Politik

Von der Außenministerin zur Hinterbänklerin: Baerbock verzichtet auf Grünen-Fraktionsvorsitz - was steckt dahinter?

Ihren Sitz im Bundestag hat Annalena Baerbock bereits angenommen. Doch Fraktionsvorsitzende der Grünen möchte die Noch-Außenministerin in der neuen Legislatur nicht werden. Die Hintergründe für diese Entscheidung legt Baerbock in einem Schreiben dar.
06.03.2025 06:00
Lesezeit: 3 min

Baerbock verzichtet auf Spitzenamt in der Grünen-Fraktion

„Auch wenn die Rollen sich ändern, ist dies kein Abschied“, so Annalena Baerbock, die nach Jahren auf „Highspeed“ zurückschalten möchte. Aus persönlichen Gründen nehme sie keine Führungsrolle in der Grünen-Bundestagsfraktion ein, heißt es in einem Schreiben an die Fraktion und den Grünen-Landesverband Brandenburg.

Baerbock war als neue Co-Fraktionschefin gehandelt worden. Sie habe ein paar Tage nachdenken wollen, „was dieser Moment für meine Familie und mich bedeutet“, so Baerbock. Schließlich entscheidet sie sich für einen Rollenwechsel und verzichtet auf diese Spitzenposition bei den Grünen.

Immer alles gegeben

Seit 2008 habe sie bei den Grünen politische Verantwortung getragen, schreibt die 44-jährige Baerbock. „In all dieser Zeit habe ich immer alles gegeben.“ Und weiter: „Zugleich hatten diese intensiven Jahre auch einen privaten Preis. Daher habe ich mich aus persönlichen Gründen entschieden, erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen und mich für kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben.“ Ihren Sitz im Bundestag hat Baerbock bereits angenommen. Beim Parteivorstand steht keine Wahl an. Baerbock betont: „Auch wenn die Rollen sich ändern, ist dies kein Abschied.“

Im November hatten Baerbock und ihr Ehemann Daniel Holefleisch ihre Trennung bekanntgegeben. Für die beiden Töchter, die heute 9 und 13 Jahre alt sind, möchten beide weiter gemeinsam sorgen. Auch im gemeinsamen Zuhause in Potsdam wollte die Familie weiter wohnen.

Derzeit ist Baerbock Außenministerin in der scheidenden rot-grünen Minderheitsregierung - ein Amt, das sie sehr gerne behalten hätte. Noch am Wahlabend war sie als wahrscheinliche neue Grünen-Fraktionschefin gehandelt worden, neben der amtierenden Katharina Dröge vom linken Flügel. Nun dürften Dröge und ihre Co-Vorsitzende Britta Haßelmann, die gerade erst kommissarisch im Amt bestätigt wurden, die Fraktion gemeinsam weiter führen. Beide stehen Baerbock nahe. „Mit zwei starken Frauen an ihrer Spitze beginnt jetzt ein neues Kapitel für unsere Fraktion“, schreibt sie.

Sorge um die Familie

In einer über mehrere Jahre geführten Interview-Serie, die das „Zeit“-Magazin im Januar veröffentlichte, schilderte Baerbock die Belastungen, die das Amt als Außenministerin für ihre Familie mit den beiden Töchtern bedeutete. Im Juli 2023 berichtete sie, ihre Kinder hätten zwischendurch auch Sicherheitsschutz benötigt. Sie habe sich gefragt: „Wie viel kann ich meiner Familie zumuten?“

Im September schilderte Baerbock dem „Zeit“-Magazin einen Vorfall mit einem Stalker, den eine ihrer Töchter miterleben musste. „Und natürlich schwirrt da wieder die Sorge, dass richtig was kaputtgeht oder schon kaputtgegangen ist“, sagte sie damals.

Baerbock und Habeck prägten die Grünen

Bereits am Tag nach der Bundestagswahl hatte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck seinen Rückzug aus der ersten Reihe angekündigt. Baerbock, die ihn als Spitzenkandidatin unterstützt hatte, ließ sich mehr Zeit. Mit Habeck als Co-Parteichef hatte Baerbock die Partei zwischen 2018 und 2022 breiter aufgestellt: Die Grünen sollten zu einer Art Volkspartei mit mehreren möglichen Koalitionspartnern werden.

Auch nach ihrem Wechsel in Ministerämter blieben Baerbock und Habeck die dominierenden Köpfe ihrer Partei. „Wir haben heute fast 100.000 Mitglieder mehr als Anfang 2018, dem Zeitpunkt an dem Robert Habeck und ich als Bundesvorsitzende gewählt wurden. Wir regieren weiter erfolgreich in sieben Bundesländern“, schreibt sie.

Die erste Kanzlerkandidatin der Grünen

Als erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei hatte Baerbock die Grünen 2021 in den Bundestagswahlkampf geführt. Auf einen verpatzten Wahlkampf folgte ein Ergebnis, das im Vergleich zu den Umfragen einige Monate zuvor bescheiden ausfiel. Ihr Buch wurde nach Plagiatsvorwürfen schließlich nicht mehr gedruckt. In der Ampel-Regierung mit SPD und FDP wurde Baerbock Außenministerin und setzte auf feministische Außenpolitik, zum Stolz vieler Parteifreunde. Bei Parteitagen stritt sie für die von vielen Grünen kritisierte EU-Asylreform und setzte sich durch.

Nach dem enttäuschenden Ergebnis von 11,6 Prozent bei der Bundestagswahl diskutieren die Grünen über Konsequenzen. Vertreter des linken Parteiflügels fordern unter Verweis auf Verluste an die Linkspartei eine liberalere Migrationspolitik und einen stärkeren Fokus auf soziale Themen. Realos hingegen betonen, dass gerade Habeck mit seinem Mitte-Kurs, der auf frühere Wähler von CDU-Kanzlerin Angela Merkel zielte, der Partei noch im Wahlkampf einen Mitgliederboom beschert habe. Zudem hätten die Grünen auch Stimmen an die Union verloren.

Zum Abschied hat sie einen Ratschlag

In ihrem Schreiben zählt Baerbock Punkte auf, die sie als Erfolg der Grünen in der ungeliebten Ampel-Regierung verbucht, darunter die Sicherung der Energieversorgung und Lockerungen beim Staatsbürgerschaftsrecht. „Und bei all dem sind wir anständig geblieben im Ampelstreit - trotz all der Zumutungen, die das Regieren uns als Partei abverlangt hat. Mein unendlicher Dank gilt Euch allen dafür, dass wir immer in der Sache hart gestritten und dennoch loyal und freundschaftlich miteinander sein konnten.“ Das Wahlergebnis und der Tatsache, dass die Grünen nicht mehr regierten, schmerzten. „Noch mehr treiben mich die rechtsextremen Ergebnisse um und der Backlash gegenüber allem Progressiven.“

Den Grünen gibt Baerbock mit, sie würden die aktuellen Herausforderungen meistern, wenn sie auf ihren Erfolgen aufbauten und dazulernen wollten. „Denn in einer sich so rasant verändernden, ruchloseren Welt, werden die Rezepte von gestern die heutigen Herausforderungen nicht lösen. Wir werden den Weg fortsetzen, die Sicherung unserer Freiheit vor Parteitaktik zu stellen. Wir werden uns immer wieder schütteln und uns klar machen, dass in dieser turbulenten Welt unsere Rolle größer ist als wir selbst.“

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