Politik

Deutschland, deine Denkfabriken: Milliardäre an die Front!

Deutschlands Denkfabriken müssen praxisnäher werden. Und: Sie benötigen Unterstützung - von den Reichen der Republik!
19.07.2020 12:26
Lesezeit: 4 min
Deutschland, deine Denkfabriken: Milliardäre an die Front!
Man kann seine überschüssigen Millionen in eine Yacht investieren - oder in eine Denkfabrik. (Foto: dpa)

Lobbygruppen – als solche kann man auch die vielen Think Tanks klassifizieren, die seit den 90er Jahren, vor allem seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin, wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Die Bundeshauptstadt hat sich als Zentrum der deutschen Denkfabrik-Landschaft etabliert und ähnelt der dortigen Start-up-Kultur beziehungsweise ist Teil von ihr: Ihre Protagonisten sind jünger, digital orientierter, weniger wissenschaftlich ausgerichtet und weitaus stärker daran interessiert, in die Medien zu kommen, als es die klassischen Denkfabriken sind. Die Szene existiert noch nicht lange genug, um sie abschließend beurteilen zu können. Auffallend ist die Dichotomie zwischen einem hohen Grad an Idealismus ihrer Macher und Mitarbeiter (bei dem natürlich stets die Gefahr besteht, dass er sich in Ideologie und messianischen Eifer verwandelt) und einem eitlen Selbstverständnis, wie man ihn häufig in PR-Agenturen und Unternehmensberatungen findet. Möglicherweise ist ihr Stil eher mit dem einer jungen Politiker- und Entscheider-Generation kompatibel, die in den kommenden Jahren in die Zentren der Macht gelangen wird, als mit dem Politikverständnis der heutigen politischen Eliten.

Wissenschaft statt Praxis

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass viele deutsche Denkfabriken immer noch zu sehr wissenschaftlich orientiert und zu wenig darauf bedacht sind, praxisnahe Beratung zu leisten. Mit anderen Worten: Es wird allgemein zu wenig darauf geachtet, der Politik umsetzbare Vorschläge zum richtigen Zeitpunkt zu liefern. Es handelt sich dabei um eine kulturelle Eigenart: In Deutschland gilt der Gelehrte eben immer noch mehr als der Praktiker. Und er (der Gelehrte) dankt es der staunenden und ehrfurchtsvollen Öffentlichkeit mit geistigen Ergüssen auf berghohem Abstraktionsniveau, abgefasst in einer Sprache, die nur Eingeweihte verstehen. Hier sollten sich deutsche Think Tanks an ihren angelsächsischen Pendants ein Beispiel nehmen, aber auch an den russischen oder dem innerhalb der französischen außenpolitischen Elite äußerst einflussreichen „Französischen Institut für Internationale Beziehungen“.

Die Zukunft: Den Spagat schaffen

Dass Denkfabriken wichtige und fruchtbringend Einrichtungen sind, steht außer Zweifel angesichts der zunehmenden Komplexität von Politik. Letzteres trifft besonders auf die Außenpolitik zu, die in Deutschland weiterhin zu einem hohen Maß als Wirtschaftspolitik verstanden wird. Angesichts der zunehmend unübersichtlichen internationalen Gemengelage – der Aufstieg Chinas, der Abstieg der USA, das ungeklärte Verhältnis zu Russland, die Fortsetzung der Spannungen in Nordafrika und dem Mittleren Osten, das Flüchtlingsproblem, ein möglicher Kalter und schließlich sogar „heißer“ Krieg zwischen China und Indien – ist es wichtiger denn je, dass die außenpolitischen Entscheidungsträger kompetente Beratung erhalten. Da davon auszugehen ist, dass die Bundesrepublik als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und wirtschaftlich sowie politisch stärkstes Land der EU früher oder später ihr außenpolitisches Engagement ausdehnen wird, wird es notwendig sein, dieses Engagement der – traditionell isolationistisch eingestellten – deutschen Öffentlichkeit zu verkaufen. Die dafür notwendigen Argumente zu liefern, sollte in Zukunft eine wichtige Aufgabe der Denkfabriken sein. Das trifft natürlich auch auf den Bereich der Innenpolitik zu – schließlich wird es im „Empörungsstaat“ Deutschland zunehmend wichtiger, Entscheidungen gegenüber einer äußerst kritischen Öffentlichkeit mit guten Argumenten zu begründen.

