Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich besorgt über die Entwicklung in Afghanistan geäußert. "Die Verkündung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die gestrige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten in Kabul sind nicht die Signale, die (...) optimistisch stimmen", teilte Maas am Mittwoch vor einem Treffen mit seinem US-Kollegen Antony Blinken und einer Konferenzschaltung mit 20 Außenministern mit. Das Engagement des Westens werde aber vom Verhalten der Taliban abhängen. Diese hatten die Rückkehr der Diplomaten nach Kabul und die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit gefordert.
In Afghanistan droht nach Angaben von Maas eine dreifache humanitäre Krise. In vielen Teilen des Landes herrsche jetzt schon Nahrungsmittelknappheit aufgrund der Dürre. Gleichzeitig seien internationale Hilfszahlungen gestoppt worden, von denen viele Menschen abhängen. "Und wenn eine neue Regierung nicht in der Lage ist, die Staatsgeschäfte am Laufen zu halten, droht nach dem politischen der wirtschaftliche Kollaps - mit noch drastischeren humanitären Folgen", warnte der SPD-Politiker. Das sei auch eine zentrale Sorge der Nachbarstaaten.
Maas unterstrich vor dem Treffen mit Blinken auf dem US-Stützpunkt in Ramstein die Notwendigkeit einer engen Abstimmung mit den USA beim Thema Afghanistan. Er habe deshalb zusammen mit Blinken zu der virtuellen Außenministerkonferenz eingeladen. Dabei soll unter anderem erneut beraten werden, wie man mit den Taliban umgehen soll und weitere Menschen aus dem Land evakuieren kann. Die Taliban hatten am Dienstag eine Übergangsregierung ernannt.
Taliban ernennen Übergangsregierung
Die Taliban haben über drei Wochen nach der Einnahme Kabuls eine Übergangsregierung in Afghanistan ernannt. Mullah Hassan Achund wurde zum amtierenden Regierungschef bestimmt, teilte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid am Dienstag in Kabul mit und wies darauf hin, dass alle Posten in der Regierung zunächst kommissarisch vergeben wurden. Achund war enger Weggefährte von Mullah Omar, einer der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001. Der oberste Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada kündigte an, die Übergangsregierung werde so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen.
Achundsada wies in einer Stellungnahme auch auf die Leitlinien der neuen Staatsspitze hin. Demnach werden alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Heiligen Scharia unterworfen. Er erklärte, die Taliban stünden zu allen internationalen Gesetzen, Verträgen und Verpflichtungen, die nicht im Widerspruch mit den islamischen Gesetzen stünden. Achundsada, dessen Sohn sich bei einem Attentat in die Luft sprengte, gratulierte dem Land zur Befreiung von "ausländischer Herrschaft". Achundsada hat seit 2016 das letzte Wort in allen politischen, religiösen und militärischen Fragen bei den Taliban.
Innenminister von FBI gesucht
Der Posten des amtierenden Innenministers wurde an Siradschuddin Hakkani vergeben. Hakkani, dessen gleichnamiges Netzwerk von den USA als terroristische Gruppierung eingestuft wird, gehört zu den meistgesuchten Männern der US-Ermittlungsbehörde FBI. Hakkani soll an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen sein und über enge Kontakte zum Extremisten-Netzwerk Al-Kaida verfügen.
Die USA reagierten zunächst verhalten auf die Bekanntgabe der neuen Regierung. Regierungssprecherin Jen Psaki erklärte nur, es werde nicht kurzfristig eine Anerkennung der afghanischen Regierung geben. Ein Sprecher der Vereinten Nationen sagte vor Reportern mit Blick auf die Regierung, nur eine ausgehandelte und alle Seiten berücksichtigende Verständigung werde Afghanistan Frieden bringen.
Nächste Woche Geberkonferenz für Afghanistan
Am 13. September ist in Genf eine Geberkonferenz angesichts der gefährdeten Grundversorgung großer Teile der Bevölkerung und über einer halben Million Flüchtlinge im Land geplant. Westliche Staaten haben sich zu humanitären Hilfen bereit erklärt. Umfangreichere Wirtschaftshilfen sollen allerdings vom Verhalten der Taliban abhängig gemacht werden. Taliban-Sprecher Mudschahid sagte, das jetzige Kabinett sei geformt worden, um sich um die Grundbedürfnisse der Afghanen zu kümmern.
Stellvertreter Achunds soll Mullah Abdul Ghani Baradar werden, bislang Chef des politischen Büros der Islamisten. Mullah Mohammad Jakub ist als Verteidigungsminister vorgesehen. Jakub ist ein Sohn des Taliban-Gründers Omar. Für den Posten des Außenministers ist Amir Chan Muttaki eingeplant, sein Stellvertreter soll Abas Staniksai werden. Unklar war zunächst, welche Rolle der oberste Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada in der neuen Regierung spielen soll. Seit der Einnahme von Kabul vergangenen Monat ist Achundsada nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten.
Unterdessen haben Hunderte Menschen in Kabul gegen die radikal-islamische Gruppierung protestiert. Taliban-Kämpfer versuchten, die Kundgebungen mit Warnschüssen aufzulösen.