Der neue Twitter-Chef Elon Musk hat Wort gehalten und ist weiter bemüht, das über Jahre beschädigte Vertrauen in die Social-Media-Plattform durch eine Transparenzoffensive zurückzugewinnen. Er übergab den beiden unabhängigen Journalisten Bari Weiss (ehemals New York Times) und Matt Taibbi (ehemals Rolling Stone und The Intercept) mehr als 1.500 Seiten interner Dokumente, die einwandfrei belegen, wie der Zensurapparat von Twitter funktioniert und welche prominenten Stimmen ihm zum Opfer fielen.
Twitter nahm direkt Einfluss auf den US-Wahlkampf 2020
Im ersten Teil der Twitter-Files wurde deutlich, dass Twitter gezielt Einfluss auf den US-Wahlkampf 2020 zwischen Donald Trump und Joe Biden nahm. Im Endpsurt des Wahlkampfs veröffentlichte die New York Post zwei Titelgeschichten über Hunter Biden, den Sohn des amtierenden Präsidenten Joe Biden. Neben den – erwartbaren – Drogen- und Sex-Eskapaden enthielten die Berichte hochbrisantes Material darüber, wie Hunter Biden seinen Namen dazu nutzte, um Geschäftsleuten in der Ukraine und China gegen entsprechende Zahlungen Zugang zu seinem Vater, dem damaligen Vize-Präsidenten, zu verschaffen.
Das Team Biden übte daraufhin immensen Druck auf Twitter aus, die Geschichten – die ganz klar das Potenzial dazu hatten, den Wahlkampf zu Trumps Gunsten zu drehen – zu zensieren. Twitter nutzte dabei den gesamten Werkzeugkasten der Zensurmethoden. Der Account der New York Post, einer der ältesten US-Zeitungen, wurde gesperrt. Accounts, die die Geschichte teilten, wurden mit einem „Shadowban“ belegt, ihre Reichweite und Sichtbarkeit wurde also weitgehend eingeschränkt.
Dazu griff Twitter sogar zu einem Werkzeug, das eigentlich für extreme Verstöße wie die Verbreitung von Kinderpornografie vorgesehen ist. Die Links zur New-York-Post-Geschichte wurden in privaten Nachrichten der Plattform unterdrückt. Darüber hinaus wurde der Account der damaligen Pressesprecherin des Weißes Hauses, Kaleigh McEnany, blockiert, nach dem diese die Geschichte teilen wollte, wie Matt Taibbi ausführlich darlegt.
Als Begründung für diese weitreichende Zensur der öffentlichen Meinung übernahm Twitter zunächst die hanebüchene Aussage des Wahlkampfteams von Biden, nach der es sich um eine russische Desinformationskampagne handeln würde. Als diese Begründung sich als offensichtlich entpuppte, da die Echtheit der Daten von Hunter Bidens Laptop unzweifelhaft war, verlegte sich Twitter darauf zu behaupten, interne Vorschriften würden die Verbreitung von Material untersagen, dass durch illegale Hacks erworben wurde.
„Sie haben sich das einfach ausgedacht“, beschreibt ein ehemaliger Twitter-Mitarbeiter die Entscheidung. „Hacking war die Ausrede, aber innerhalb von ein paar Stunden war so ziemlich jedem klar, dass das nicht funktionieren würde. Aber niemand hatte den Mumm, die Entscheidung rückgängig zu machen.“
Zensur von Lockdown-Kritikern und Konservativen
Vielmehr belegen die Interna, dass die Demokraten massiv Druck auf Twitter ausübten, ihre Plattform „stärker zu moderieren“, da die Republikaner die „Wahrheit trüben“ und eine sachliche Debatte damit unmöglich machen würden. Zwar waren es nicht ausschließlich, aber überwiegend Demokraten, die den Druck auf Twitter erhöhten und sogar mit Vorladungen vor dem US-Kongress drohten.
Die jüngsten Veröffentlichung der Twitter-Files durch Bari Weiss zeigen zudem, dass Twitter intern „Schwarze Listen“ mit unerwünschten Personen führte, missliebige Tweets am Trending hinderte und die Sichtbarkeit ganzer Accounts oder sogar von Trending Topics aktiv einschränkte – alles im Geheimen und ohne die Nutzer darüber zu informieren. In den letzten Jahren richtete sich die Zensur vor allem gegen konservative Stimmen sowie Kritiker der Corona-Maßnahmen.
