Angesichts wieder steigender Corona-Zahlen wird in den ersten Bundesländern über verschärfte Maßnahmen nachgedacht. So könnte in Berlin demnächst die Maskenpflicht in Läden, Museen und anderen öffentlichen Gebäuden wieder eingeführt werden. Überlegungen aus der Berliner Gesundheitsverwaltung dazu wurden am Mittwoch bekannt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rief die Bundesländer dazu auf, die Möglichkeiten für Corona-Maßnahmen im geänderten Infektionsschutzgesetz zu nutzen, „insbesondere die Maskenpflicht in den Innenräumen“.
„Ich glaube, es ist eine Fehlannahme zu glauben, dass die jetzt beginnende Herbst- und Winterwelle sich von alleine begrenzt“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Die vom Robert Koch-Institut (RKI) angegebene bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz steigt seit mehreren Wochen und lag am Mittwochmorgen bei 799,9 (Vorwoche: 414,0; Vormonat: 216,0).
In den Kliniken gebe es zurzeit mehr Corona-positive Patienten als zur Spitze der Sommerwelle, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, am Mittwoch in Berlin. „Wir haben einen Zuwachs von 50 Prozent im Vergleich zur Vorwoche, das ist schon eine gehörige Dynamik, die wir da erleben.“
Wenig Intensiv-Patienten
Die Patienten seien zwar überwiegend auf Normalstationen und kämen vielfach mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus und nicht wegen schwerer Covid-Symptome. „Aber sie verursachen im Krankenhaus natürlich einen enormen Mehraufwand.“ Gaß nannte nötige Isolationsmaßnahmen und einen größeren Personalaufwand für positiv getestete Patienten. Zimmer könnten zudem nicht so dicht belegt werden. Dazu kämen „hohe Ausfallraten“ bei den Beschäftigten durch eigene Ansteckungen.
Der DKG-Vorstandsvorsitzende rechnet nach eigenen Angaben in den kommenden Wochen mit längeren Wartezeiten in den Kliniken bei geplanten Behandlungen und damit, dass Stationen mit verminderter Bettenzahl geführt oder sogar abgemeldet werden.
Kritik folgt prompt
Kritisch äußerte sich dazu der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Es fehlten weiterhin tagesaktuelle Daten aus den Kliniken zur Lage. Einschränkende Maßnahmen könnten ohne diese Fakten aus den Hospitälern jedoch nicht begründet werden, sagte er der dpa. „Pauschale Verschiebungen von sogenannten planbaren Operationen ohne aussagefähige Daten für Patientinnen und Patienten darf es nicht mehr geben.“
Lauterbach sprach von einer aktuell hohen Hospitalisierungsinzidenz – also vielen Krankenhausfällen – „aber die Zahl der Todesfälle ist deutlich niedriger als wir sie vor einem Jahr gehabt haben und das verdanken wir der Wirkung der Impfstoffe“. Er bekräftigte, man sei auf die Herbst- und Winterwelle sehr gut vorbereitet und verwies auf angepasste Impfstoffe, Medikamente für besonders gefährdete Gruppen und mögliche Corona-Maßnahmen, die laut Infektionsschutzgesetz von den Ländern in Eigenregie ergriffen werden können.
Berlin plant Maskenpflicht
In den nächsten Tagen und Wochen wird sich entscheiden, inwiefern diese davon Gebrauch machen. Erste Schritte deuteten sich am Mittwoch in Berlin an: Für die Hauptstadt kündigte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote für die nächste Woche einen Vorschlag zur Wiedereinführung der Maskenpflicht zum Beispiel in Geschäften oder Museen an. „Wir sehen gerade, dass die Infektionen in Berlin sehr stark ansteigen, wodurch das Gesundheitssystem sehr stark belastet wird“, sagte die Grünen-Politikerin.
Zustimmung kam aus dem Nachbarland Brandenburg. „Eine moderate Ausweitung der Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen, wie Berlin sie jetzt erwägt, halte ich für ein geeignetes Mittel“, sagte Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) der dpa in Potsdam.
