Der Europäischen Union droht eine handfeste Krise wegen des Streits über ihre Finanzpläne für die nächsten Jahre. Das könnte auch zu einer Verzögerung bei der Auszahlung dringend benötigter Corona-Hilfen führen. Ungarn und Polen machten am Montag ernst und legten ein Veto gegen das rund 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket ein. Die Regierungen in Warschau und Budapest wehren sich dagegen, dass die Auszahlung von EU-Mitteln künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden soll. In beiden Ländern gibt es Kritik am Umgang mit der Justiz, den Medien und teils auch der Wissenschaft. Deutschland soll als amtierende Ratspräsidentschaft nun möglichst schnell einen Kompromiss ausloten.
Für die Verabschiedung der Finanzplanung ist ein einstimmiges Votum der 27 EU-Staaten erforderlich. In Berlin sprach Regierungssprecher Steffen Seibert von "extrem anspruchsvollen Verhandlungen". Es gebe eine große Verantwortung, dass die Mittel, auf die ganze Länder warteten, die Menschen und Staaten rechtzeitig erreichten. Die Grünen forderten, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel stärker einbringen müsse. "Falsche Kompromisse sind jetzt fehl am Platz. Jetzt droht sich zu rächen, dass die Kanzlerin sich bisher wenig in die Verhandlungen eingeschaltet hat", sagte der Grünen-Politiker Rasmus Andresen.
1,8 BILLIONEN EURO - ABER KEINER KOMMT AN DAS GELD
Die EU hatte sich im Sommer auf das historische Finanzpaket geeinigt - 750 Milliarden Euro für den Corona-Aufbaufonds und noch einmal knapp 1,1 Billionen für den mittelfristigen EU-Haushalt. Seitdem wird aber erbittert um die Details gerungen. Ein hochrangiger EU-Vertreter sagte Reuters, eine Blockade würde die EU in eine Krise stürzen. Vor allem beim Corona-Aufbaufonds drängt die Zeit. Anfang 2021 sollen stark von der Pandemie betroffene Länder wie Italien, Spanien und Frankreich Zuschüsse und Kredite aus dem Hilfsfonds erhalten. Damit soll die konjunkturelle Erholung in Europa beschleunigt werden.
Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz zufolge steht viel auf dem Spiel. Die vereinbarten Maßnahmen seien der erste Schritt zu einer Fiskalunion, die über die bisherige Währungsunion hinausgehe, unter anderem mit eigenen Einnahmequellen der EU-Kommission. Weitere Schritte für eine stärkere EU müssten folgen - am besten mit qualifizierten Mehrheiten, um nicht zu viel Zeit zu verlieren.
Ungarn hatte schon im Vorfeld des Botschafter-Treffens sein Veto gegen den EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 sowie den Corona-Wiederaufbaufonds angekündigt. Die anderen EU-Mitglieder müssten ihren Kurs ändern. Der rechtsnationalistischen Regierung von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wird seit Jahren vorgeworfen, demokratische Grundprinzipien aufzuweichen. Die meisten EU-Länder wollen daher Auszahlungen unter anderem an die Unabhängigkeit der Gerichte und der Medien knüpfen.
Orban hat die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen und Brüssel der Doppelmoral bezichtigt. Polens Justizminister Zbigniew Ziobro sagte, Europa sei in einer wichtigen Phase, und Polen könne mit dem Veto zeigen, dass es seine Souveränität nicht einschränken lassen wolle.
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