Finanzen

Die „schwarze Null“: Notwendigkeit oder Ideologie?

Er ist einer von Deutschlands führenden Ökonomen: Sebastian Dullien. Die DWN haben ihn interviewt.
20.02.2022 09:00
Lesezeit: 5 min
Die „schwarze Null“: Notwendigkeit oder Ideologie?
Deutschlands Infrastruktur ist zu großen Teilen marode. (Foto: dpa)

Die „schwarze Null“: Ein Mittel zum Schutz von Gesellschaft und zukünftigen Generationen vor Politikern, die in ihrem Drang nach Machterhalt und Wiederwahl Wohltaten verteilen, die mit kaum jemals rückzahlbaren Schulden finanziert werden? Oder ein wirtschaftspolitisches Ziel, das im Laufe der Zeit ein Eigenleben angenommen hat und das schließlich nur noch um seiner selbst willen verfolgt wird? Oder handelt es sich gar um ein scheinbar rationales, in Wahrheit jedoch Ideologie-getriebenes Mantra, mit Hilfe dessen der Sozialstaat ausgebremst und der Neo-Liberalismus vorangetrieben wird? Im DWN-Interview gibt einer der führenden deutschen Ökonomen, Prof. Dr. Sebastian Dullien, Antworten auf diese Fragen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist die „schwarze Null“ angesichts der Corona-Situation ein Ziel, das die Bundesregierung weiterverfolgen sollte?

Sebastian Dullien: Die Frage ist doch, ob die „schwarze Null“ überhaupt ein sinnvolles Ziel ist, ganz unabhängig von Corona. In Deutschland gibt es einen gewaltigen Investitionsstau. Das war schon vor Corona der Fall. Deswegen haben das „Institut der Deutschen Wirtschaft“ und wir vom IMK bereits 2019 gefordert, über die nächsten zehn Jahre 460 Milliarden Euro, das heißt etwa 46 Milliarden jährlich, in Bildung und Infrastruktur zu investieren. Gerade angesichts des aktuellen Zinsniveaus, das gegen Null tendiert, sollte der deutsche Staat diese Gelegenheit ergreifen. Wann, wenn nicht jetzt?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gleichwohl würden so die Staatsschulden um weitere 460 Milliarden wachsen. Hinterließen wir den künftigen Generationen auf diese Weise nicht einen gewaltigen Schuldenberg?

Sebastian Dullien: Kurz- und mittelfristig würden die Schulden zwar wachsen, langfristig würde sich ein solches Investitionsprogramm aber positiv auf die Schuldenquote auswirken. Warum das so ist? Zunächst einmal ist unstrittig, dass eine funktionierende Infrastruktur Voraussetzung für eine erfolgreiche Volkswirtschaft ist. Verfällt die Infrastruktur hingegen, behindert dies Wachstum und führt gegebenenfalls auch zur Abwanderung von Industriebetrieben. Mit Investitionen in die Infrastruktur schaffen wir also die Voraussetzung für weiteres Wachstum. Wir haben ausgerechnet, dass das von uns vorgeschlagene Investitionsprogramm dazu führen würde, dass die Schuldenquote, nach einem anfänglichen Anstieg, bis zum Jahr 2050 herum sogar unter das Niveau sinken würde, das wir ohne kreditfinanziertes Investitionsprogramm hätten, und zwar deswegen, weil Staatsschulden immer in Relation zum Bruttosozialprodukt berechnet werden. Insofern wäre ein solches Investitionsprogramm auch ein Stück gelebte Generationengerechtigkeit.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie haben Sie das berechnet, und wie groß ist dabei die Fehlerspanne?

Sebastian Dullien: Wir haben die Wirkungen des Investitionsprogramms mit einem anerkannten makroökonomischen Modell, dem sogenannten NiGEM, simuliert. Dieses Modell wird von Zentralbanken und internationalen Institutionen weltweit benutzt und bildet eine Vielzahl wirtschaftlicher Variablen und alle wichtigen Länder der Welt ab. Natürlich kann man damit nicht die Zukunft über Jahrzehnte vorhersagen, aber es geht hier ja vor allem um die Tendenzaussage: Ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm erhöht das Wachstum und senkt langfristig die Schuldenquote. Dieses Ergebnis ist robust, auch, wenn man Annahmen an dem Modell ändert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Verbirgt sich hinter dem Konzept der „Schwarzen Null“ eine bestimmte Wirtschaftsideologie? Und falls ja, welche?

Sebastian Dullien: Ich kenne keinen seriösen Ökonomen, der sich noch für die „schwarze Null“, also dauerhafte Überschüsse im Staatshaushalt unabhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation, aussprechen würde. Hinter der Idee der schwarzen Null steckt ein populistisches Ausnutzen der in der Bevölkerung weit verbreiteten Angst vor Verschuldung, die aber auf den Staat übertragen kein rationales Fundament hat.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die „schwarze Null“ ist das eine. Das andere sind die Maastricht-Kriterien, nach denen der Schuldenstand eines Landes 60 Prozent seines Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht übersteigen und das gesamtstaatliche Defizit maximal drei Prozent des BIP erreichen darf.

