Politik

Zusammen mit Russland könnte die EU China in die Schranken weisen: Doch die Europäer verstehen nichts von Weltpolitik

Lesezeit: 5 min
01.08.2020 10:01  Aktualisiert: 01.08.2020 10:01
Auf dem globalen Schachbrett bietet sich der EU derzeit die Chance, zusammen mit Russland China matt zu setzen. Doch die Europäer führen lieber ihre sinnlose Sanktions-Politik gegen die Russen fort - sie verstehen eben nichts von Weltpolitik.
Zusammen mit Russland könnte die EU China in die Schranken weisen: Doch die Europäer verstehen nichts von Weltpolitik
Japan, Osaka, im Juni 2019: Chinas Präsident Xi Jinping, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin unterhalten sich beim Gruppenbild vorm Start des G20-Gipfels. (Foto: dpa)

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Chinas Präsident Xi Jinping hat kürzlich seinen russischen Kollegen Wladimir Putin angerufen und ihm eingeschärft, ja nur die chinesisch-russische Zusammenarbeit zu pflegen und sich nicht von westlichen Liebeserklärungen verführen zu lassen. Kurz darauf machte es der chinesische Außenminister, Wang Yi, seinem Chef nach und klingelte bei seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow an. In Moskau war man einigermaßen erstaunt. Üblicherweise werden die Russen von den Chinesen nämlich mit einer Mischung aus Wohlwollen und Herablassung behandelt, so, als wären sie arme Verwandte, und so war Pekings plötzliches Bemühen nur schwer nachvollziehbar für die russische Führung. Dazu kommt, dass man sich im Kreml derzeit vom Westen gar nicht so besonders umworben fühlt. Jetzt stellt sich die Frage: Was treibt die chinesischen Machthaber ans Telefon?

Russland bildet für China einen Unsicherheitsfaktor

Die Antwort ist aus Pekinger Sicht einfach: Man strebt die Weltherrschaft an, und da ist es äußerst störend, dass in diesen Tagen eine weltpolitische Konstellation vorherrscht, in der das Reich der Mitte relativ leicht in die Schranken gewiesen werden könnte. Dabei würde Russland eine zentrale Rolle spielen, und da wollen Chinas mächtiger Herrscher kein Risiko eingehen und Russlands Eingreifen lieber von vornherein verhindern. Die Situation, die die Chinesen aktiv wären lässt, böte eigentlich eine Chance für den Westen, insbesondere für Europa. Nur ist die europäische Politik nicht in der Lage, geopolitische Entwicklungen zu erkennen und die sich bietenden Chancen zu nutzen. Merke: Die Europäer sind in weltpolitischen Angelegenheiten nicht besonders klug – auf jeden Fall nicht so klug, wie die Chinesen in ihren Planspielen vermuten. An dieser Stelle empfiehlt sich ein Blick auf die chinesische Analyse der Weltlage:

  • Das größte Hindernis auf Chinas Weg, Weltmacht Nummer eins zu werden, bilden die USA, nicht nur, weil sie die derzeitige Nummer eins sind, sondern auch, weil sie eine klare und harte Anti-China Politik betreiben. Die chinesischen Schimpftiraden gegen Washington werden seit Wochen dementsprechend immer schärfer.
  • Als Unsicherheitsfaktor wird Russland eingestuft. Erst im Gefolge der westlichen Sanktionen nach Russlands Annexion der Krim im Rahmen der Ukraine-Krise ist es ab 2014 zu einer Annäherung zwischen Moskau und Peking gekommen. Damals wurde Russland auch aus der internationalen Kooperation im Rahmen der G8 ausgeschlossen, die nun als G7 agiert. Jetzt wirbt aber US-Präsident Donald Trump für eine Rückkehr Russlands in das Gremium. Ein Schwenk Moskaus von China weg und nach Westen könnte die Folge sein. China stünde dann wieder allein da.
  • In den Pekinger Strategie-Sitzungen können sich die Teilnehmer nur schwer vorstellen, dass West-Europa die Chance verstreichen lässt, Russland zurück an Bord zu holen. Tatsächlich lautet aber die Generallinie der Europäer unbeirrt, dass Russland ausgegrenzt wird, weil die Krim weiterhin besetzt und die Lage in der Ost-Ukraine immer noch nicht geklärt ist. Erst vor wenigen Tagen hat der deutsche Außenminister Heiko Maas diese völlig wirkungslose und für den Westen wie für Russland gleichermaßen schädliche Politik erneut bekräftigt.
  • Von der europäischen Anti-Russland-Linie weicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ab, der die Chancen erkennt, die ein Europa hätte, das nicht nur in der Geographie, sondern auch in der politischen Realität vom Atlantik bis zum Ural reicht. Fakt ist: Die tiefsitzende Russland-Ablehnung in den früheren Teilstaaten des Sowjet-Blocks und heutigen EU-Mitgliedern ist kaum zu korrigieren.

