Deutschland

Europas Windindustrie warnt vor „ernsthaften finanziellen Herausforderungen“

Steigende Materialkosten und Verzögerungen bei neuen Projekten durch die EU-Bürokratie drücken auf die Gewinne. Die Branche steht trotz einer robusten Energienachfrage unter starkem Druck.
20.02.2023 10:12
Aktualisiert: 20.02.2023 10:12
Lesezeit: 3 min

Die europäische Windindustrie hat wegen hohen Materialkosten und langsamer Genehmigungen für neue Windkraftprojekte vor anhaltenden Schwierigkeiten im Jahr 2023 gewarnt. Diese Hauptfaktoren beeinträchtigen die Rentabilität Europas Windturbinenhersteller trotz steigender Nachfrage nach erneuerbaren Energien, sagen Branche-Akteure.

Der Financial Times zufolge haben die Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine die Preise für Energie und wichtige Rohstoffe wie Stahl im vergangenen Jahr in die Höhe getrieben – und damit einen „perfekten Sturm“ für den europäischen Windsektor ausgelöst.

Trotz großer Nachfrage von Regierungen und Kunden nach erneuerbaren Energien infolge der Energiekrise, haben langsame Genehmigungsverfahren für Windparks in der EU und in Großbritannien zu einem Stau an Projekten geführt, und neue Turbinenaufträge damit verzögert.

„Ernsthafte finanzielle Herausforderungen“

Der jüngste schlechte Ausblick kam vom dänischen Windturbinenhersteller Vestas, der Investoren vor Kurzem mitteilte, dass der Konzern ein schwächeres Jahr erwartet, hauptsächlich wegen Inflation in der Lieferkette und dem langsamen EU-Planungssystem. Beide Faktoren drückten auf Gewinne.

Der Vorstandsvorsitzende von Siemens Gamesa, Christian Bruch, sagte der Financial Times, dass die Branche vor „ernsthaften finanziellen Herausforderungen“ stehe, während der Windparkentwickler Orsted eine Wertminderung von 365 Millionen Dollar für ein großes US-Offshore-Projekt aufgrund einer „beispiellosen Kosteninflation“ ankündigte.

General Electric, einer der weltweit führenden Anbieter von Windturbinen, meldete, dass die Umsätze im Bereich erneuerbare Energien bis Dezember um fast ein Fünftel zurückgegangen sind, zum Teil wegen geringeren Turbinenaufträgen.

In seinem 2023-Ausblick erklärte Vestas, das es davon ausgehe, dass die Inflation die Preise in der gesamten Lieferkette weiter in die Höhe treiben würde. Der Windturbinenhersteller warnte, dass „geringere“ Windkraftinstallationen in diesem Jahr Umsatz und Rentabilität beeinträchtigen werden, und meldete in seinen vorläufigen Ergebnissen für 2022 einen Umsatz von 14,5 Milliarden Pfund – am unteren Ende von Prognosen. Einnahmen könnten in diesem Jahr noch niedriger ausfallen, hieß es.

Der Rückgang von Turbinen-Installationen war zurückzuführen auf „langsame Genehmigungsverfahren in Europa“ und ein aktuelles gedämpftes Aktivitätsniveau in den USA, wo die Branche sich auf ein arbeitsreiches Jahr vorbereitet. Der Aufschwung in den USA im Jahr 2024 würde durch den „Inflation Reduction Act“ vorangetrieben, der 369 Milliarden US-Dollar für saubere Energie und klimarelevante Projekte vorsieht, so das Unternehmen weiter.

Abbau von Arbeitsplätzen im Jahr 2022

Laut der Financial Times führten die Auswirkungen von Lieferkettenengpässen, Inflation, wachsender Konkurrenz aus China und den langwierigen bürokratischen Genehmigungsverfahren für neue Turbinen-Projekte dazu, dass führenden Turbinenhersteller im vergangenen Jahr Arbeitsplätze abgebaut haben.

Siemens Gamesa hat die Börsennotierung seiner Aktien eingestellt und den Vorstand verschlankt, um sich auf einen finanziellen Turnaround zu konzentrieren nachdem der Konzern in seinen vorläufigen Ergebnissen für das erste Quartal 2023 einen Nettoverlust von 760 Millionen Euro erlitt.