Sebastian Dullien: Die „schwarze Null“ sollte kein Selbstzweck sein, und das Gleiche gilt auch für die Maastricht-Kriterien. Durch eine kluge Investitionspolitik können die Grundlagen für künftigen Wohlstand geschaffen werden, während eine zu rigide Sparpolitik mögliches Wachstum abwürgt. Zudem erwirtschaftet Deutschland gegenüber den meisten seiner EU-Partner Handelsüberschüsse, was auf Dauer kein tragbarer Zustand ist. Denn den deutschen Handelsbilanzüberschüssen stehen auf der anderen Seite Handelsbilanzdefizite gegenüber. Sinnvoller wäre es, über höhere Löhne in Deutschland die Binnennachfrage zu stärken und die Überschüsse gleichzeitig abzuschmelzen. Andernfalls fließt erwirtschaftetes Kapital auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten wieder aus Deutschland ab. Dabei gibt es weiß Gott genug Investitionsbedarf. Bestes Beispiel ist die Deutsche Bahn, die vollkommen kaputtgespart worden und nun gar nicht mehr in der Lage ist, einen reibungslosen Bahnverkehr aufrecht zu erhalten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Aber kann man sich denn ewig verschulden, oder gibt es nicht doch eine Grenze, ab der Schulden nicht mehr tragfähig sind?

Sebastian Dullien: Ich denke, es ergibt keinen Sinn, hier eine konkrete Zahl zu nennen, also etwa zu postulieren: Ein Schuldenstand von 100 Prozent des BIP ist zu hoch. Denn zum einen hängt es natürlich davon ab, unter welchen Bedingungen Schulden aufgenommen werden. Es ist etwas anderes, ob ich mich zu einem Zinssatz von annähernd null Prozent verschulde oder zu einem Zinssatz von fünf Prozent, bei dem ich irgendwann nur noch Schulden aufnehme, um Schulden zu bedienen, anstatt das Geld zu investieren oder Schulden abzubauen. Zweitens ist die Frage, wie klug ich das Geld investiere. Investitionen in Bildung und Infrastruktur wären beispielsweise Investitionen in die Zukunft, weil sie nachhaltige Wachstumseffekte auslösen können. Und dann wäre zu bedenken, dass eine moderate Inflation die Schulden tendenziell entwertet. Zurzeit stehen wir vor gewaltigen Aufgaben, von der Energiewende bis hin zur Digitalisierung. Von der Politik erhoffe ich mir nun beherztes Handeln – und eine Abkehr vom Konzept der „schwarzen Null“.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Prof. Dullien, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zum Interviewpartner: Prof. Dr. Sebastian Dullien (Jg. 1975) ist wissenschaftlicher Direktor des Düsseldorfer „Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung“ (IMK). Er lehrt an der „Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin“.

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Einbruchschutz: So sichern Sie Ihr Zuhause wirksam
22.04.2025

Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland steigt wieder, bleibt aber unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Die meisten Täter geben nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Gold erreicht erstmals 3.500 Dollar
22.04.2025

Ein turbulenter Präsident, ein unter Druck stehender Notenbankchef – und Anleger, die das Vertrauen verlieren. Während Donald Trump...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Attacke auf Fed: Wenn Trump Powell unter Druck setzt, drohen wirtschaftliche Turbulenzen
22.04.2025

Am Gründonnerstag senkte die Europäische Zentralbank (EZB) erneut die Leitzinsen – ein Schritt, der unter normalen Umständen das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA: Höchste Zahl an Firmeninsolvenzen seit der Finanzkrise
22.04.2025

Zinsdruck, Konsumflaute, Strukturprobleme: Immer mehr US-Unternehmen gehen pleite – ein wirtschaftlicher Selbstreinigungsprozess mit...

DWN
Politik
Politik Friedensgespräche in Sicht? Putin macht Ukraine Angebot
22.04.2025

Nach dem Oster-Waffenstillstand fordert der Kreml direkte Gespräche mit Kiew – ein diplomatisches Tauziehen beginnt.

DWN
Panorama
Panorama Papst Franziskus aufgebahrt: Vatikan nimmt Abschied
22.04.2025

Der Tod von Papst Franziskus markiert das Ende einer Ära im Vatikan. Während in der Kapelle seiner Residenz bereits der Abschied beginnt,...

DWN
Panorama
Panorama Mehr Druck auf Hegseth nach neuen Chat-Enthüllungen
22.04.2025

Die neue Chat-Affäre um US-Verteidigungsminister Pete Hegseth spitzt sich weiter zu, die Kritik wächst. Das Weiße Haus betont jedoch,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bombardiers Global 8000: Das schnellste Zivilflugzeug seit der Concorde wird noch in diesem Jahr abheben
22.04.2025

Kanadas Bombardier setzt mit dem Global 8000 auf Geschwindigkeit, Reichweite und Luxus – der Konkurrenzkampf im Überschallmarkt spitzt...