Deutschland

Gewalt gegen Schiedsrichter: Sportgericht sperrt fast komplette Mannschaft von Kreisligist

Ein Sportgericht hat fast die gesamte Mannschaft des Kreisligisten BV Altenessen II wegen einer Hetzjagd auf einen Schiedsrichter gesperrt. Der DFB verurteilt kürzlich in einem offenen Brief die Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfußball. Polizei und Justiz werden darin schwere Vorwürfe gemacht.
30.10.2019 11:17
Aktualisiert: 30.10.2019 11:22
Lesezeit: 3 min

Drakonische Strafe gegen den Essener Fußball-Kreisligisten BV Altenessen II: Nach Attacken von zehn Spielern gegen einen Schiedsrichter wurden drei Spieler für jeweils zwei Jahre gesperrt, die restlichen sieben Akteure wurden für ein Jahr aus dem Verkehr gezogen, und auch der Trainer wurde mit einer Sperre für ein halbes Jahres belegt. Nur zwei Spieler hatten sich nicht an der Schiri-Hetzjagd beteiligt.

Das bestätigte Jürgen Dirnberger, der Vorsitzende des Kreissportgerichts (KSG), auf SID-Anfrage. Das Urteil erging schon am 5. November, allerdings verzichtete inzwischen der BV Altenessen auf Rechtsmittel; das Urteil ist damit rechtskräftig.

Die Spieler von Altenessen hatten bei der Partie am 13. Oktober in Essen förmlich Jagd auf den Referee über den ganzen Platz gemacht und den Unparteiischen in die Kabine getrieben. Dort drangen drei Spieler ein und attackierten den Referee. Die Mannschaft des BV Altenessen II wurde inzwischen vom Spielbetrieb in der Kreisliga C, Gruppe 3, in Essen zurückgezogen.

Die Führung des Deutschen Fußball-Bundes hat vor Kurzem die zunehmende Gewalt gegen Amateur-Schiedsrichter scharf verurteilt und den ehrenamtlichen Unparteiischen die volle Unterstützung zugesagt. „Die zahlreichen Gewalttaten, Respektlosigkeiten und Übergriffe gegen Schiedsrichter auf den Amateurplätzen schockieren auch uns, wir sind bestürzt, fassungslos und betroffen“, heißt es in einem von Präsident Fritz Keller, den Vizepräsidenten Rainer Koch und Ronny Zimmermann sowie Generalsekretär Friedrich Curtius unterzeichneten Offenen Brief.

Jeder Vorfall „sei einer zu viel, jede Form von Gewalt sei nicht akzeptabel“, schrieb die DFB-Spitze weiter. „Angriffe auf den Schiedsrichter sind Angriffe auf den Fußball. Und das muss, da gibt es keine zwei Meinungen, aufhören!“

Es müsse alles dafür getan werden, die Schiedsrichter in den unteren Spielklassen zu schützen. „Wir als Dachverband werden die Landesverbände und die Schiedsrichter-Ausschüsse uneingeschränkt bei allem unterstützen, was dazu dient, dass möglichst alle Fußballspiele in Deutschland wieder gewaltfrei stattfinden“, kündigte der DFB an und versicherte den Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern: „Wir lassen Sie nicht allein!“

Zugleich appellierten Keller & Co. an die staatlichen Institutionen, gegen die zunehmende Gewalt mit aller Schärfe vorzugehen. „Gefragt ist nicht nur die Sportgerichtsbarkeit, sondern vor allem Polizei, Justiz und auch die Politik. Fußballplätze sind keine rechtsfreien Räume“, hieß es. Und weiter: „Von den Staatsanwaltschaften und der Polizei wünschen wir uns mitunter einen größeren Ermittlungseifer, wenn es um Straftaten auf dem Fußballplatz geht.“

Am vergangenen Wochenende streikten die Berliner Schiedsrichter wegen der zunehmender Gewalt gegen Referees, ab der 6. Liga fand keine Partie statt. Erst am vorigen Sonntag war ein 22 Jahre alter Unparteiischer in der Partie des FSV Münster gegen TV Semd in der hessischen C-Liga Dieburg von einem Spieler der Gastgeber bewusstlos geschlagen worden und musste mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden.

Die brutale Prügelattacke hatte die Dauerdiskussion um die Sicherheit der Amateur-Schiedsrichter angefacht. Nach zunehmenden verbalen und körperlichen Angriffen haben viele ehrenamtliche Referees null Bock auf die Pfeife, seit 2011 geht die Gesamtzahl der Unparteiischen in Deutschland drastisch zurück. Viele Schiedsrichter geben auf, sie wollen sich nicht von Spielern oder Zuschauern anpöbeln lassen. Auch Freizeit und Ehrenamt - das passt für junge Menschen oft nicht mehr zusammen.

Das Problem bei den Schiedsrichtern in den unteren Klassen ist nicht deren Gewinnung - doch viele geben das Ehrenamt nach kurzer Zeit frustriert wieder auf. «Wir haben eine hohe Abbrecherquote – darunter viele Schiedsrichterkolleginnen und -kollegen, die in ihrer Anfangszeit so schlechte Erfahrungen machen, dass sie die Lust am Pfeifen schnell wieder verlieren und aufhören», sagte Norbert Richter, Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses im Schleswig-Holsteinischen Fußball-Verband, dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag.

Ob Gewalt oder Drohungen signifikant dazu beigetragen haben, dass die Gesamtzahl der Schiedsrichter in Deutschland seit 2011 drastisch zurückging, lässt sich nicht belegen. Die Statistik spricht dennoch Bände: Gab es am 1. Januar 2011 laut DFB 78 455 Schieris, so waren es am 1. Januar 2015 noch 71 521 und am Ende der Saison 2015/16 nur noch 59 482. Mit Stichtag 30. Juni 2019 haben insgesamt 56 680 Unparteiische gepfiffen, ein Verlust von fast 22 000 Schiedsrichtern in gut acht Jahren - oder 27,75 Prozent.

Der Trend bei der Ausbildung von Spielleitern war bis 2015/16 (8115) relativ stabil. Seither konnten von den dafür zuständigen Vereinen aber immer weniger Unparteiische gewonnen werden: 2016/17 wurden 7645 Referees ausgebildet, in der Saison darauf nur noch 6537. Allerdings müssen diese Zahlen auch im Kontext zur Anzahl der Spiele und der abgebrochenen Partien betrachtet werden: Von rund 1,5 Millionen Fußballspielen in der Saison 2018/19 mussten nur 0,05 Prozent wegen eines Gewaltvorfalls vorzeitig beendet werden. Dies teilte der DFB Anfang Juli im Lagebericht des Amateurfußballs mit.

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