Weltwirtschaft

US-Studien widerlegen den Mythos von der chinesischen „Schuldenfalle“

Lesezeit: 2 min
01.08.2021 11:00  Aktualisiert: 01.08.2021 11:10
In den Medien wird häufig davon berichtet, dass China mithilfe der Kreditvergabe an ärmere Staaten politische Abhängigkeiten schaffe. Glaubt man angesehenen US-Universitäten und Instituten, lassen sich keine Beweise für diese Behauptung finden.
US-Studien widerlegen den Mythos von der chinesischen „Schuldenfalle“
Feuerwerkskörper erhellen den Himmel auf der Baustelle der Peljesac-Brücke in Komarna, Kroatien. Die von der Europäischen Union finanzierte Peljesac-Brücke im Süden Kroatiens, die von einem chinesischen Staatsunternehmen gebaut wurde, wurde eröffnet. (Foto: dpa)
Foto: Uncredited

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

In deutschen und anderen westlichen Medien wird immer wieder der Vorwurf erhoben, die chinesische Regierung verbinde ihre Kreditvergabe an ärmere Staaten mit einem Zwang zu politischem Wohlgefallen. Inzwischen hat sich der Begriff der „Schuldenfalle“, in die ärmere Länder angeblich durch ihr Engagement mit den Chinesen gerieten, in zahlreichen deutschsprachigen Medien wie selbstverständlich eingebürgert.

Eine kleine unvollständige Auswahl:

„Chinas Schuldenfalle“ - die Welt

„Montenegro in chinesischer Schuldenfalle?“ - Euronews

„Wie China andere Länder in die Schuldenfalle treibt“ - n-tv

„Chinas Schuldenfallen-Diplomatie stösst am G20-Gipfel an Grenzen“ - NZZ

„Neue Seidenstraße: China treibt Länder in die Schuldenfalle“ - die Welt

Dabei wird meist auf das Beispiel einer Verpfändung in Sri Lanka hingewiesen. Dort wurde der chinesische finanzierte Hafen von Hambantota im Jahr 2015 tatsächlich aufgrund von Zahlungsausfällen für 99 Jahre mit dem umgebenden Gelände an China verliehen.

Der Mythos von der Schuldenfalle bekommt Risse

Glaubt man jedoch amerikanischen Spitzenuniversitäten wie der Harvard University und der Johns Hopkins University oder Denkfabriken wie dem Washingtoner Peterson Institute und der Rhodium Group, finden sich keine belastbaren Belege für die im Westen kolportierten Behauptungen, China verfolge mit seiner Infrastrukturpolitik und Kreditvergabe systematisch das Ziel einer Einflussnahme in Übersee.

Deborah Brautigam und ihr akademisches Team von der Johns Hopkins University sowie Meg Rithmire und ihre Mitarbeiter der Harvard Business School kommen im Zuge einer Untersuchung des chinesischen Kreditvergabeverhaltens zum Schluss, dass die Undurchsichtigkeit chinesischer Infrastrukturprojekte „Verdächtigungen hinsichtlich der Intentionen der Chinesen“ begünstige. Doch „trotz der Sorgen von Kritikern, dass China die Wertanlagen seiner Schuldner (bei Rückzahlungsproblemen - die Red.) einziehen könnte, sehen wir nicht, dass China die Situation von Ländern in finanziellen Schwierigkeiten ausnutzt“, wie The Atlantic berichtet.

Die Studie von Johns Hopkins University und der Harvard Business School trägt den bezeichnenden Titel: „Die chinesische Schuldenfalle ist ein Mythos: Das Narrativ porträtiert sowohl Peking als auch die Emtwicklungsländer, mit denen es Geschäfte macht, in einem falschen Licht.“

Auch Forscher der Rhodium Group hatten kürzlich 40 Fälle von Kreditvergaben chinesischer Investoren und ihr Verhalten bei Nachverhandlungen mit den Schuldnern ausgewertet. Das Fazit:

