Die chinesische Regierung bereitet sich Medienberichten zufolge auf die Möglichkeit einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen zu den USA vor, im Zuge der es auch zu einer wirtschaftlichen Abkopplung und dem Abbruch aller Geschäftsverbindungen und Gesprächskanäle kommen könnte.
Zu dieser Einschätzung muss man zumindest gelangen, wenn man die Wortmeldungen (ehemaliger) hochrangiger Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas aus den vergangenen Wochen berücksichtigt. Zuletzt fand ein Artikel weltweit Beachtung, den ein ehemaliges Mitglied des diplomatischen Dienstes, Zhou Li, für die Pekinger Denkfabrik Chongyang Institute for Financial Studies geschrieben hatte.
Ein Damoklesschwert namens Dollar
Zhou Li zufolge dürfe Chinas Führung nicht unterschätzen, mit welcher Entschlossenheit sowohl die Trump-Administration als auch der gesamte US-Kongress den Konfrontationskurs gegen China fortsetzen werden. Die Regierung in Peking müsse sich darüber im Klaren sein, dass es im schlimmsten Fall zu einem kompletten Auseinanderbrechen der Beziehungen mit Washington kommen könnte.
Ein großes Risiko stelle in diesem Zusammenhang die Dominanz des US-Dollars im internationalen Handels- und Finanzsystem dar, welche von der Trump-Regierung als Waffe gegen China eingesetzt werden könnte. „Indem der Vorteil der Monopolstellung des Dollar im Finanzsektor ausgenutzt wird, stellen die USA eine zunehmend ernsthafte Gefahr für Chinas weitere Entwicklung dar“, zitiert die South China Morning Post Li. Die chinesische Landeswährung Renminbi müsse deshalb zu einer international akzeptierten Handelswährung ausgebaut werden, um die Waren- und Finanzströme zwischen China und seinen Handelspartnern vor US-Sanktionen zu schützen. „Eine schrittweise Abkopplung des Renminbi vom Dollar“ sei in diesem Zusammenhang dringend geboten, so Zhou.
Die US-Regierungen hätten es in der Vergangenheit verstanden, mithilfe des Dollar-Monopols eine „Rechtsprechung des langen Arms“ außerhalb der USA zu etablieren. Beispielsweise sei das in Belgien ansässige Zahlungssystem Swift in der Vergangenheit als Werkzeug für Sanktionen gegen den Iran instrumentalisiert worden. Auch könnten Sanktionen gegen wichtige Öl- und Gaslieferanten die Energiesicherheit Chinas schwer beeinträchtigen, schreibt Zhou.
Zhou unterstreicht in seinem Artikel ähnlich lautende Forderungen, die der Vizepräsident der Aufsichtsbehörde China Securities Regulatory Commission, Fang Xinghai, erst vor wenigen Tagen aufgestellt hatte. Fang zufolge müsse sich China darauf einstellen, dass die Abhängigkeit vom Dollar als Waffe gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen eingesetzt werde. Die öffentlichen Äußerungen Fangs und Zhous (welcher derzeit dem wichtigsten Beratergremium der Regierung angehört) dürften die in den höchsten Regierungsstellen vorherrschende Sichtweise widerspiegeln, da sich so hochrangige Funktionäre normalerweise nicht ohne vorherige Absprache mit der Regierung zu solch sensiblen Themen äußern.
Bemerkenswert ist, dass Zhou mit Blick auf den Dollar auch auf die extrem expansive Geldpolitik der US-Zentralbank Federal Reserve eingeht. Die Flutung der Welt mit Liquidität könnte den Wert der von chinesischen Unternehmen und Investoren gehaltenen Wertpapiere mindern. Die Volksrepublik verfügt derzeit über Devisenreserven im Umfang von rund 3,1 Billionen Dollar, von denen etwa 59 Prozent in US-Dollar gehalten werden – rund 1,07 Billionen davon in US-Staatsanleihen. Auch der größte Teil der über 2 Billionen Dollar an Gesamtinvestitionen in Übersee sind in Dollar notiert.
