„Mit Wasserstoff-Partnerschaften in Afrika eröffnen wir den Menschen vor Ort den Weg in globale Energiemärkte und zu mehr Wohlstand. Wir wollen gemeinsam mit den Menschen in Namibia, Südafrika oder im westlichen Afrika zunächst die nötige Wertschöpfung aufbauen“, sagt Stefan Kaufmann, der Innovationsbeauftragte für „Grünen Wasserstoff“ der Bundesregierung.
Hintergrund: Die Wasserstoff-Partnerschaften, die Kaufmann hier nennt, sind ein wichtiger Baustein der Nationalen Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung. Denn das Land verfügt nicht über genügend eigene Produktionsstätten, um den künftigen Bedarf decken zu können. Deshalb schwärmt die Bundesregierung derzeit auf dem gesamten Erdball in alle Richtungen aus, um Lieferpartner zu finden.
Ein sehr wichtiger Erdteil ist das westliche Afrika, das in der deutschen Strategie eine besondere Rolle übernehmen soll. So hat das Bundeswissenschaftsministerium gerade einen Zwischenbericht über das Projekt „H2-Atlas-Africa“ veröffentlicht, das die Zusammenarbeit mit diesem Teil des Kontinents fördern soll. Die Publikation spricht von „guten Chancen für Grünen Wasserstoff aus Afrika“.
Die Bundesregierung strebt eine Kooperation mit den 15 Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsunion ECOWAS an, die insgesamt eine wirtschaftliche Leistung von 615 Milliarden Dollar generieren – also rund das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Polens. Sie liegen auf einer Fläche, die etwa ein Fünftel größer als die EU ist. Das Bundesministerium für Wissenschaft stützt sich auf eine Partnerschaft mit der Wirtschaftsgemeinschaft, die ungefähr zehn Jahre alt ist.
Fast irrsinnig: West-Afrika soll deutschen Bedarf rund 1.500mal decken
„Es eignen sich 33 Prozent der Landfläche für Photovoltaikanlagen, bei den Onshore-Windkraftanlagen – also den Anlagen auf Land – sind es sogar 76 Prozent“, geht aus dem Bericht hervor. „Theoretisch liegt das gesamte Potenzial der Wasserstoffproduktion in den ECOWAS-Staaten bei rund 165.000 Terrawattstunden (TWh, eine Milliarde Kilowattstunden), die sich daraus gewinnen lassen“, so Solomon Agbo, ein Wasserstoff-Experte aus Jülich, mit dem die Bundesregierung eng zusammenarbeitet.
Hintergrund: Sollte der Wissenschaftler mit seinen Berechnungen Recht behalten, dann wäre West-Afrika in der Lage, den deutschen Bedarf rund 1.500mal zu decken – eine schier unglaubliche Zahl. Dies hört sich an, als wollte die Bundesregierung nach den Sternen greifen. Denn der Nationale Wasserstoffplan sieht vor, dass Deutschland bis 2030 90 bis 110 Terrawattstunden aus Wasserstoff produziert.
„Die Durchschnittskosten für die Kilowattstunde Strom aus Photovoltaik werden mit zwei bis vier Cent beziffert, bei Windkraft sind es zwei bis 15 Cent. Der errechnete Preis für das Gros der Produktion von Wasserstoff in Westafrika liegt unter 2,50 Euro pro Kilogramm“, schreibt das Ministerium weiter in seinem Bericht und weist dabei daraufhin, dass in diesem Preis noch nicht die Transportkosten nach Europa berücksichtigt sind.
Zur Einordnung: Damit würde der Rohstoff sehr wahrscheinlich auch nach europäischen Kriterien rentabel produziert werden. Denn die EU geht in ihrem Strategie-Papier 2020 davon aus, dass die Kosten zwischen 2,5 bis 5,5 Euro je Kilogramm liegen müssen, damit sich die Projekte für Grünen Wasserstoff rechnen.
Das große Potenzial von West-Afrika kommt nicht zuletzt deswegen zustande, weil rund 50 Prozent der Gesamtfläche theoretisch mit Anlagen für Erneuerbare Energien bebaut werden kann. Zum Vergleich: In der EU sind des derzeit gerade einmal fünf Prozent, weshalb die Bundesregierung auf anderen Kontinenten nach Lieferpartnern Ausschau halten muss.
Ein Problem ist allerdings, dass das Bundesministerium für Wissenschaft seine Berechnungen auf der Grundlage der aktuellen Daten gemacht hat, die sich sehr schnell ändern. Denn in den westafrikanischen Ländern wird sehr schnell Land bebaut, weil die Menschen zunehmend in die Städte fliehen. Darüber hinaus hat man noch nicht die Schwierigkeit gelöst, wie man den Rohstoff nach Deutschland transportieren soll.
Drohende Wasserknappheit und politische Instabilität als Risikofaktoren
Und das sind noch nicht alle Hürden, die man überwinden muss: In West-Afrika droht in absehbarer Zeit eine Knappheit von Wasser, das für die Produktion des grünen Wasserstoffs notwendig ist. Darüber hinaus haben große Teile der Bevölkerung noch gar keinen Zugang zu Strom. Beispielsweise in Ghana wird immer noch sehr viel Energie mit importiertem Diesel erzeugt.