Im Saarland mit der bundesweit höchsten Sieben-Tage-Inzidenz blieb es zunächst noch bei einem Appell, nachdem ein Regierungssprecher zuvor angekündigt hatte, dass die Regierung „sehr zeitnah“ neue Entscheidungen zu Corona-Maßnahmen bekanntgeben werde. Gesundheitsminister Magnus Jung (SPD) rief die Menschen am Mittwoch dazu auf, wieder Masken in Innenräumen zu tragen. Eine Verschärfung der Corona-Regeln etwa mit einer Ausweitung der Maskenpflicht sei zunächst nicht vorgesehen. Dies sei aber ein möglicher Schritt, wenn sich die Situation nicht verbessere.
In den vergangenen zwei Corona-Jahren kam es mehrfach zu einer Art Dominoeffekt bei den Maßnahmen: Verschärfte oder lockerte ein Bundesland Regeln, gerieten andere unter Druck und zogen nach.
Auch die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Susanne Johna, drängt die Bundesländer zum Handeln bei steigenden Corona-Zahlen. „Überall dort, wo die Inzidenzen jetzt durch die Decke gehen, müssen die Länder mit einer FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV und in öffentlich zugänglichen Innenräumen reagieren“, sagte Johna den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Länder müssten „auf der Basis eines verlässlichen Echtzeit-Monitorings entscheiden, wie das Infektionsgeschehen besser eingedämmt werden kann, um die Krankenhäuser nicht zu überlasten“.
Auch der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb hält demnächst stärkere Schutzmaßnahmen für notwendig. „Die Empfehlung oder die Pflicht zum Tragen von Masken werden wir in wenigen Wochen wieder brauchen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Abstandsregeln bei großen Veranstaltungen, in Theatern und Kinos, benötigen wir bald wieder zurück.“ Das persönliche Verhalten müsse im Winter wieder stärker auf Corona ausgerichtet werden. „Wir brauchen wieder eine höhere Impfbereitschaft und eine größere Vorsicht.“
Es sei zwar gut, dass Corona in der Öffentlichkeit nicht mehr die Dramatik wie noch vor ein oder zwei Jahren einnehme, da heute viele Menschen geimpft seien. „Aber es ist falsch, dass Corona jetzt fast gänzlich aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden ist – das muss sich schnell ändern“, so Zeeb.
„Maske kein Allheilmittel“
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck warnte allerdings, „zu glauben, dass eine Maskenpflicht jetzt ein Allheilmittel ist, dass wir dadurch wieder eine bessere Bekämpfung der Infektionszahlen haben“. Das sei wahrscheinlich nicht der Fall, sagte er in der Sendung RTL Direkt am Mittwochabend.
Mit Blick auf die Situation in den Krankenhäusern sagte die Marburger-Bund-Vorsitzende Johna: „Das Personal geht jetzt schon wieder auf dem Zahnfleisch, ich mag mir nicht ausmalen, wie die Situation ist, wenn der Belegungsdruck auch durch viele Covid-19-Fälle weiter zunimmt oder sich gar eine zusätzliche Influenzawelle aufbaut.“
Die Belegung mit positiv auf Corona getesteten Patienten sei auf den Normalstationen gegenüber der Vorwoche um die Hälfte gestiegen, auch auf den Intensivstationen sehe man wieder mehr Covid-19-Patienten. Das alles belaste das Personal, die Isolationsnotwendigkeiten bänden Zeit und Bettenkapazitäten zusätzlich. „Schon jetzt sind viele Notaufnahmen überlastet, die Rettungsleitstellen haben in manchen Bundesländern Schwierigkeiten für Patienten in Rettungswagen freie Kapazitäten zu finden“, schilderte Johna.
Streeck sagte, es gebe jeden Herbst und Winter immer eine extreme Belastung in den Krankenhäusern. „Das ist einfach die Husten-, Schnupfenwelle, das sind die Erkältungskrankheiten, die da wieder kommen.“ Man müsse natürlich genau auf die Krankenhäuser hören und schauen, was machbar sei.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine zweite Auffrischungsimpfung Menschen ab 60 Jahren und Gruppen mit Risikofaktoren. Nach Daten des Robert Koch-Instituts haben sich bislang gut 28 Prozent der Über-60-Jährigen einen zweiten Booster spritzen lassen.