Politik

Brasilien: Militärpolizei ändert Taktik und verhaftet Aktivisten

Die Demonstrationen in Brasilien sind mit Beginn der WM deutlich kleiner geworden. Das liegt auch daran, dass die Militärpolizei dazu übergegangen ist, die Proteste im Keim zu ersticken. Ein Gespräch mit Filipe Peçanha, einer der Gründer des Reporter-Kollektivs „Medien-Ninjas“ aus Rio de Janeiro. Er wurde von der Militärpolizei in Rio festgenommen.
24.06.2014 00:45
Lesezeit: 2 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Filipe, was ist passiert? Wie und warum wurden Sie verhaftet?

Filipe Peçanha: Am 20. Juni hat wieder einmal eine unserer Demos stattgefunden. Wir haben die Veranstaltung #20J genannt. Wir wollten den ersten Jahrestag der Eroberung der Straßen von Rio durch Millionen von Bürgern gefeiert. Ich war in der Gegend von Candelária und wollte als freier Bürger Brasiliens alles live übertragen. Doch plötzlich stand ein Militärpolizist vor mir, der darauf bestand, mich zu durchsuchen. Er hat mich beschimpft, mich als Terrorist beschimpft. Und: Er sagte, es bestehe der dringende Verdacht, dass ich Sprengstoff in meinem Rucksack mitführe. Ich habe ihm mein Rucksack übergeben, damit er ihn durchsuche. Im Rucksack hat er ein Laptop-Auflade-Gerät gefunden, das er prompt als „Bombe“ identifiziere. Folge: Ich wurde verhaftet und in die Polizeistation geführt. Eine absurde Situation, aber leider nichts Außergewöhnliches. Ich war leider kein Einzelfall. Viele andre erlitten ähnliche Schicksale: Sie aus völlig fadenscheinigen Gründen verhaftet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das die gängige Praxis der brasilianischen Militärpolizei? Demonstrationen zu verhindern, bevor sie überhaupt zustande kommen?

Filipe Peçanha: Ja. Die Taktik der Militärpolizei ist es, die Straßen frei zu halten. Ihr Ziel ist es, mögliche Demonstrationen im Keim zu ersticken und die gesellschaftlichen Gruppen zu unterdrücken. Das Ziel ist es, die Bürger einzuschüchtern. Sie sollen Angst davor haben, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. All das widerspricht geltenden brasilianischen Gesetzen. Es widerspricht der brasilianischen Verfassung von 1998. Den Bürgern werden elementarste Rechte verwehrt, nämlich das Recht auf die Straße zu gehen und ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Die Militärpolizei setzt die Vorgaben der Bundesregierung in Brasilien, aber auch der Regierung in den Bundesstaaten um. Es ist einfach absurd!”

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es stehen ja Präsidentschaftswahlen im Oktober an. Was erwarten Sie?

Filipe Peçanha: „MídiaNINJA” wird weitermachen, auch über die Fußball-WM hinaus, Wir sind uns darüber bewusst, dass das eine besonderer Moment der Geschichte Brasiliens ist. Wir befinden uns mitten im einem Turnier, das sehr gefräßig und korrupt ist Wir wollen all die Widersprüche, all die Ungerechtigkeiten bloß legen. Das sind wir unserem Land und seinen Menschen schuldig. Und, klar: Nach der WM fängt auch bald der brasilianische Wahlkampf an. Da wollen wir dabei sein, da wollen wir eingreifen, da wollen wir ein Wörtchen mitreden…

 

Das Akronym „Ninja“ steht für „Narrativas Independentes, Jornalismo e Ação” („Unabhängige Berichterstattung, Journalismus, Aktion“). Dahinter verbirgt sich eine Gruppe von jungen „Guerilla-Reportern“, die Tag und Nacht in brasilianischen Städten unterwegs sind, um von den Protesten zu berichten. Wann und wo ein neues Video zu sehen ist, erfährt man über Facebook oder über Twitter.

Das Video zur Verhaftung:

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Das andere Tagebuch:

Teil 1: Die Revolution hat in Brasilien Feuer gefangen

Teil 2: Brasilien: Künstler protestieren gegen die Fußball-WM

Teil 3: Brasilien: Von der Fußball-WM profitieren Konzerne, Politiker und Banken

Teil 4: Weltmeister: Deutsche Waffen-Industrie verdient prächtig mit der Fußball-WM

Teil 5: Brasilien: Staudamm-Bau mit Methoden einer Militär-Diktatur

Teil 6: Wer ist die rätselhafte Dilma Rouseff?

Teil 7: Brasilien: Straßenkinder passen nicht ins Bild der WM – und verschwinden

Teil 8: Der ganz andere WM-Song:  „Öffnet eure Augen, Brüder / die FIFA greift in unsere Taschen“

Teil 9: Brasilien: Fifa unterstützt Projekte gegen Kinderprostitution nicht

Teil 10: Lage in São Paulo eskaliert: Polzei knüppelt streikende U-Bahn-Fahrer nieder

Teil 11: Der Schwarze Block will marschieren: „20 Prozent der Brasilianer sind gegen die WM“

Teil 12: Korruption bei der Fifa: „Wer einmal die Hand aufhält, versucht es auch ein zweites Mal“

Teil 13: Brasilianischer Fußball: Der lange Weg zur Vielfalt der Kulturen

Teil 14: Fußball: „Für die Brasilianer ist die Fifa so böse wie der IWF“

Teil 15: Schriftsteller Zé do Rock: „Sepp Blatter wäre der ideale Präsident für Brasilien“

Teil 16: „Die Demonstranten haben das Image von Brasilien verändert“

Teil 17: Das Foto, das den Zorn der Brasilianer auf die Fußball-WM entfacht hat

Teil 18: Kein gutes Geschäft: Fußball-WM schadet Brasiliens Mittelstand

Teil 19: Brasilianische Militärpolizei stürmt WM-Partys in den Armenvierteln

Teil 20: Mieten und Immobilien-Preise explodieren wegen der WM

Teil 21: Fußball-WM: Die Bilder aus Brasilien, die die Welt nicht sehen soll

Teil 22: Umwelt-Skandal: Eine Gemeinde in Brasilien kämpft gegen ThyssenKrupp

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