Entscheidend für den zukünftigen Erfolg deutscher Think Tanks wird es sein, dass sie den Spagat schaffen, einen hohen inhaltlichen Standard zu wahren und gleichzeitig praxisnah zu arbeiten, also nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm zu verharren. Darüber hinaus müssen sie lernen, ihre Ideen zu einem günstigen Zeitpunkt zu lancieren, also dann, wenn die mediale Aufmerksamkeit hoch und/oder das gesellschaftliche Klima günstig ist. Und es muss ihnen gelingen, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden (die Namen der bedeutenden Denkfabriken in den USA gehören zum dortigen Allgemeinwissen) sowie in der öffentlichen Wahrnehmung präsent zu sein, ohne sich durch übertrieben häufige und schlecht platzierte Auftritte in den Medien selbst zu desavouieren (ein Auftritt bei Anne Will ist nicht unbedingt hilfreich fürs Renommee, ein kurzes Interview im „heute-journal“ dagegen schon).

Milliardäre, beteiligt euch!

Zu hoffen bleibt, dass in Zukunft mehr wohlhabende Privatpersonen einen Teil ihres Vermögens in Denkfabriken stecken – und zwar in solche, die keinen reine Lobbyismus betreiben müssen, sondern unabhängig wirken dürfen. Die Neigung dazu ist in Deutschland nach wie vor schwach ausgeprägt – man geht eben davon aus, dass man mit Entrichtung seiner Steuerschuld seinen Teil zum Gemeinwohl geleistet hat (und der Staat mit Hilfe dieser Steuermittel dann eben für die Einrichtungen der notwendigen Denkfabriken sorgen wird). Eine Haltung, für die man bis in die 90er Jahre hinein vielleicht Verständnis aufbringen konnte – die sich heute jedoch überholt hat. Angesichts der gewaltigen Vermögensbildungen und -konzentrationen der vergangenen Jahrzehnte, ist es höchste Zeit, dass sich Deutschlands Reiche an ihren Pendants des „Goldenen Zeitalters“ ein Beispiel nehmen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...

DWN
Politik
Politik Putin in Indien: Strategische Unabhängigkeit in der neuen Weltordnung
05.12.2025

Indien empfängt den russischen Präsidenten mit allen protokollarischen Ehren und stellt damit gängige westliche Erwartungen an globale...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Handwerkskunst aus Deutschland: Pariser Luxus-Modehäuser vertrauen auf die Stickerei Müller
05.12.2025

Die Stickerei Müller aus Franken fertigt für große Modehäuser wie Balenciaga und Yves Saint Laurent. Auf schwierige Jahre nach der...

DWN
Politik
Politik Rentenpaket im Bundestag: Folgen für Rentner und Beitragszahler
05.12.2025

Der Bundestag hat das Rentenpaket mit knapper, aber eigener Mehrheit durchgesetzt und eine Koalitionskrise verhindert. Doch hinter den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Auftragseingang in der deutschen Industrie steigt unerwartet kräftig
05.12.2025

Unerwartet starke Impulse aus der deutschen Industrie: Die Bestellungen im Verarbeitenden Gewerbe ziehen an und übertreffen Prognosen...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie stabil: Analystenkommentar von Bank of America bewegt Rüstungsaktien
05.12.2025

Am Freitag geraten deutsche Rüstungsaktien in Bewegung: Ein US-Großbank-Analyst sortiert seine Favoriten neu. Welche Titel profitieren,...

DWN
Politik
Politik Neuer Wehrdienst: So soll das Modell ab 2026 greifen
05.12.2025

Ab 1. Januar soll der neue Wehrdienst starten: mit Pflicht-Musterung, frischer Wehrerfassung und ehrgeizigen Truppenzielen. Die Regierung...