„Die Beschlagnahmung von Pfändern ist ein seltenes Ereignis. Schuldenneuverhandlungen zeitigen gewöhnlich ein viel ausbalancierteres Ergebnis für Gläubiger und Schuldner - von der Lockerung der Rückzahlungsbedingungen und Rückzahlungsfristen über eine zusätzliche Nachschussfinanzierung bis hin zu teilweisen oder kompletten Schuldenerlassen (dem häufigsten Ergebnis). Trotz seines wirtschaftlichen Gewichts ist Chinas Verhandlungsmacht oft begrenzt. Viele der von uns ausgewerteten Fälle führten zu einem besseren Ergebnis für den Schuldner - insbesondere, wenn die Länder Zugang zu anderen Finanzierungsbedingungen hatten oder wenn ein externer Faktor (etwa ein Regierungswandel) dafür sorgte, dass die Bedingungen neu verhandelt werden konnten.“

Etwas kritischer sieht das Peterson Institute Chinas Rolle. So bestehe durchaus das Risiko, dass die Politik der Nehmerländer durch das finanzielle Engagement Pekings beeinflusst werden könne. Gerade die Undurchsichtigkeit der Verträge und häufige Versuche der Chinesen, andere potenzielle Geldgeber mit flexibleren Regelungen (solche, die sich nicht an den Grundsätzen des „Pariser Clubs“ orientieren) zu übertrumpfen, mache China zu einem „kraftvollen und wirtschaftlich erfahrenen Geldgeber für die Entwicklungsländer“, der „kreative Vertragsdesigns“ nutze, um „Hindernisse für die Umsetzung eines Projekts zu überwinden.“

Aber auch aus Sicht des Peterson Institute kann von einer von Peking ausgearbeiteten strategischen Agenda zur langfristigen Abhängigmachung anderer Regierungen im Zuge des Seidenstraßen-Projekts oder anderer Deals nach der Untersuchung von rund 100 Kreditvereinbarungen Chinas mit insgesamt 24 Ländern keine Rede sein.

Letztendlich dürfte es sich bei den Schlagworten der „Schuldenfalle“ (debt trap) beziehungsweise der „Schuldenfallen-Diplomatie“ (debt trap diplomacy) um ein von interessierten Kreisen geschaffenes PR-Werkzeug handeln, dessen Zweck darin besteht, die im Zuge des Seidenstraßen-Projekts vorangetriebene Zusammenarbeit der Chinesen mit Entwicklungsländern im Bereich der Infrastrukturentwicklung und des bilateralen Handels zu bremsen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik Robert Habeck sollte endlich die Kehrtwende vollziehen - im Heizungskeller Deutschlands
03.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Finanzen
Finanzen Wirtschaftsstandort in der Kritik: Deutsche Ökonomen fordern Reformen
03.05.2024

Deutschlands Wirtschaftskraft schwächelt: Volkswirte geben alarmierend schlechte Noten. Erfahren Sie, welche Reformen jetzt dringend...

DWN
Politik
Politik Rheinmetall-Chef: Deutschland muss Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erhöhen
03.05.2024

Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, drängt darauf, dass Deutschland seine Militärausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Indische Arbeitskräfte im Fokus: Deutschland öffnet die Türen für Fachkräfte
03.05.2024

Die Bundesregierung strebt an, einen bedeutenden Anteil der indischen Bevölkerung nach Deutschland zu holen, um hier zu arbeiten. Viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie lege ich mein Geld an – wichtige Tipps für Anfänger
03.05.2024

Die Tipps zur Geldanlage können wirklich spannend sein, besonders wenn es darum geht, die eigenen finanziellen Ziele zu erreichen und eine...

DWN
Politik
Politik Die Bundesregierung macht Russland für den Cyberangriff auf SPD verantwortlich
03.05.2024

Im Januar des Vorjahres wurden die E-Mail-Konten der SPD von Hackern attackiert. Die Bundesregierung gibt nun "eindeutig" Russland die...

DWN
Finanzen
Finanzen Der komplette Guide zur Bankvollmacht: Sicherheit und Flexibilität im Finanzmanagement
03.05.2024

Eine Bankvollmacht kann entscheidend dafür sein, Sicherheit und Flexibilität in Ihren finanziellen Angelegenheiten zu gewährleisten....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fleischersatz auf dem Vormarsch: Deutschland erlebt Produktionsboom
03.05.2024

Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte gewinnen in Deutschland an Beliebtheit: Produktion verdoppelt sich seit 2019. Fleischkonsum...