Der Ansatz der US-Regierung, China auf der Währungsebene unter Druck zu setzten, ist durchaus erfolgsversprechen, schriebt der Finanzdienstleister Solvecon in einer aktuellen Einschätzung:
Die Spannungen zwischen den USA und China sind aktuell täglich in der Presse zu lesen, auf der diplomatischen Ebene zuletzt nach dem Motto „Wie Du mir, so ich Dir“ als z.B. gegenseitige Reiserestriktionen für Beamte und Diplomaten ausgesprochen wurden.
Auf der wirtschaftspolitischen Ebene hat China hingegen nicht jeder Maßnahme der Vereinigten Staaten etwas Äquivalentes entgegenzusetzen. Dies gilt durch die Handelsüberschüsse für die Menge an Gütern, auf die Zölle erhoben werden ebenso wie auf der Devisenseite. Hier gilt wie eh und je die berühmte Aussage John Bowden Connallys: „our currency, but your problem!“. Chinesische Unternehmen haben ca. 1 Billion an Kredite und Offshore Anleihen in Dollar begeben, staatseigene Unternehmen haben Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 1,1 Billionen Dollar. Damit ist der Zugang für die Unternehmen zum US-Dollar von immanenter Wichtigkeit. Die Überlegungen Washingtons, diesen Zugang zu kappen, hängen wie ein Damoklesschwert über den Bilanzen dieser Unternehmen.
Der Anteil des Yuan an den internationalen Zentralbankreserven liegt aktuell bei nur 2 %. Selbst das wirtschaftlich im Vergleich unbedeutende Großbritannien erreicht einen Wert von 4 %. Ein vom US-Dollar unabhängiges Zahlungssystem und eine Digitalwährung werden aufgebaut, entscheidend ist aber der politische Wille, Kapitalkontrollen zu senken. Nur so hätten die Marktteilnehmer ein Interesse, sich auf einen direkten Austausch in anderen Währungen, wie dem Euro zum Yuan einzulassen.
Der Preis für das Aufheben von Kapitalkontrollen liegt in möglichen Währungsabflüssen. Es passt auch nicht in die Regierungsphilosophie, die Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten aufzugeben, die man mit dem aktuellen Stand innehat. In diesem Sinne haben die USA alleine mit ihrer Drohung den Hebel an der richtigen Stelle angesetzt. Öffnet sich China, ist dies ein Machtverlust der Regierung, öffnet es sich nicht, wird der Yuan kein internationales Gewicht erhalten.
Etappen auf der Eskalations-Spirale
Die Einschätzung, dass man sich im schlimmsten Fall auf eine komplette Abkopplung der USA von China (und andersherum) einstellen müsse, wurzelt in den Erfahrungen mit den Strafmaßnahmen und konfrontativen Schritten, welche in den vergangenen Jahren die Beziehungen beider Länder belastet hatten.
Ein bei Weitem unvollständiger Überblick zeigt, dass beide Länder tatsächlich seit einiger Zeit auf einen gefährlichen Konfrontationskurs geraten sind:
- Mit dem „Pivot to Asia“ leitete Präsident Barack Obama im Jahr 2012 die politische und militärische Hinwendung der USA nach Ostasien und in den westlichen Pazifikraum ein, welche im Endeffekt eine Eindämmung des aufstrebenden Chinas zum Ziel hat.
- 2016 stellt die US-Armee das hochgerüstete Radar- und Raketenabwehrsystem THAAD in Südkorea unter scharfen Protesten Chinas auf.
- China reklamiert große Teile des Südchinesischen Meeres für sich und baut eine Vielzahl künstlicher Inseln. Die Aktionen tragen zur Militarisierung des Gebiets bei und führten zu Konflikten mit der US-Marine, welche seitdem demonstrative Durchfahrten von Kampfschiffen forciert und Militärübungen abhält.
- Die US-Regierung unter Präsident Trump beginnt einen weltweit geführten Feldzug gegen den chinesischen Technologiekonzern Huawei.
- Die US-Navy baut seit Jahresbeginn eine Spezialeinheit im westlichen Pazifik auf, um „Löcher in die Verteidigungslinien“ Chinas zu schlagen.
