verteidigung ausgäben, so Kallas. Im vergangenen Jahr hätten die EU-Mitgliedstaaten im Durchschnitt 1,9 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben. Russland hingegen gebe neun Prozent aus. Details zu möglichen Plänen Russlands nannte Kallas nicht. Sie äußerte jedoch die Einschätzung, dass die Ukraine der EU mit ihrem Abwehrkrieg gegen Russland derzeit noch Zeit kaufe.
Mit Blick auf die Unterstützung der EU für die Ukraine kündigte sie an, dass derzeit an einem 16. Paket mit Russland-Sanktionen gearbeitet werde und sie sich für eine effizientere Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte für die Ukraine einsetzen wolle. Den Wert der bislang von EU-Staaten geleisteten Militärhilfen bezifferte sie auf knapp 50 Milliarden Euro. Bis zum Ende des kommenden Monats werde man zudem bereits 75.000 ukrainische Soldaten ausgebildet haben, sagte sie.
Was hat Russland vor?
Seit Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine trifft das Putin-Regime immer wieder widersprüchliche Aussagen zu seinen militärischen Plänen. Einerseits hat es die Befürchtungen westlicher Politiker vor einem russischen Angriff mehrfach als Desinformation bezeichnet. Es sei der Westen, der Russland bedrohe, so die Machthaber in Moskau. Präsident Putin hat in der Vergangenheit vor einem neuen atomaren Wettrüsten gewarnt und Gespräche der Atommächte über neue Abrüstungsinitiativen vorgeschlagen.
Andererseits droht Russland immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen die Ukraine – und sogar gegen Nato-Staaten. Im November 2024 hat Putin eine neue Nukleardoktrin gebilligt. Demnach darf ein Nuklearschlag nun auch als Reaktion auf einen Angriff mit konventionellen Waffen genehmigt werden, wenn dieser von einer Atommacht ausgeht, so der Kreml.
Russland richtet sich damit gegen die Entscheidung der USA und offenbar auch Großbritanniens, der Ukraine den Einsatz weitreichender Raketen auf Ziele in Russland zu gestatten. Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, kündigte an, es werde Vergeltung an den Ländern geübt, die Angriffe mit westlichen Langstreckenwaffen auf russisches Territorium erlaubten. Man werde die Aggressionen einzelner Staaten außerdem als Aggressionen gesamter Bündnisse werten. Der anhaltende Krieg gegen die Ukraine und die Drohungen bleiben auch in Deutschland nicht ohne Wirkung. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat einer Umfrage im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz zufolge Angst vor einem Einsatz von Atomwaffen infolge eines bewaffneten Konflikts.
Wie hoch schätzen Experten die Gefahr durch Russland ein?
Viele Sicherheitsexperten sehen in Putins Russland eine reale Gefahr. Einer von ihnen ist der Militärexperte Pavel Luzin. Er lebt in den USA und ist Senior Fellow des "Democratic Resilience Program" am Center for European Policy Analysis. "Russland erklärt offen seine Absicht, die nach dem Kalten Krieg entstandene Weltordnung zu zerstören, Russland will eine neue Weltordnung", sagt Luzin. Das Land stelle eine militärische Bedrohung für die Nato und für alle europäischen Länder dar.
Markus Bayer vom Bonn International Centre for Conflict Studies betont, dass es hier nicht um "Panikmache" gehe. Der Krieg in der Ukraine zeige, dass das russische Regime bereit sei, "Kriege zu führen, um seine Ziele zu erreichen". Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine versucht der russische Präsident Putin zudem, den Westen mit atomaren Drohungen von der Unterstützung der Ukraine abzuhalten. Wegen des Wahlsiegs von Donald Trump wird auch über eine "europäische" Atombombe diskutiert, um die Abschreckung gegenüber Russland aufrechtzuerhalten – für den Fall, dass Trump als US-Präsident den Beistandspflichten seines Landes gegenüber Nato-Partnern nicht nachkommen sollte.
"Die Staaten, die mit Russland oder der Sowjetunion eine Erfahrung haben, die warnen alle. Bei denen sind alle Lichter auf Rot und auf Alarm gestellt. Das gilt für Polen, das gilt für das Baltikum, das gilt aber auch für Tschechien oder andere Länder", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen glaubt zum Beispiel, dass Russland innerhalb von drei bis fünf Jahren ein Nato-Land angreifen könne. "In anderen Ländern, wenn Sie nach Polen gucken, die sagen, drei Jahre", sagt Mölling. Diese Debatte sei jetzt schon ein paar Monate her.