Ein prominentes Beispiel dafür ist Dr. Jay Bhattacharya. Der Epidemiologe aus Stanford gehört zu den angesehensten seines Fachs und ist Mitunterzeichner der „Great Barringtion Declaration“. Bhattacharya warnte mit Verweis auf zahlreiche Studien früh davor, dass Lockdowns insbesondere Kindern schaden und gesellschaftlich mehr Schaden als Nutzen anrichten würden. Twitter setzte ihn heimlich auf eine „Schwarze Liste“, die verhinderte, dass seine Tweets als Trending erscheinen konnten. Bhattacharya reagierte geschockt auf die systematische Unterdrückung des wissenschaftlichen Diskurs.
„Ich versuche immer noch, meine Gefühle zu verarbeiten, als ich erfuhr, dass Twitter mich auf die schwarze Liste gesetzt hat“, schrieb Bhattacharya auf Twitter. „Der Gedanke, der mich heute Nacht wach halten wird: Die Zensur wissenschaftlicher Diskussionen ermöglichte Maßnahmen wie Schulschließungen & eine Generation von Kindern wurde verletzt. Ich bin neugierig, welche Rolle die Regierung bei der Unterdrückung der politischen Diskussion auf Twitter gespielt hat. Das werden wir mit der Zeit sehen, nehme ich an.“
Weitere prominente Opfer der Zensur waren die konservativen Stimmen Dan Bongino und Charlie Kirk. Ihre Accounts wurden mit einem „Shadow Ban“ belegt und – im Falle von Bongino – sogar von der Twitter-Suche geblockt, sodass Nutzer sie nicht einmal mehr manuell finden konnten. Dabei hatten Twitter-Offizielle, darunter auch Ex-CEO Jack Dorsey, in der Vergangenheit immer wieder betont, keine „Shadow Bans“ zu nutzen. So sagte etwa Vijaya Gadde, Chefin der Rechtsabteilung, 2018 noch: „Wir verhängen keine Shadow Bans. Und wir verhängen ganz sicher keine Shadow Bans aufgrund von politischen Ansichten oder Ideologien.“
Ehemaliger FBI-Agent im Zentrum des Zensurapparats
Die Gruppe, die darüber entschied, ob die Reichweite bestimmter Nutzer eingeschränkt werden sollte, war das Strategic Response Team – Global Escalation Team, kurz SRT-GET. Sie bestand aus Hunderten Moderatoren und bearbeitete oft bis zu 200 „Fälle“ pro Tag. Aber es gab eine weitere Ebene jenseits des offiziellen Moderatoren, die die Unternehmensrichtlinien zumindest auf dem Papier befolgten. Das war die Gruppe „Site Integrity Policy, Policy Escalation Support“, bekannt als „SIP-PES“.
Im Kern dieser Gruppe standen vor allem drei Personen: Vijaya Gadde, Chefin der Rechtsabteilung, Yoel Roth, Sicherheitschef, und der stellvertretende General Counsel Jim Baker. Diese drei trafen viele der weitreichendsten Zensurentscheidungen im Alleingang und oftmals sogar ohne Wissen des damaligen Twitter-Chefs Dorsey. Die schillerndste Figur in diesem Dreigespann ist wohl Jim Baker.
Vor seiner Zeit bei Twitter war Baker General Counsel bei der Bundespolizeibehörde FBI. Baker ist wiederholt in den vom Justizministerium eingeleiteten Russland-Ermittlungen gegen Ex-US-Präsident Trump aufgetreten, darunter auch in der Fake-Affäre um die russische Alfa-Bank. Als der Anwalt der Clinton-Kampagne, Michael Sussmann, die bizarre Falschbehauptung eines geheimen Kommunikationskanals zwischen dem Trump-Wahlkampfteam und dem Kreml in die Welt setzen wollte, war Baker sein bevorzugter Ansprechpartner auf Abruf.
Bakers Name tauchte auch in den Kontroversen im Zusammenhang mit den anderen FBI-Vorwürfen gegen Trump im Zusammenhang mit Russland auf. Aufgrund seiner zwielichtigen Rolle wurde Baker beim FBI faktisch aus dem Amt gedrängt, und Berichten zufolge wurden gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Er wurde zu einem Verteidiger der Russland-Ermittlungen, obwohl dabei ein parteiisches und sogar kriminelles Verhalten festgestellt wurde.
Die freigegebenen Dokumente zeigen, warum Twitter Baker trotz seiner Rolle in den Kontroversen um russische Absprachen so eifrig anheuerte. So war Baker auch Mitglied des einflussreichen US-Thinktanks Brookings Institution, der selbst eine entscheidende Rolle bei der Erfindung der Trump-Russland-Geschichte spielte. Was für die meisten Unternehmen wahrscheinlich eine Belastung gewesen wäre, schien für Twitter ein echter Gewinn zu sein. Für ein Unternehmen, das sich mehr und mehr der systematischen Zensur verschrieben hat, waren Bakers Erfahrungen und Kontakte bares Gold wert.