- Lancierung einer Propaganda-Kampagne der US-Regierung im Zuge der Coronavirus-Pandemie gegen China.
- Die US-Regierung stellt ihre Absicht vor, industrielle Lieferketten aus China zu entfernen und Firmen zum Abzug ihrer Produktion aus dem Land zu bewegen.
- Die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong erlaubt US-Kriegsschiffen fortan nicht mehr, in ihren Hafen einzulaufen.
- Xinjiang Act: Wegen angeblicher Inhaftierung tausender Uiguren erlässt die US-Regierung Sanktionen gegen chinesische Politiker.
- Die US-Regierung entzieht der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong Sonderrechte, nachdem China nach monatelangen Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen ein Sicherheitsgesetz für Hongkong erlassen hatte.
- Die USA schicken zwei Flugzeugträger zu Übungen ins Südchinesische Meer. China protestiert scharf.
- China erlässt Sanktionen gegen amerikanische Politiker, welche in der Vergangenheit mehrere Anti-China-Gesetze in den Kongress eingebracht hatten.
- Die US-Regierung erlässt ein Gesetz, das Sanktionen gegen Einzelpersonen aber auch Finanzinstitute erlaubt. Zudem werden Hongkong Sonderrechte aberkannt.
Erste Gräben werden sichtbar – und tiefer
Eine Entkopplung zwischen den USA und China ist mittlerweile auf mehreren Feldern sichtbar geworden. Ein äußerst gefährliches Beispiel stellt die nicht nur sprichwörtliche Funkstille dar, welche seit dem Jahr 2018 zwischen den Streitkräften beider Lager im Hinblick auf die Konflikte um Taiwan und das Südchinesische Meer herrscht. Schon seit 2017 soll es keine Gespräche mehr zwischen chinesischen Marinerepräsentanten und deren amerikanischen Kollegen im Indo-Pazifik gegeben haben.
Weniger gefährlich für Leib und Leben von Menschen, aber für die Entwicklung der Weltwirtschaft umso bedeutender, ist die fortschreitende wirtschaftliche und technologische Entkoppelung zwischen beiden Ländern. So erwägen die Technologiekonzerne Microsoft, Apple und Google einen Abzug ihrer Produktion aus China und eine Verlagerung der Kapazitäten nach Thailand und Vietnam.
Im vergangenen Dezember wurde bekannt, dass der chinesische Technologiekonzern Huawei als vorerst rein symbolische Antwort auf den von der US-Regierung forcierten Feldzug gegen eine Beteiligung der Chinesen beim Aufbau von 5G-Netzen erstmalig ein Smartphone herstellte, welches komplett ohne amerikanische Bauteile oder Lieferbeziehungen auskommt.
Ebenfalls Ende des Vorjahres stellte China zudem seine gesamte Software in öffentlichen Einrichtungen auf heimische Produkte um und verbannte dadurch die Marktführer aus den USA aus der kritischen IT-Infrastruktur. Zur gleichen Zeit gab die US-Regierung die Gründung einer neuen Behörde mit Milliarden-Budget bekannt, welche Länder auf der ganzen Welt vom Kauf chinesischer Software abhalten soll.
Die South China Morning Post berichtet, dass die USA im Land selbst aber auch international zunehmend Druck auf wissenschaftliche Einrichtungen ausüben, um chinesische Kooperationspartner aus Forschungsprojekten auszuschließen.
Zerfällt die Welt in zwei Machtblöcke?
Beobachtern zufolge besteht inzwischen die ernstzunehmende Möglichkeit, dass die Welt entlang der Interessen der Großmächte USA und China in zwei oder mehrere Machtblöcke zerfallen könnte.
Geäußert wird diese Sichtweise unter anderem von Glenn Diesen – einem Professor an der National Research University – Higher School of Economics in Moskau. Diesen erwartet, dass der Machtkampf zwischen Peking und Washington zur Bildung zweier Einflusssphären führen wird, die unterschiedliche Infrastruktur-, Finanz- und Militärstrukturen aufweisen werden, wie er in einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagte.