Laut Alessandro Boschi, Leiter der Abteilung für erneuerbare Energien der Europäischen Investitionsbank, stehen führende europäischen Hersteller von Offshore-Windkraftanlagen „unter enormem Kosten- und Preisdruck“ und es würde höchstwahrscheinlich weitere Konsolidierung in der Branche geben. Boschi sagte europäischen Hersteller konkurrieren mit chinesischen Konzernen „nicht auf Kostenbasis, sondern auf Qualitäts- und Technologiebasis“, etwa bei der Größe und bei den Leistung der Turbinen.

Elena Pravettoni, Leiterin der Abteilung für saubere Energie bei der Denkfabrik Energy Transitions Commission, sagte jedoch, dass einige der Branchen-Herausforderungen „auf dem Weg zur Lösung“ seien. Sie wies darauf hin, dass Engpässe in der Schifffahrt aktuell nachlassen und Brennstoff- und Stahlpreise im Abwärtstrend sind.

In Deutschland kommt der Ausbau von neuen Wind- und Solarkraftwerken trotz der Energiekrise nicht in Schwung. Wegen fehlender Projekte halbierte die Bundesnetzagentur die Ausschreibungs-Menge für neue Windparks, wie die Behörde vor Kurzem mitteilte. Dennoch erhielten auch dafür wegen mangelnden Interesses nur ein Drittel einen Zuschlag.

Den Zuschlag erhielten zudem auch nur die Hälfte der möglichen größeren Solar-Projekte auf Haus-Dächern oder an Lärmschutzwänden. Hintergrund sind neben fehlenden Genehmigungen auch die deutlich gestiegenen Investitionskosten, unter anderem wegen des Anstiegs der Zinsen. Für die Bundesregierung sind dies schlechte Nachrichten. Voraussichtlich wird auch der Energie-Sektor in diesem Jahr erstmals seine Klimaziele verfehlen. Der Ausbau ist auch daher dringend nötig.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Vera von Lieres

Vera von Lieres gehört seit September 2022 zum DWN-Team und schreibt als Redakteurin über die Themen Immobilien und Wirtschaft. Sie hat langjährige Erfahrung im Finanzjournalismus, unter anderem bei Reuters und führenden Finanzmedien in Südafrika. Außerdem war sie als Kommunikations- und Marketing-Spezialistin bei internationalen Firmen der Investment-Branche tätig.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up Etalytics: KI als digitaler Dirigent für die Industrieenergie
28.11.2025

In Deutschlands Fabriken verpuffen gewaltige Mengen Energie. Mit einer eigenen KI, die das System kontrolliert, gelingen Etalytics...

DWN
Finanzen
Finanzen Bullenmarkt im Blick: Steht der globale Aufwärtstrend vor einer Wende?
28.11.2025

Die globalen Aktienmärkte erleben nach Jahren starken Wachstums wieder mehr Unsicherheit und kritischere Kursbewegungen. Doch woran lässt...

DWN
Politik
Politik Milliarden-Etat für 2026: Bundestag stemmt Rekordhaushalt
28.11.2025

Der Bundestag hat den Haushalt für 2026 verabschiedet – mit Schulden auf einem Niveau, das zuletzt nur während der Corona-Pandemie...

DWN
Politik
Politik Zu wenige Fachkräfte, zu viele Arbeitslose: Deutschlands paradoxer Arbeitsmarkt
28.11.2025

Deutschland steuert auf fast drei Millionen Arbeitslose zu, doch das eigentliche Problem liegt laut Bundesagentur-Chefin Andrea Nahles...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bleibt im November bei 2,3 Prozent stabil
28.11.2025

Auch im November hat sich die Teuerungsrate in Deutschland kaum bewegt: Die Verbraucherpreise lagen wie schon im Vormonat um 2,3 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Koalition erzielt Kompromisse bei Rente, Autos und Wohnungsbau
28.11.2025

Nach langen Verhandlungen haben CDU, CSU und SPD in zentralen Streitfragen Einigungen erzielt. Die Koalitionsspitzen verständigten sich...

DWN
Politik
Politik Zeitnot, Lücken, Belastung: Schulleitungen schlagen Alarm
28.11.2025

Deutschlands Schulleiterinnen und Schulleiter stehen nach wie vor unter hohem Druck: Laut einer Umfrage der Bildungsgewerkschaft VBE sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Datenschutz oder Fortschritt? Der Balanceakt zwischen Sicherheit und Innovation
28.11.2025

Die DSGVO sollte Vertrauen schaffen – doch sie ist für viele Unternehmen zur Innovationsbremse geworden. Zwischen Bürokratie,...