Deutschland und Frankreich haben einen Fahrplan für die weitere Reform der EU vorgeschlagen. Der Prozess unter Einbeziehung aller EU-Institutionen sowie von Experten und Bürgern solle Anfang kommenden Jahres beginnen und bis zur zweiten Jahreshälfte 2022 "greifbare und konkrete Ergebnisse" bringen, heißt es in einem Diskussionspapier, das der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag vorlag. Ziel sei es, Europa "geeinter und souveräner" zu machen.
Berlin und Paris greifen mit ihrem Plan für eine "Konferenz über die Zukunft Europas" Teile eines Vorschlags der künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf. Sie fordert einen Bürgerdialog zur EU-Reform zwischen 2020 und 2022.Das deutsch-französische Diskussionspapier wurde bereits an die anderen EU-Mitgliedstaaten verteilt. Es soll am Mittwoch beim Treffen der EU-Botschafter erstmals diskutiert werden.
Finden die Vorschläge weitgehend Zustimmung, soll der Plan Mitte Dezember beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs beraten werden. Im Januar soll dann das endgültige Konzept stehen.
In einer ersten Phase zwischen Februar und Juli 2020 würde es vor allem um institutionelle Fragen "zur demokratischen Funktion der EU" gehen. Dazu gehören laut dem Papier Vorschläge zu länderübergreifenden Kandidatenlisten bei Europawahlen und das bisher umstrittene Konzept von Spitzenkandidaten, die Anspruch auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten erheben könnten. Auch eine stärkere Bürgerbeteiligung an EU-Entscheidungen soll diskutiert werden.
Die zweite Phase soll sich dann ab Juli 2020 mit konkreten Politikfeldern befassen und damit mit Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr. Aufgezählt in dem Papier werden unter anderem die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Digitalisierung, Klimawandel, Migration, der Kampf gegen Ungleichheit, Rechtstaatlichkeit und europäische Werte sowie "unser Modell der sozialen Marktwirtschaft" einschließlich Handelspolitik und der Weiterentwicklung der Währungsunion.
Es solle "eine starke Beteiligung der Bürger" an dem Prozess geben, hieß es in dem Papier weiter. Dabei sollten die Ergebnisse der in mehreren EU-Ländern abgehaltenen Bürgerdialoge von 2018 einbezogen werden. Zusammen mit Einschätzungen von Experten solle dies in den Prozess einfließen. In der ersten Jahreshälfte 2022 und damit unter französischer EU-Ratspräsidentschaft soll es dann eine "Abschlusskonferenz" geben.
Geleitet werden sollen die Reformbemühungen durch eine "europäische Persönlichkeit". Nach Angaben der Website Politico, die als erstes über den Plan berichtete, ist in Brüssel der frühere belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt im Gespräch, der inzwischen im Europaparlament ist. Wer das Vorhaben leitet, soll nach dem Vorschlag von einer "kleinen Lenkungsgruppe" aus Experten beraten werden.
Die geplante Reform-Offensive könnte eine Reaktion der Regierungen auf den wachsenden Unmut innerhalb der europäischen Völker sein, welche sich in Frankreich beispielsweise in den monatelangen Proteste der Gelbwesten oder in den zunehmend starken Wahlergebnissen EU-kritischer oder nationaler Parteien manifestiert.