Deutschland

Bundesregierung verliert erste Ministerin: Spiegel tritt zurück

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel ist zurückgetreten. Die Bundesregierung verliert dadurch schon nach wenigen Monaten das erste Mitglied.
11.04.2022 10:00
Aktualisiert: 11.04.2022 10:34
Lesezeit: 3 min
Bundesregierung verliert erste Ministerin: Spiegel tritt zurück
Anne Spiegel ( Bündnis 90/die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (Foto: dpa) Foto: Annette Riedl

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) stellt ihr Amt nach Kritik an ihrem Umgang mit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 zur Verfügung. Das teilte sie am Montag in Berlin mit. "Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht", sagte Spiegel.

Die Bild-Zeitung hatte zuvor berichtet, dass die Grünen-Spitze Spiegel den Rücktritt nahegelegt hatte.

Die Grünen-Spitze will zeitnah einen Vorschlag zur Nachfolge der zurückgetretenen Familienministerin machen. Das sagte Co-Parteichef Omid Nouripour am Montag in Husum. Mit Blick auf Spiegel sagte er, der Schritt, nun zurückzutreten, sei richtig - bei aller Härte und so schwierig die Entscheidung auch gewesen sei. Co-Parteichefin Ricarda Lang sagte, die Grünen-Spitze habe größten Respekt für den Mut und die Klarheit von Spiegel.

Am Sonntagabend war allerdings niemand von der Grünen-Parteispitze Spiegel beigesprungen. In Koalitionskreisen hieß es, dass die Nervosität der Parteien auch wegen der anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und vor allem Nordrhein-Westfalen im Mai groß sei.

Der Rückzug der Grünen-Ministerin verstärkt die Debatte auch über andere Minister der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. So hatte es in den vergangenen Wochen harte Kritik auch an Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Lauterbach muss sich wegen der gescheiterten Impfpflicht, dem Infektionsschutzgesetz und der Rücknahme neuer Quarantäne-Regelung rechtfertigen.

Lesen Sie dazu: Lauterbach außer Rand und Band: Beobachter sprechen von „Chaos“ in deutscher Corona-Politik

Rückblick: Flut-Katastrophe wird Spiegel zum Verhängnis

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldigt. Sie begründete ihre damalige Entscheidung als Ministerin für Klimaschutz und Umwelt in Rheinland-Pfalz in einem denkwürdigen Auftritt vor Journalisten am Sonntagabend unter anderem mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der im März 2019 einen Schlaganfall erlitten hatte. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht, «weil mein Mann nicht mehr konnte», sagte die 41-Jährige, die sichtlich angeschlagen wirkte und der während des Auftritts mehrfach die Stimme stockte. «Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung.»

Als weitere Begründung gab die Ministerin an, dass Corona für ihre Familie «eine wahnsinnige Herausforderung» gewesen sei. Die Pandemie habe ihre vier Kinder im Kita- und Grundschulalter «ganz klar mit Spuren versehen».

Grünen-Spitze schweigt - Vorstandsklausur am Montag

Zu den Rücktrittsforderungen aus der Opposition äußerte Spiegel sich nicht. Die Beantwortung von Fragen lehnte sie ab. Von ihrer Partei, den Grünen, gab es am Sonntagabend auf Nachfrage zunächst keine Stellungnahme. Am Montag kommt der Bundesvorstand der Partei im schleswig-holsteinischen Husum zu einer Klausurtagung zusammen. «Bild» berichtete, dass es am Sonntag eine Krisensitzung mit den Grünen-Ministern Robert Habeck, Annalena Baerbock, und den Partei- und Fraktionsvorsitzenden gegeben habe. Dabei sei Spiegel der Rücktritt nahegelegt worden, sie habe aber darum gebeten, noch eine Chance zu bekommen, berichtete Blatt. Eine Stellungnahme der Grünen zu dem Bericht gab es zunächst nicht.

Die 41-jährige Spiegel und die gleichaltrige Baerbock sind die jüngsten Mitglieder des Kabinetts von Kanzler Olaf Scholz (SPD), das erst vor vier Monaten vereidigt wurde. Am Wochenende war durch einen Bericht der «Bild am Sonntag» bekannt geworden, dass die damalige Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zehn Tage nach der Flutkatastrophe zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte.

Überforderung durch Ämterhäufung: «Es war zu viel»

Spiegel legte in ihrer emotionalen Erklärung detailliert ihre privaten Beweggründe dar. Sie räumte ein, sich selbst mit einer Häufung von Ämtern überfordert zu haben. Zuerst habe sie sich entschlossen, neben ihrem Amt als Familienministerin in Rheinland-Pfalz die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl zu übernehmen. Als Fehler bezeichnete sie, dass sie dann ab Januar 2021 auch noch das Umweltministerium geschäftsführend übernommen habe, mit dem sie dann später mitverantwortlich für die Bewältigung der Flutkatastrophe wurde. «Ich habe diese Aufgabe sehr ernst genommen, und es war zu viel. Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht», räumte Spiegel ein.

Die Entscheidung für den Urlaub sei eine schwere Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und der Verantwortung als Mutter mit vier kleinen Kindern gewesen, die nicht gut durch die Corona-Pandemie gekommen seien. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. «Wenn es irgendeinen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte ich das sofort getan», sagte Spiegel.

Falsche Angaben zur Teilnahme an Kabinettssitzungen

Die Familienministerin musste aber Angaben korrigieren, die sie am Samstag gegenüber der «Bild am Sonntag» gemacht hatte. Anders als ursprünglich mitgeteilt, habe sie sich nicht aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet. Die Sitzungen seien zwar in ihrem Kalender verzeichnet gewesen. Eine Überprüfung der Kabinettsprotokolle habe aber am Sonntag ergeben, dass sie nicht teilgenommen habe.

CDU-Chef Friedrich Merz hatte bereits vor der Erklärung der Familienministerin Spiegels Entlassung gefordert. Mehrere andere Unions-Politiker und der familienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Reichardt, verlangten Spiegels Rücktritt.

Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.

Rücktritt in NRW wegen Mallorca nach der Flut

In Nordrhein-Westfalen hatte die dortige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ihr Amt am Donnerstag niedergelegt, nachdem bekannt geworden war, dass sich die 56-jährige Ministerin wenige Tage nach der Flutkatastrophe auf der Ferieninsel Mallorca für ein Wochenende mit weiteren Regierungsmitgliedern getroffen hatte, um den Geburtstag ihres Mannes zu feiern.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...