Unheilige Allianz: Twitter und US-Sicherheitsbehörden
Baker arbeitete direkt mit der Leiterin der Rechtsabteilung des Unternehmens, Vijaya Gadde, zusammen, die als Chefzensorin des Unternehmens fungierte. Gadde wurde von Kritikern wegen ihrer Ablehnung der Grundsätze der freien Meinungsäußerung und ihrer offenen politischen Voreingenommenheit weithin geschmäht. Bei der Unterdrückung der New-York-Post-Geschichte spielte Baker dann auch wieder eine Schlüsselrolle. Er unterhielt direkte Geheimkanäle zum Biden-Team und setzte sich gegen aufkeimende Widerstände im Unternehmen durch, die zunehmend Zweifel an der Zensur hatten.
Baker war dabei nicht der einzige Ex-FBI-Agent, der für Twitter arbeitete. Wie ein Bericht von MintPressNews darlegt, hat Twitter in den letzten Jahren eine Reihe ehemaliger FBI-Beamter und Spione eingestellt. MintPress hat eine Reihe von Beschäftigungs- und Rekrutierungs-Websites untersucht und festgestellt, dass der Social-Media-Gigant in den letzten Jahren Dutzende von Personen aus dem nationalen Sicherheitsapparat eingestellt hat, um in den Bereichen Sicherheit, Recht und Inhaltskontrolle zu arbeiten.
So wurde beispielsweise Dawn Burton, die frühere Leiterin der Washingtoner Abteilung des Rüstungskonzerns Lockheed Martin, 2019 von ihrer Stelle als leitende Innovationsberaterin des FBI-Direktors abgeworben, um bei Twitter als „Senior Director of Strategy and Operations for Legal, Public Policy, Trust and Safety“ zu arbeiten. Im darauffolgenden Jahr wechselte Karen Walsh nach 21 Jahren beim FBI direkt als Direktorin für „Corporate Resilience“ zu dem Silicon-Valley-Riesen.
Die Liste ehemaliger Mitarbeiter des US-Sicherheitsapparats, die bei Twitter anheuerten, ist lang. Twitter hat laut MintPressNews auch bei der CIA, der US-Army, der NATO und dem Atlantic Council Mitarbeiter angeworben. Fast alle diese Einstellungen erfolgten in politisch sensiblen Bereichen wie Vertrauen, Sicherheit und Inhaltskontrolle, so dass diese Organisationen Einfluss auf die Regeln und Inhalte des Dienstes nehmen können.
Ändert sich die Zensur auf Twitter unter Elon Musk?
Durch Musks Twitter-Übernahme weht nun ein anderer Wind beim Social-Media-Riesen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen entließ Musk die Chefzensorin Vijaya Gadde. Sicherheitschef Yoel Roth kam seiner unausweichlichen Entlassung durch Kündigung zuvor. Blieb also nur noch Baker. Taibbi hat nun deckte unter anderem auch auf, dass Baker die Twitter-Files in den letzten Tagen heimlich „überprüfte“ und die Veröffentlichung noch in letzter Sekunde beeinflussen wollte.
Musk, der offenbar bis zur Veröffentlichung der Twitter-Files im Unklaren über Bakers Rolle im Zensurapparat war, setzte den Ex-FBI-Agenten vergangene Woche vor die Tür. Trotzdem bleibt es für Twitter noch ein weiter Weg zurück zu einem Medium, dass den öffentlichen Diskurs stärkt. Zwar kündigte Musk kürzlich eine Amnestie für gesperrte Twitter-Konten an, doch davon spüren viele Konservative und Corona-Maßnahmen-Kritiker bisher noch wenig.
Unklar ist auch, ob Musk die zur Reichweitenunterdrückung genutzte Technik des „shadow banning“ abschaffen wird. Twitter behält sich in seinen AGBs nach wie vor das Recht vor, die „Verbreitung oder Sichtbarkeit von Inhalten des Dienstes zu beschränken“. In einem kürzlich veröffentlichten Tweet deutete Musk an, dass er das „shadow banning“ weiter einsetzen will.
„Die neue Twitter-Politik ist die Freiheit der Rede, aber nicht die Freiheit der Reichweite“, schrieb Musk auf Twitter. „Negative und hasserfüllte Tweets werden maximal ausgebremst und demonetisiert, also keine Werbung oder andere Einnahmen für Twitter. Sie werden den Tweet nicht finden, es sei denn, Sie suchen gezielt danach, was sich nicht vom Rest des Internets unterscheidet.“