Der Konflikt zwischen China und Indien stärkt Russlands Position

Die Pekinger Strategen haben aber nicht nur West-Europa und die USA im Fokus. Auch in Asien ist die Welt-Eroberung nicht einfach zu bewerkstelligen. Und in diesem Teil des Globus ist die künftige Politik Moskaus von sehr großer Bedeutung – ein weiterer Grund für die jüngsten Telefonate.

Indien hat sich zu einer Wirtschaftsmacht von globaler Bedeutung entwickelt und ist generell nicht länger bereit, im Schatten Chinas zu stehen. Vor allem ist man in Neu-Delhi empört, dass China in Indiens Nachbarstaaten Machtpositionen aufbaut. Die „Neue Seidenstraße“ ist eben nicht nur ein gewaltiger wirtschaftlicher, sondern auch ein äußerst signifikanter geopolitischer Faktor.

An der chinesisch-indischen Grenze am Himalaya fanden im Juni Zusammenstöße zwischen den Armeen der beiden Staaten statt. Und in diesem Zusammenhang kommt wieder Moskau ins Spiel: Russland ist der wichtigste Waffenlieferant Indiens, und so drängt die indische Regierung auf die rasche Lieferung von russischen S 400-Raketensystemen. Wenn Moskau den Wünschen aus Neu-Delhi entspricht, würde dies eine wirkungsvolle Aktion gegen China bedeuten und die russische Position auf dem internationalen Parkett stärken.

Zurück zu den Planspielen: USA, Europa und Russland könnten derzeit rasch und leicht zu einer Koalition finden, die auch Indien einschließen würde, womit die chinesische Weltherrschaft nur mehr eine Schimäre wäre.

Von diesen Zusammenhängen abgesehen, enthalten Pekings Anrufe noch weitere Elemente. Allgemein präsent ist Chinas weltweit betriebener Kauf von Technologie-Firmen, um in diversen wichtigen Branchen jeweils eine Schlüsselposition zu erobern. Darüber hinaus wird Afrika durch den Erwerb großer landwirtschaftlicher Flächen und die Errichtung von Fabriken immer abhängiger vom Reich der Mitte. Die schon erwähnte Seidenstraße umfasst eine tatsächliche Straße durch Asien nach Europa sowie eine Kette von Häfen, die ebenfalls mitten nach Europa reicht, wobei der Duisburger Hafen einen entscheidenden Schwerpunkt bildet. All diese Elemente sind auffällig und rücken auch immer stärker in die Kritik.

Auch im Nahen Osten ist die Eroberung der Welt nicht so einfach

Doch damit nicht genug: Die Volksrepublik ist auch im Nahen Osten aktiv.