"Seitdem hat sich auf der einen Seite verändert, dass die russische Kriegswirtschaft deutlich besser läuft. Auf der anderen Seite wissen wir nicht, wie lange Russland das finanziell durchhalten kann. Auch das muss man immer sagen. Da gibt es Unbekannte in solchen Analysen. Aber insgesamt gibt es keinen Grund, nicht beunruhigt zu sein", sagt Mölling. Es gehe den Russen nicht darum, ganz Nato-Europa einzunehmen, sondern darum, "einen militärischen Impuls zu setzen und darauf zu warten, dass sich die Nato und auch die Europäische Union politisch über die Frage zerstreiten, ob deutsche und französische Soldaten für Vilnius sterben sollen oder nicht." Möllings Einschätzung: "Das sind irgendwo zwischen fünf und neun Jahren oder sechs und neun Jahren, irgendwas so um den Dreh, die Russland braucht, um kriegsfähig und auch angriffsfähig zu sein gegenüber dem Nato-Territorium."
Zur Kriegsfähigkeit Russlands sagt Mölling: "Russland ist zurzeit militärisch in der Ukraine gebunden. Wenn diese Bindung aber aufhört, sei es durch einen Waffenstillstand oder weil die eine oder die andere Seite gewinnt, was auch immer das ist, dann hat Russland die Möglichkeit, seine Kriegswirtschaft, die wir jetzt ja schon sehen, dass die läuft und immer schneller läuft, dass das, was da als Output rauskommt, also Panzer, Raketen und so weiter und so fort, umzusteuern und die leeren Strukturen, die es mittlerweile hat, weil natürlich viele Menschen verloren sind, viele Soldaten verloren sind, wieder aufzufüllen."
Russische Sabotage
Lange drehten sich die Diskussionen hierzulande darum, ob Deutschland mit dieser oder jener Unterstützungsleistung Kriegspartei werden könnte und Putin uns dann angreifen dürfte. Dabei ist das eine Nebelkerze, weil es nach dem modernen Völkerrecht vielmehr darauf ankommt, dass Russland der Aggressor ist und andere Staaten der Ukraine bei ihrer legitimen Selbstverteidigung bis zur Grenze der Erforderlichkeit beistehen können – und die ist noch lange nicht erreicht. Seit einigen Monaten beobachten nicht mehr nur die westlichen Nachrichtendienste, sondern die breite Öffentlichkeit eine wachsende Zahl mutmaßlich russischer Sabotagehandlungen insbesondere gegen europäische Infrastrukturen. Könnte es sein, dass sich Deutschland und Europa längst einem russischen Angriff ausgesetzt sehen? Ab welchem Punkt haben wir es rechtlich gesehen mit einer Aggression zu tun?
Der hybride Krieg: Politik der tausend Nadelstiche
Viel spricht dafür, dass Putin eine Sicherheitspolitik der tausend Nadelstiche verfolgt, indem er durch wohldosierte Eskalation die Grenzen des Möglichen schleichend verschiebt und glaubwürdige Reaktionen des Westens insbesondere durch nukleare Drohungen unterbindet. Sicherheitspolitische Analysten wie Minna Ålander vom Finnish Institute of International Affairs haben bereits 2024 davon gesprochen, dass Russland in Europa de facto längst einen hybriden Krieg führt, der über Cyberangriffe und Sabotageaktionen hinausgeht, mit dem Ziel, Europa zu destabilisieren.
Rechtliche und praktische Konsequenzen hybrider Angriffe
Wann wird Deutschland Kriegspartei? Liegt eine Aggression im völkerrechtlichen Sinne gegen Deutschland vor, betrachtet die Mehrheit der deutschen Staatsrechtslehre dies auch als einen Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt im Sinne von Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG, schreibt die "Legal Tribune Online". Dort heißt es weiter: "Ein solcher Angriff ist Voraussetzung für die Feststellung des Verteidigungsfalls durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats." Diese Feststellung erfolge auf Antrag der Bundesregierung und erfordert eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, mindestens jedoch die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages (Art. 115a Abs. 1 Satz 2 GG). Sind die zuständigen Verfassungsorgane nicht handlungsfähig, gilt die Feststellung des Verteidigungsfalls ab dem Zeitpunkt des Angriffsbeginns als getroffen (Art. 115a Abs. 4 Satz 1 GG).
Der Verteidigungsfall begründet den extremen äußeren Notstand der Bundesrepublik und zielt auf die Existenzsicherung des demokratischen Gemeinwesens gegenüber äußeren Feinden. Er führt zu einer Konzentration der Macht in der Bundeszentralgewalt und zur Anwendung bestimmter Notstandsgesetze, die nur in diesem Ausnahmefall greifen. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Feststellung des Verteidigungsfalls beschränkt sich auf die Einhaltung der staatsorganisationsrechtlichen Verfahrensschritte; eine materielle Kontrolle, ob ein Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt tatsächlich vorliegt, wird nach überwiegender Auffassung nur im Fall von Missbrauch untersucht.