Die Industrie, die auf diese Weise den Strom generiert, dürfte sich dagegen aussprechen, dass die Politiker auf einmal die Erneuerbaren Energien fördern. Manche Länder sind dort schon politisch entwickelt, andere wiederum nur sehr wenig. Das bedeutet, dass es in der Region erhebliche politische und organisatorische Hürden zu überwinden sind.
Der Bau und Betrieb von Anlagen für den H2-Export könnten in einem solchen Kontext zu starken Konflikten führen. Die Erfahrungen des Kolonialismus sind in Afrika nirgends vergessen und können jederzeit für politische Mobilisierung genutzt werden. Möglicherweise mischt sich hier auch China ein. Damit rechnet jedenfalls der geopolitische Analyst der DWN, Cüneyt Yilmaz.
„Westafrika ist aufgrund seines Rohstoffreichtums seit den 1960er Jahren ein begehrtes geopolitisches Ziel Pekings“, sagt der Fachmann. „Wo immer die Chinesen wirtschaftlich und schlussendlich politisch aktiv werden wollen, investieren sie immer zuerst in die Infrastruktur, was für die Zielländer durchaus attraktiv ist. Das gilt nicht nur für die zentral- und osteuropäischen Länder der ,16+1-Initiative‘ der Chinesen, sondern auch für Westafrika. Ob sich die westafrikanischen und weitere afrikanischen Staaten für Kohle oder die Wasser-Elektrolyse entscheiden werden, um Wasserstoff herzustellen, bleibt abzuwarten“, erklärt Yilmaz.
„Entscheiden sie sich für die Wasser-Elektrolyse, gewinnt Deutschland. Entscheiden sie sich für die kostengünstige Kohle-Alternative, gewinnt China. Welche weiteren externen Mächte die Entscheidungsfindung in den Ländern Westafrikas beeinflussen könnten, sollte genauestens erörtert werden, um mögliche störende Aktionen zu vereiteln. Das wäre mein Rat an die Bundesregierung“, sagt der Analyst.
Auch Saudi-Arabien, Australien und die Ukraine werden Partner Deutschlands
Doch nicht nur West-Afrika, sondern auch andere Standorte bieten sich an, um für Deutschland zu produzieren. Dazu gehört Saudi-Arabien, mit dem die Bundesregierung in der zweite März-Hälfte eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben hat. Das arabische Land gilt bisher als bedeutender Produzent von Grauem Wasserstoff, der aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird und als weniger umweltfreundlich gilt.
Die Erneuerbaren Energien spielen bisher allerdings kaum eine Rolle, so dass die saudische Regierung viel in deren Entwicklung investieren muss. Berechnungen der internationalen Energieagentur IRENA zufolge lag ihr Anteil an der Gesamtproduktion bei 0,5 Prozent oder 0,41 Gigawatt. Der Nationale Plan für Erneuerbare Energie (NREP) sieht jetzt vor, dass bis 2023 27,3 Gigawatt an Kapazitäten geschaffen werden. Bis 2030 sollen es sogar 58,7 Gigawatt werden. Die Preise, die die Regierung anstrebt, liegen bis drei und vier Euro pro Kilogramm, also weit unter dem, was die EU eingeplant hat. Die Experten der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI halten diese Pläne allerdings für „wenig realistisch“.
Ein weiteres Land, mit dem die Bundesregierung zusammenarbeitet, ist Australien. Beide Partner haben Mitte Juni eine Absichtserklärung unterzeichnet. „Unser Ziel ist es, den billigsten sauberen Wasserstoff der Welt zu produzieren, der den Verkehrssektor, den Bergbau und die Rohstoffgewinnung in Australien und Übersee verändern wird“, erklärte der australische Premierminister Scott Morrison.
Fünf Großprojekte in der Ukraine mit deutscher Beteiligung
Zusätzlich soll die Ukraine künftig einen wichtigen Part bei der Versorgung mit Wasserstoff übernehmen. „Unser Markt für Grüne Energien ist gut entwickelt und verfügt über ein riesiges Potenzial für die weitere Entwicklung“, sagte Sergiy Tsivkach, der CEO der Wirtschaftsförderungsgesellschaft UkraineInvest, im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Denn auch sein Land verfügt aufgrund seiner großen Fläche über viele Standorte, die sich für Windkraft-Anlagen anbieten.
Hintergrund: Deutschland und die Ukraine haben bereits eine Kooperation gegründet, die Energielieferungen aus dem osteuropäischen Land sichern soll. Beide Partner haben zehn Pilotprojekte ausfindig gemacht, von denen einige im kommenden Jahr starten werden.
Grundsätzlich sind in den kommenden Jahren in der Ukraine fünf Großprojekte für Produktionsstätten geplant, deren Investitionsvolumina zwischen 125 Millionen Euro und 14 Milliarden Euro liegen – also maximal im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich.
Der Großteil der Herstellung ist für den Export bestimmt. Bei einem Projekt sitzt Siemens im Konsortium. Darüber hinaus haben ThyssenKrupp und Linde ihr Interesse bekundet, bei einem anderen Vorhaben im Führungsgremium vertreten zu sein.