Die Sanktionen des Westens gegen den Iran haben das Land zu einer intensiven Kooperation mit China veranlasst. Auch wenn die Europäer immer wieder eine Annäherung versuchen, die USA setzen in Abständen eine strikte Anti-Iran-Politik durch, der sich letztlich auch die europäischen Staaten nicht entziehen (können). Die Abkommen zwischen Teheran und Peking haben mittlerweile ein beachtliches Ausmaß erreicht. Vor allem kauft China das Rohöl, das der Iran auf den Weltmärkten im Gefolge der Sanktionen nicht mehr absetzen kann. Womit diese Verbindung eine zentrale wirtschaftliche Bedeutung hat. Aber auch im Iran treffen die Chinesen auf Russland, das ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt, die man etwa am Bau der iranischen Atomkraftwerke durch russische Firmen ablesen kann. Russlands Präsident Wladimir Putin versucht in der Region politischen Einfluss zu nehmen, und so wird von Seitens Moskaus ständig die russische-iranische Freundschaft betont. Allerdings will der Iran die führende Macht in der Region sein und die Nachbarstaaten Irak, Syrien und Libanon – also die gesamte Region bis zum Mittelmeer – beherrschen. Das missfällt Putin, der daher auch Syrien kräftig unterstützt.

Russland hat einen enormen Vorteil: Es ist Putin und insbesondere Dmitri Medwedjew gelungen, in den islamisch dominierten südlichen Regionen Russlands den Grundsatz ein „Land und zwei Religionen“ glaubhaft zu verankern. Diese Politik wirkt sich auf das Verhältnis zur islamischen Welt und somit zum Iran positiv aus. China hat auf diesem Gebiet ein generelles und ein spezielles Problem. Insgesamt ist man gegenüber dem Islam ablehnend. Zu einem internationalen Skandal weitet sich der Umgang des Landes mit den Uiguren aus. Die Berichte über die Internierung in Lagern, den Zwang zur Empfängnisverhütung und andere Menschenrechtsverletzungen nehmen kein Ende. Xinjiang, die Heimatregion der Uiguren, wurde und wird systematisch durch die Ansiedlung von Chinesen aus anderen Gebieten verändert, das heißt „chinesischer gemacht“.

Der Iran, der sich stets als Verteidiger der Muslime präsentiert, wäre aufgerufen, sich für die muslimischen Uiguren einzusetzen. Zu diesem Thema wird aber geschwiegen, um China nicht zu verärgern. Es ist allerdings fraglich, wie lange man in Teheran diese Politik fortsetzen kann, nachdem die weltweite Empörung über die Behandlung der Uiguren immer lauter wird.

In Europa fehlt der Sinn für weltpolitische Zusammenhänge

Es gäbe in der europäischen Politik folglich mehr zu tun, als sich über die russische Politik in der Ukraine zu ärgern (was wenig konstruktiv ist). Zumal der Westen die Aktionen Moskaus provoziert hat. Vor allem im Rahmen der NATO, aber auch in den anderen Organisationen wurde den Kiewer Politikern signalisiert, man würde sie gegenüber Russland unterstützen. Aus Moskauer Sicht war die Aufnahme des Landes in die NATO bereits beschlossene Sache, und dann hätte die an der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte in einem NATO-Land-geankert. Diese Perspektive wurde als unzumutbar empfunden und löste die Annexion der Krim aus, wo ohnehin ein beachtlicher Teil der Bevölkerung von der russischen Flotte lebt. Die sogenannte Unterstützung des Westens für die Krim besteht lediglich aus Sanktionen gegen Russland, die allen Beteiligten schaden, aber nichts bewirken.

Die Strategen in Peking haben schon richtig erkannt, dass sich Russland derzeit große Chancen bietet, die chinesischen Machtspiele zu durchkreuzen. Allerdings ist das Land wirtschaftlich zu schwach, um tatsächlich und effektiv als Weltmacht zu agieren. Dazu würde es eine aktive Kooperation mit dem Westen und vor allem mit Europa brauchen, wovon auch die EU entscheidend profitieren könnte. Nur: In Europa fehlt der Sinn für weltpolitische Zusammenhänge.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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