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Allen politischen Querelen zum Trotz: Wie die Wirtschaft Deutschland und Polen zusammenhält

Lesezeit: 6 min
18.09.2020 11:40  Aktualisiert: 18.09.2020 11:40
Polen hat nach der politischen Wende eine erstaunliche Entwicklung genommen. Das Land ist mittlerweile nicht mehr aus der Wirtschaft Deutschlands wegzudenken.
Allen politischen Querelen zum Trotz: Wie die Wirtschaft Deutschland und Polen zusammenhält
Zittau in Sachsen: Der Bürgermeister der Stadt Bogatynia (l), Wojciech Blasiak, und der Landrat des Landkreises Görlitz, Bernd Lange (CDU) (r), unterzeichnen die Inbetriebnahme zweier grenzüberschreitender Bus-Linien zwischen Deutschland, Tschechien und Polen. (Foto: dpa)

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„Man sollte ja eigentlich immer bescheiden sein, doch kann man sich schon mal von Zeit zu Zeit loben. Und in diesem Fall kann ich der Wirtschaft Polens Komplimente machen. Obwohl die Zeiten nicht einfach sind, navigiert sich die Ökonomie gut durch die Riffe hindurch, die weltweit bestehen“, hatte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki zu Jahresanfang gesagt, nicht ohne einen Schuss Pathos.

Das war aber noch vor dem Ausbruch der Pandemie gewesen, so dass der nationalkonservative Politiker natürlich damals nicht wissen konnte, was seinem Land und der gesamten Welt noch alles bevorstehen würde.

Doch hat sich jetzt – nach mehr als einem halben Jahr Krise – gezeigt, dass die positive Einstellung des Premierministers und sein großes Selbstbewusstsein grundsätzlich berechtigt gewesen sind. Denn das größte östliche EU-Mitglied hat bisher nur relativ wenig Schaden durch die Pandemie genommen. Das wird nicht zuletzt an den aktuellen Exportzahlen deutlich, die traditionsgemäß für die gesamte Wirtschaft richtungsweisend sind, weil sie einen Großteil zur Ökonomie besteuern.

So hat sich der Export bis Ende Juni des laufenden Jahres zwar um 8,9 Prozent verringert, so dass schließlich Handelsvolumina von insgesamt 80,4 Milliarden Euro in den Büchern der Unternehmen standen, doch ist der Rückgang angesichts der Schwere der Krise moderat ausgefallen. Auffällig bleibt dabei, dass das Minus des Deutschland-Geschäftes im überschaubaren Rahmen ist. So sind hier die Erlöse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum „nur“ um 5,6 Prozent zurückgegangen.

Damit bleibt das Geschäft mit Deutschland noch vergleichsweise solide. Denn der Handel mit den anderen Staaten ist sogar noch stärker eingebrochen: So verringerten sich die Volumina mit Tschechien (-10,3 Prozent), mit Frankreich (-12,8 Prozent) und mit den Niederlanden (-11,5 Prozent) sogar im zweistelligen Prozentbereich.

Deutschland-Geschäft steuert ein Drittel zu polnischen Ausfuhren bei

Deutschland ist deswegen für Polen so wichtig, weil es rund ein Drittel an den Gesamtexporten des Landes ausmacht. Zur Zeit der Krise hat sich wieder gezeigt, wie stark das Geschäft mit den Deutschen die polnischen Unternehmen stützt.

Doch ist der Handel keine Einbahnstraße. Auch die größte europäische Volkswirtschaft profitiert davon. Längst hat sich Polen zu einem sehr wichtigen Außenhandelspartner entwickelt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Diese Entwicklung zeigen klar die Außenhandelszahlen vom vergangenen Jahr: So liegt Polen unter den wichtigsten Partnern Deutschlands mit einem gesamten Außenhandelsvolumen von 123,4 Milliarden Euro auf dem vierten Rang. Der Abdruck, den die polnischen Firmen auf diese Weise auf der gesamtwirtschaftlichen Rechnung in Deutschland hinterlassen, liegt bei etwa 3,6 Prozent.

Dies ist eine erstaunlich große Zahl, wenn man berücksichtigt, dass Polen mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung von etwa 500 Milliarden Euro gerade einmal 15 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Kraft Deutschlands erreicht. Das Land ist mit einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von 5.400 Zloty (oder rund 1.200 Euro) für westliche Verhältnisse arm.

Die anderen Länder wie die Niederlande, Frankreich oder Italien, denen Polen in der Tabelle im Nacken sitzt, sind schließlich etablierte Industrienationen, mit denen Deutschland schon lange vor der politischen Wende begonnen hat, Geschäfte zu machen. Dies war sogar noch im Rahmen der damaligen Europäischen Gemeinschaften.

Und das ist noch nicht alles: Polen führt als größtes Land in der Region die sogenannten Visegrád -Staaten an, zu denen noch Tschechien, die Slowakei und Ungarn zählen. Dieses politische Forum hatte sich 1991 gebildet, damit die Mitgliedsländer gemeinsam Probleme lösen können.

Die Handelsvolumina, die Deutschland mit diesen Staaten insgesamt hat, sind noch größer als die Erlöse, die die größte europäische Volkswirtschaft mit China und mit den USA gemeinsam erzielen. Und das sind immerhin die beiden größten Ökonomien der Welt, die in der deutschen Außenhandelsstatistik die ersten beiden Plätze einnehmen.