Beistandsverpflichtungen in Nato und EU
Die Feststellung einer Aggression gegen das Bundesgebiet hat auch völkerrechtlich Bedeutung für die Systeme kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG), denen sich die Bundesrepublik angeschlossen hat. Nach Art. 5 des Nordatlantikvertrags wird ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere der Mitgliedstaaten in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen alle angesehen. Der Bündnisfall begründet die Pflicht der Nato-Mitgliedstaaten, sich gegenseitig Beistand zu leisten, was jedoch nicht zu einem Automatismus führt und insbesondere keine zwingende militärische Hilfeleistung nach sich zieht. Insofern lebt die Nato von der Glaubwürdigkeit dieses Versprechens. Eine rechtlich strengere Beistandsverpflichtung ergibt sich aus Art. 42 Abs. 7 Satz 1 EUV, wonach im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten ihm – im Einklang mit Art. 51 UN-Charta – alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung schulden.
Aggressionsbegriff der UN
Wann jedoch liegt eine Aggression im rechtlichen Sinne vor? Nach dem völkerrechtlichen Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta haben Staaten in ihren internationalen Beziehungen jede Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet ist oder die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Die UN-Generalversammlung fasste 1974 eine detailliertere Definition des Aggressionsbegriffs und erklärte insbesondere bestimmte Einzelhandlungen als Angriffshandlungen, wie etwa die Invasion oder den Angriff der Streitkräfte eines Staates auf das Hoheitsgebiet eines anderen, den Angriff auf die Streitkräfte eines anderen Staates oder das Entsenden bewaffneter Gruppen, wenn diese mit Waffengewalt gegen einen anderen Staat vorgehen (wie etwa die russischen "grünen Männchen", die 2014 auf der Krim erschienen). Auch die Beschießung oder Bombardierung des Hoheitsgebiets eines Staates durch Streitkräfte eines anderen Staates zählt hierzu.
Militärausgaben und militärische Bereitschaft
Laut dem Stockholmer International Peace Research Institute (SIPRI) investiert Russland 16 Prozent der gesamten Staatsausgaben in das Militär, was knapp sechs Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Innerhalb der Nato wird seit Jahren über die Verteidigungsausgaben gestritten, da einige Mitgliedsstaaten nicht die vereinbarten zwei Prozent des BIP in ihre Streitkräfte investieren.
Auch Alexander Lurz, Experte für Frieden und Abrüstung bei der Umwelt- und Friedensorganisation Greenpeace, sagt: „Es ist definitiv eine Bedrohung, die von Russland ausgeht.“ Er betont, dass die Nato mit insgesamt 3,3 Millionen aktiven Soldaten grundsätzlich besser aufgestellt sei als die russische Armee – insbesondere, da Russland von seinen etwa 1,2 Millionen Soldaten bereits Hunderttausende im Ukrainekrieg verloren hat. Ähnlich verhalte es sich bei Waffen. Diese Verluste könnten selbst durch eine Hochrüstung der russischen Rüstungsindustrie nur über Jahre ausgeglichen werden. Markus Bayer vom Bonn International Centre for Conflict Studies äußert, dass die Bundeswehr insgesamt gut ausgerüstet sei: „Es gibt natürlich Mängel in der Bundeswehr, ohne Frage, aber diese werden häufig übertrieben, und solche Mängel gibt es auch in vielen anderen Armeen.“ Es gebe Lücken, die geschlossen werden müssten. Bayer betont jedoch, dass die Bundeswehr keinesfalls „kaputtgespart“ sei. Deutschland hat den siebtgrößten Militäretat weltweit.
Aktuelle Bedrohungen für Deutschland?
André Bodemann, Generalleutnant des Heeres der Bundeswehr und Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, sagt, dass wir uns „in einer Phase befinden, in der wir noch keinen Krieg haben, juristisch auch nicht, aber schon lange nicht mehr in Frieden sind, weil wir täglich bedroht werden.“ Bodemann nennt vier Kategorien von Aggression gegen Deutschland: Cyberangriffe, gezielte Desinformation (insbesondere über soziale Netzwerke), Spionage (beispielsweise durch russische Spionageschiffe in der Ostsee) und Sabotage. Bei letzterem führt er Anschläge auf Bahnstrecken und Bohrungen an LNG-Rohren als Beispiele an. In nicht jedem Fall ist belegt, dass diese Angriffe und Aktionen von Russland ausgehen.