Wirtschaft

Führen im Blindflug: Warum Unternehmen jetzt entschlossener handeln müssen

Geopolitik, Digitalisierung, Rezessionsangst – Unternehmen stehen unter massivem Druck. Doch wer auf alte Strategien setzt, verliert. Führungskräfte aus Industrie und Finanzwelt erklären, warum Flexibilität, klare Richtung und mutige Entscheidungen jetzt über die Zukunft entscheiden.
25.05.2025 09:48
Lesezeit: 3 min
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Führen im Blindflug: Warum Unternehmen jetzt entschlossener handeln müssen
Bei der Bahn war es üblich, mindestens 10 Jahre vorauszuplanen. Jetzt kann man kaum noch um die nächste Kurve schauen und muss schnell reagieren. (Foto: dpa) Foto: Christoph Soeder

Wenn die Spielregeln erst noch geschrieben werden, müssen unternehmerische Entscheidungen im Voraus getroffen werden – ohne alle Parameter zu kennen. Wie gelingt es, unter solchen Umständen die strategische Richtung zu halten, flexibel zu bleiben und Wandel in Wachstum umzuwandeln?

Diese Frage stellte Linas Dičpetris, Leiter des Beratungsbereichs von EY im Baltikum, in einer Diskussionsrunde mit Egidijus Lazauskas (CEO der staatlichen Eisenbahngesellschaft LTG), Leda Iržikevičienė (Leiterin des Litauen-Geschäfts der OP Corporate Bank), Andrius Pranckevičius (CEO von Kauno Grūdai) sowie Antanas Sagatauskas (Aufsichtsratsvorsitzender der VMG Group).

Wirtschaft im Krisenmodus

Dičpetris betont, dass die gegenwärtige Geschäftswelt von Volatilität, Unsicherheit und strukturellem Wandel geprägt ist. Fünf externe Faktoren dominieren: geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheit, technologische Disruption, Klimawandel und veränderte Erwartungen von Gesellschaft, Konsumenten und Mitarbeitern. Unternehmen müssten sich heute rasch anpassen.

Geopolitik und Sicherheitsfragen nehmen laut Dičpetris gegenwärtig breiten Raum ein: „Die USA ziehen sich zurück, China expandiert, es gibt mehrere militärische Konflikte. Die EU versucht, strategische Autonomie zu gewinnen. Zugleich gewinnen autokratische Regime an Einfluss, und die Demokratie steht unter realem Druck – eine besorgniserregende Gemengelage.“

Zudem herrsche wirtschaftliche Unsicherheit: Debatten über neue Zölle, hohe Inflation und Rezessionsängste prägen das Klima.

Fokus auf das Hier und Jetzt

Leda Iržikevičienė verweist auf eine aktuelle Kundenbefragung: 85 Prozent der Unternehmen im Baltikum fürchten steuerliche Veränderungen. Zu den größten Herausforderungen zählen darüber hinaus der Fachkräftemangel und ein sich wandelndes Konsumverhalten. „Der Blick richtet sich auf das, was den Betrieb konkret betrifft – hier und heute“, so Iržikevičienė.

Verkürzte Strategiezyklen sind das neue Normal

Egidijus Lazauskas betont, dass unternehmerischer Wandel längst permanent geworden sei. „Früher waren Zehn-Jahres-Pläne Standard, im Eisenbahnsektor sogar fünfzig Jahre. Heute arbeiten wir mit Fünf-Jahres-Horizonten, die jährlich überprüft werden. Das ist die neue Realität. Wer in diesem Umfeld nicht sofort reagiert, fällt zurück.“

Flexibilität als Überlebensprinzip

Andrius Pranckevičius berichtet von täglich wechselnden Rahmenbedingungen bei Handelspartnern in den USA. Die Zollpolitik ändere sich manchmal im Stundentakt – festgelegte Verfahren helfen da nicht mehr.

„Unsere Zollabteilung war tagelang im Krisenmodus. Entscheidungen mussten auch ohne perfekte Informationen schnell getroffen werden. In Litauen neigen wir dazu, Wandel als Bedrohung zu interpretieren – dabei eröffnet er gerade jetzt zahlreiche Chancen.“

Strategie in der Unsicherheit: Richtung halten – aber anpassungsfähig bleiben

Linas Dičpetris erkennt, dass das Thema Nachhaltigkeit politisch an Bedeutung verloren hat: „Die USA ziehen sich davon zurück, die EU setzt auf Entschärfung. Der langfristige Charakter nachhaltiger Strategien bleibt – trotz kurzfristiger Rückschläge.“

Antanas Sagatauskas warnt jedoch vor Illusionen: „Wenn die EU hohe Standards vorgibt, aber Länder wie China nicht mitziehen, verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit.“ Deshalb sei es wichtig, den strategischen Kurs zu halten – trotz der globalen Signale, die teils in die entgegengesetzte Richtung zeigen.

Zwischen Investitionsdruck und Standortlogik

Sagatauskas betont: „Wenn selbst die USA zur Ausweitung der Ölförderung aufrufen, stellt sich die Frage, ob wir überhaupt noch am gleichen Ziel arbeiten. Wir investieren weiter – doch es braucht klare Orientierung.“ Auch Iržikevičienė sieht langfristige Prinzipien wie den Green Deal oder wirtschaftliche Integration im Nordbaltikum als relevante Konstanten für die strategische Planung.

Der Moment des Umbruchs – und der Gelegenheit

Laut Dičpetris verändert nicht nur künstliche Intelligenz die Wirtschaft – auch Datenabhängigkeit, Automatisierung und personalisierte Dienstleistungen stellen Geschäftsmodelle grundsätzlich infrage.

Sagatauskas ergänzt: „Die Löhne werden weiter steigen – die Frage ist nur: auf wessen Kosten? Wer nicht automatisiert, wird untergehen.“

Auch im Transportsektor sieht Lazauskas Transformationschancen: Verbesserung der Kundenerfahrung und Stärkung der militärischen Mobilität stehen bei LTG im Fokus – inklusive Infrastrukturmaßnahmen für militärische Logistik.

Reindustrialisierung als Chance für Europa

Pranckevičius erkennt im Rückzug der Produktion aus Asien eine Chance für europäische Standorte, insbesondere in der Lebensmittelindustrie. Regionale Märkte, stabile Bedingungen und Nachhaltigkeit könnten entscheidende Vorteile bieten.

Führung gefragt – auch ohne Karte

Leda Iržikevičienė bringt es auf den Punkt: „Egal ob beim Thema KI oder Nachhaltigkeit – es braucht Mut zur Führung. Der gesamte nord- und osteuropäische Raum kann geopolitisch profitieren, wenn er jetzt entschlossen handelt.“

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