Dabei bleibt Polen das Zugpferd innerhalb des Diskussionsforum, das diese Staaten bilden. Wie gut das Land diese Rolle übernimmt, wird auch an der Entwicklung der Gesamtwirtschaft im dritten Quartal deutlich. Deren Beginn ist nach Einschätzung der Politik- und Wirtschaftszeitung „Rzeczpospolita“ „überraschend gut“ verlaufen. „Der Arbeitsmarkt sieht nicht schlecht aus, und die Produktion läuft“, schreiben die Fachleute des Mediums, das im Land als meinungsbildend gilt. „Der Produktion fehlen nur noch 3,5 Prozentpunkte zu dem Wachstum, das sie im Februar erzielt hat – also vor dem Lockdown“, heißt es.

Eine besonders wichtige Stütze ist die Automobilbranche. Ein Großteil der Autoteile, die hergestellt werden, findet beim westlichen Nachbarn Deutschland seine Abnehmer. Polen gilt aufgrund seiner Größe als ein wichtiges Zentrum für die Produktion des Autosektors – neben Tschechien und der Slowakei. Hier engagieren sich deutsche Konzerne wie VW und deren LKW-Tochter MAN, die gleich mehrere Werke unterhalten.

Darüber hinaus sind unzählige kleinere Zulieferer aktiv, die in der Regel Mitglieder in der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (DPIHK) sind. Diese Organisation gehört zu den größten Unternehmer-Vereinigungen des Landes. Auf ihrer Mitgliederliste befinden sich die Namen solcher Firmen wie Bosch Rexrodt, Dürr Poland und HOERBINGER Automotive. Dies sind die klassischen Zulieferer, die beispielsweise wie Dürr Transportsysteme anbieten, die vor allem in den Lackieranlagen und in der Endmontage in Automobilwerken verwendet werden.

Wichtig: Die Lage der Automobilbranche hat sich in den vergangenen Monaten trotz Pandemie relativ gut entwickelt. Eigentlich sollte der Export um ein Drittel einbrechen, hatten Experten prognostiziert. Doch waren im Juni starke Verkäufe von Autoteilen und -komponenten zu sehen. Die Bestellungen hatten im Juli und im August sogar schon 80 Prozent der Volumina erreicht, die es vor dem Ausbruch der Pandemie gegeben hatte. „Es ist besser, als wir angenommen hatten“, sagte beispielsweise Pawel Gos, der Chef von Exakt Systems – einer Firma, die die Qualität der Produktion kontrolliert.

Zusätzlich ist derzeit eine völlig neue Ausrichtung zu beobachten, mit der bisher wohl niemand gerechnet hatte: Hier steigen der Investitionen in die Technologien für alternative Antriebe – beispielsweise für die E-Mobilität. Dies macht sehr viel Sinn, weil viele deutschen Investoren, die ihre Produktion darauf umstellen müssen, schon hier vor Ort sind.

„Dies ist ein wichtiger Entwicklungstrend und gleichzeitig eine Nische, in der sich die polnische Automobilbranche regional profilieren kann“, sagte Miroslaw Michna, der Sprecher der internationalen Beratungsgesellschaft KPMG. „Dadurch hat Polen die Chance, zum europäischen Hub für den Export von E-Batterien zu werden“, fügte der Fachmann hinzu.

Dieser Optimismus stützt sich auf die aktuellen Statistiken. So ist Polen derzeit der größte Exporteur von Lithium-Ionen-Batterien in der ganzen Europäischen Union, berichtet das polnische Onlineportal „Wirtualna Polska“ (WP). Die Ausfuhren seien in der Vergangenheit sprunghaft gestiegen. So haben 2016 noch rund zehn Prozent am gesamten EU-Export von E-Batterien aus dem größten östlichen EU-Land gestemmt.

Im vergangenen Jahr waren es bereits 40 Prozent, wodurch Polen zur absoluten Nummer eins in der Gemeinschaft aufgestiegen ist. Das Problem bei der Herstellung der Batterien ist grundsätzlich, dass sie sehr kostenintensiv ist. Bei den verhältnismäßig geringen Arbeitskosten in Polen können die Hersteller leichter als im Westen den alternativen Antrieb produzieren und in die anderen Länder exportieren

Grundsätzlich hat Polen die Pandemie noch lange nicht hinter sich gebracht, doch dürfte der bisherige Trend beibehalten werden. Zudem wird Deutschland wahrscheinlich dieselbe Rolle wie bisher spielen. So gehen die Volkswirte der polnischen Wirtschaftskammer Krajowa Izba Gospodarcza (KIG) davon aus, dass die Exporte nach Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,7 Prozent zurückgehen werden.

Doch wird dies noch verhältnismäßig gering sein. Denn zu den anderen Staaten der Euro-Zone werden sich die Exporte sogar um 8,5 Prozent verkleinern. Beim Handel mit den restlichen Staaten der EU gehen die Volkswirte von einem Minus von 5,4 Prozent aus. Der deutsch-polnische Handel bleibt somit wichtig und eine bedeutende Stütze für die Wirtschaft. Deutschland und Polen sind eng verbunden – und zwar über ihre Ökonomien.

 


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