Finanzen

Bundesregierung einigt sich auf Minimalprogramm: Immer noch Erbsen-Zählerei angesichts der beginnenden Rezession

Lesezeit: 2 min
09.03.2020 16:00
Die Bundesregierung hat sich nach langen Verhandlungen auf ein Minimalprogramm zur Abfederung des Abschwungs geeinigt. Kurzfristig hilft dieses einigen Branchen und langfristig könnte es Wirkung erzielen, wenn alle Vorhaben eingehalten werden - ein signifikantes Konjunkturprogramm sehe aber anders aus, schreibt der Ökonom Michael Bernegger.
Bundesregierung einigt sich auf Minimalprogramm: Immer noch Erbsen-Zählerei angesichts der beginnenden Rezession
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Koalitionsausschuss der drei Regierungsparteien hat sich am Sonntagabend/Montagmorgen auf ein konjunkturpolitisches Maßnahmenpaket geeinigt. Es soll kurzfristig auf die Coronavirus-Epidemie reagieren, Voraussetzungen für ein längerfristiges Investitionsprogramm schaffen und symbolisch 1000 bis 1500 Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln übernehmen.

Im Zentrum steht die Ausweitung der Kurzarbeiter-Regelung. Diese wird in Deutschland aufgrund von ausgesprochen positiven Erfahrungen in der Vergangenheit als effizientes Instrument gegen kurzfristige konjunkturelle Schwierigkeiten angesehen. Dadurch können konjunkturbedingte Kündigungen vermieden werden.

Die neu beschlossenen Maßnahmen weiten die Auszahlung von Kurzarbeitergeld zeitlich und umfangmässig aus. Bisher übernimmt die Bundesagentur für Arbeit bis zu 67 Prozent des ausgefallenen Nettolohns, wenn ein Unternehmen Mitarbeitende in Kurzarbeit schickt. Neu werden auch die Sozialbeiträge für die ausgefallenen Arbeitsstunden übernommen, und zwar zu 100 Prozent. Zudem wird der Kreis der möglichen Kurzarbeiter ausgeweitet. Bisher wurde die Unterstützung nur gewährt, wenn mindestens ein Drittel der Belegschaft in Kurzarbeit geschickt wurde. Neu gilt die Regelung schon bei mindestens 10 Prozent. Darüber hinaus kann neu auch für Leiharbeiter Kurzarbeitergeld beantragt werden.

Insgesamt sollen damit konjunkturbedingte Kündigungen mit dem unvermeidlichen Verlust an Fachkräften und mit dem Vertrauensverlust in die Wirtschaftslage reduziert werden. Die Massnahmen sind vorläufig bis Ende Oktober 2020 befristet. Vor allem Unternehmen aus der Tourismus- und Kongress-Branche sollen damit über die zum Teil schweren Nachfrage-Einbrüche hinweg geholfen werden.

Neben diesen kurzfristig wirksamen Massnahmen sollen mittel- und langfristig bessere Bedingungen für die Investitionstätigkeit geschaffen werden. Die Bundesregierung will in den Jahren 2021 bis 2024 jährlich rund 3.1 Milliarden Euro mehr investieren, vor allem in Verkehrswege des Bundes und in den Bau bezahlbarer Wohnungen. Dieser jährliche Betrag entspricht ungefähr 0.1 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Deutschlands. Er ist also vernachlässigbar und nicht geeignet, Investitionsdefizite aufzuholen oder einen signifikanten nachfrageseitigen Impuls auszulösen. Dieser Betrag soll aus dem Überschuss des Bundes für das Finanzjahr 2019 finanziert werden.

Anders sieht es auf längere Frist aus. Da sollen zusätzliche 140 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2030 bereitgestellt werden. Das sind dann schon gewichtige Beträge. Um dieses Ziel einhalten zu können, sollen die Planungs- und Genehmigungsverfahren vor allem für den Verkehrs- und Digitalbereich zeitlich gestrafft werden, und zwar noch in der laufenden Legislaturperiode. Geprüft werden Möglichkeiten, die Gerichtsverfahren bei Einsprachen drastisch zu verkürzen. Bis Ende Juli 2020 will die Bundesregierung den Entwurf für ein solches Investitionsbeschleunigungs-Gesetz verabschieden.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein solches Gesetz auch durch den Bundesrat bestätigt werden muss. Unsicher ist, ob die Grünen dem zustimmen können, war es doch die rot-grüne Regierung, welche vor 20 Jahren das Instrument der Verbandsklage geschaffen hatte. Schmackhaft wird dies den Grünen durch das Argument gemacht, dass ohne die Einschränkung der Verbands- und Privatklage weder die Energie- noch die Verkehrswende noch der Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich geführt werden könnten. Als symbolisches Zeichen humanitärer Willigkeit sollen zusätzlich 1000 bis 1500 Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln nach Deutschland geholt werden.

Insgesamt macht die Stoßrichtung den Eindruck, dass vor allem längerfristig mehr investiert werden soll. Kurzfristig wird Unternehmen aus spezifisch betroffenen Branchen geholfen. Ein wesentliches Konjunkturpaket ist dies nicht. Von den Märkten wurde es auch kaum zur Kenntnis genommen. Der Dax fiel am Montagmorgen genau wie andere europäische Indizes um deutlich über 6 Prozent.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Robert Habeck sollte endlich die Kehrtwende vollziehen - im Heizungskeller Deutschlands
03.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Finanzen
Finanzen Wirtschaftsstandort in der Kritik: Deutsche Ökonomen fordern Reformen
03.05.2024

Deutschlands Wirtschaftskraft schwächelt: Volkswirte geben alarmierend schlechte Noten. Erfahren Sie, welche Reformen jetzt dringend...

DWN
Politik
Politik Rheinmetall-Chef: Deutschland muss Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erhöhen
03.05.2024

Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, drängt darauf, dass Deutschland seine Militärausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Indische Arbeitskräfte im Fokus: Deutschland öffnet die Türen für Fachkräfte
03.05.2024

Die Bundesregierung strebt an, einen bedeutenden Anteil der indischen Bevölkerung nach Deutschland zu holen, um hier zu arbeiten. Viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie lege ich mein Geld an – wichtige Tipps für Anfänger
03.05.2024

Die Tipps zur Geldanlage können wirklich spannend sein, besonders wenn es darum geht, die eigenen finanziellen Ziele zu erreichen und eine...

DWN
Politik
Politik Die Bundesregierung macht Russland für den Cyberangriff auf SPD verantwortlich
03.05.2024

Im Januar des Vorjahres wurden die E-Mail-Konten der SPD von Hackern attackiert. Die Bundesregierung gibt nun "eindeutig" Russland die...

DWN
Finanzen
Finanzen Der komplette Guide zur Bankvollmacht: Sicherheit und Flexibilität im Finanzmanagement
03.05.2024

Eine Bankvollmacht kann entscheidend dafür sein, Sicherheit und Flexibilität in Ihren finanziellen Angelegenheiten zu gewährleisten....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fleischersatz auf dem Vormarsch: Deutschland erlebt Produktionsboom
03.05.2024

Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte gewinnen in Deutschland an Beliebtheit: Produktion verdoppelt sich seit 2019. Fleischkonsum...