Foreign Policy kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass eine Entkopplung zwar sehr schwierig zu bewerkstelligen, auf längere Sicht aber möglich sei – wenn Trump in der Präsidentschaftswahl eine zweite Amtszeit sichern kann. Die Basis für eine chinesische beeinflusste Wirtschaftszone bilde dabei das Seidenstraßen-Projekt, mithilfe dessen größere Teile des eurasischen Kontinents entwickelt und politisch beeinflusst werden könnten. Schon jetzt, so Foreign Policy, würden beide Länder in manchen Bereichen eigene Infrastrukturen aufbauen – etwa bei der Entwicklung von Mobiltelefonen.
Mitte Juni hatte US-Präsident Trump eine schon früher geäußerte Drohung wiederholt, im schlimmsten Fall alle geschäftlichen Beziehungen zu China abzubrechen. Sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer hatte am Vortag jedoch gesagt, dass dies derzeit keine realistische Option sei. „Das war vor Jahren eine Option, aber ich denke, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine politische Option ist“, wird Lighthitzer vom englischsprachigen Dienst der Deutschen Welle zitiert. Obwohl Trumps Drohungen als Geste im Kontext der Handelsverhandlungen mit den Chinesen und im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl im November eingestuft werden müssen, bergen solche Äußerungen trotzdem ein nicht zu unterschätzendes Spaltpotential für die Beziehungen beider Länder.
Es gibt aber auch Stimmen, die keine Entkopplungstendenzen erkennen können. Der englischsprachige Dienst von Reuters verweist dazu auf den wiederbelebten Handel zwischen beiden Staaten im April, welcher zeige, was wirtschaftlich bei einer Abkopplung auf dem Spiel stehe. „Der Handel zwischen den USA und China steigt tatsächlich, seitdem die Corona-Pandemie zu schweren Einbrüchen geführt hatte. US-Exporte nach China erreichten im April ein Volumen von 8,6 Milliarden Dollar, nachdem sie im Februar auf 6,8 Milliarden Dollar eingebrochen waren. Die Importe der USA schossen von einem 11-Jahres-Tief von 19,8 Milliarden Dollar im März auf 31,1 Milliarden Dollar im April.“
The Diplomat aus Washington zufolge ist eine totale Abkopplung kurz- oder mittelfristig überhaupt nicht möglich, solche Pläne würden schlichtweg an der gegebenen und für alle Seiten mehrheitlich doch vorteilhaften Grundstruktur der weltweiten Arbeitsteilung scheitern:
Es ist schlichtweg unmöglich, dass sich die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt voneinander abkoppeln. Die USA und China sind sehr eng miteinander verbunden – nicht nur im Hinblick auf die weltweiten Lieferketten, sondern auch mit Blick auf die unterstützenden Nachfragestrukturen. Es ist ein Mythos, dass China nur über billige Arbeitskräfte verfügt und dass dieser Kostenvorteil schnell erodiert. Tatsächlich ist China ein Knotenpunkt in der weltweiten Lieferkette, weil es über 270 Millionen hochflexible Wanderarbeiter verfügt, die weitaus besser ausgebildet sind als ihre Kollegen in den meisten anderen Ländern, es über integrierte Infrastrukturen für die Gewährleistung einer effizienten Logistik verfügt, und massive und komplizierte Industriecluster mit eigenen Lieferketten sein Eigen nennt. All diese Vorteile können nicht einfach von anderen Ländern oder Regionen nachgemacht werden. Es stimmt, dass der Handelskrieg die Unsicherheiten verstärkt und einige Unternehmen dazu bewogen hat, China zu verlassen und die globale Wertschöpfungskette in diesem Zusammenhang zu mindern. Doch was in China verbleibt sind Produktionskapazitäten, deren Schrumpfungspotential sehr begrenzt ist – der sehr langsam verlaufende Rückzug von Apple und die Ansiedlung einer Tesla-Fabrik bei Schanghai sind Beweise für die Bedeutung Chinas als kritischer Teil der weltweiten Lieferketten.