Politik

EU-Haushalt schon aufgebraucht: Orban fragt, wo das Geld geblieben ist

Das Geld, das der EU-Kommission für sieben Jahre zur Verfügung stand, hat sie offenbar in nur zwei Jahren schon ausgegeben. Der ungarische Ministerpräsident Orban will wissen, wo das Geld geblieben ist und kritisiert zudem die neuen Ausgabenpläne Brüssels scharf.
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01.07.2023 16:51
Aktualisiert: 01.07.2023 16:51
Lesezeit: 4 min
EU-Haushalt schon aufgebraucht: Orban fragt, wo das Geld geblieben ist
Beim Gipfel am Freitag in Brüssel wurde über den EU-Haushalt gestritten. Orban fragte, wo das Geld geblieben ist. (Foto: dpa) Foto: Geert Vanden Wijngaert

"Wo ist das Geld geblieben?", fragte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban am Donnerstag auf Facebook und Twitter. Hintergrund war seine Teilnahme am zweitägigen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs diese Woche in Brüssel, nachdem die EU-Kommission die Mitgliedstaaten aufgefordert hatte, zusätzliche Gelder in Höhe von Dutzenden von Milliarden Euro an Brüssel zu zahlen. Denn im laufenden Haushalt haben sich massive Lücken aufgetan.

Orban weist darauf hin, dass die EU-Kommission mehr Geld von den Mitgliedsstaaten verlangt, obwohl ihr Siebenjahreshaushalt gerade erst zwei Jahre alt ist. Mit anderen Worten: Das Geld, das für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung stehen sollte, hat die Kommission bereits ausgegeben. "Es stellt sich die Frage: Wie ist es zu dieser Situation gekommen und wie haben sie die Europäische Union an den Rand des Bankrotts gebracht?", fragt Orban.

"Sie wollen 50 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten, um sie der Ukraine zu geben, während sie nicht einmal Rechenschaft über das Geld ablegen können, das wir ihnen bisher gegeben haben. Sie wollen mehr Geld von den Mitgliedsstaaten, damit sie die Zinsen für die Kredite der Europäischen Union bezahlen können, die sie zuvor aufgenommen haben. Das sind Kredite, von denen Polen und Ungarn bisher noch keinen einzigen Cent gesehen haben", sagte Orban.

"Natürlich haben sie auch ihre eigenen Taschen nicht vergessen. Sie fordern Milliarden von Euro, um die Gehälter der Brüsseler Bürokraten zu erhöhen", sagte er. "Die ungarische Position ist klar", sagte er. "Zuerst wollen wir wissen, wofür die riesigen Summen, die wir ihnen bisher gegeben haben, ausgegeben wurden. Und dann wollen wir wissen, wer dafür verantwortlich ist, dass die Europäische Union am Rande des Bankrotts steht."

Wofür braucht die EU frisches Geld?

Johannes Hahn, EU-Kommissar für Haushalt und Verwaltung, hatte am Dienstag gesagt, die ungewöhliche Entscheidung, mehr Mittel von den Mitgliedsstaaten anzufordern, sei nach Gesprächen mit diesen gefallen. "Meine Botschaft an die Ministerpräsidenten und Finanzminister war klar: Wenn wir ein ernsthafter politischer und wirtschaftlicher Akteur auf globaler Ebene sein wollen, brauchen wir mehr Mittel", sagte Hahn in Brüssel.

Brüssels oberste Priorität ist die Ukraine, für die zusätzliche 50 Milliarden Euro beantragt werden. Die Kommission will dazu beitragen, den Haushalt des Landes bis 2027 auszugleichen und den Wiederaufbau nach Beendigung des Konflikts anzukurbeln. Dazu will sie 33 Milliarden Euro in Form von Darlehen und 17 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen bereitstellen.

Eine zusätzliche Finanzspritze in Höhe von 15 Milliarden Euro ist auch für die Migrations- und Nachbarschaftspolitik vorgesehen. Es soll mehr Geld an Drittländer fließen, damit sie Migranten bei sich halten oder sie zurücknehmen. Der ungarische Ministerpräsident kritisiert, dass es dabei nicht etwa um Geld für den Grenzschutz geht, sondern lediglich darum, die illegale Migration zu finanzieren.

Die EU-Kommission hatte zudem angekündigt, dass sie 10 Milliarden Euro aus bestehenden Töpfen umwidmen will, um Investitionen in strategische Technologien zu fördern und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU im Rahmen eines Programms namens STEP (Strategic Technologies for Europe Platform) zu stärken.

Mit diesen Geldern werden Projekte in den Bereichen Spitzentechnologie, saubere Technologien und Biotechnologie finanziert, die ebenfalls beschleunigt werden sollen. "Alles in allem gehen wir davon aus, dass dies mit der Hebelwirkung und dem Crowding-in von privatem Kapital - das ist entscheidend - zu einer Investitionskapazität von 160 Milliarden Euro führen wird", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Doch schon vor der offiziellen Ankündigung stieß die Kommission auf den erbitterten Widerstand von Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, die nicht bereit sind, für irgendetwas anderes zu zahlen, als für die Ukraine. Die Kommission bleibt jedoch optimistisch und hofft, bis Mitte November zu einer Einigung mit dem EU-Rat und dem EU-Parlament zu kommen.

Streit um Asylkompromiss eskaliert

Auf dem Gipfeltreffen am Freitag verhinderten Ungarn und Polen zudem eine gemeinsame Erklärung zur Migrationspolitik. Die beiden Staaten protestierten dagegen, dass die Asylpläne vor rund drei Wochen gegen ihren Willen per Mehrheitsentscheidung auf den Weg gebracht wurden. Aus Sicht von Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird die Blockade den Gesetzgebungsprozess aber nicht aufhalten.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sprach am Rande des Gipfels im staatlichen Radio von einem "Migrationskrieg" im Sitzungssaal. Die Haltung Polens und Ungarns beschrieb er mit den Worten: "Es war ein Freiheitskampf, kein Aufstand!" Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel empörte sich über die Haltung Polens und Ungarns. "Sie sagen einfach: Wir sind nicht einverstanden, dass die Mehrheit was entschieden hat, mit dem wir nicht einverstanden sind."

Die EU-Pläne sehen vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten zum Ausgleich Geld zahlen. Die regierungsnahe ungarische Tageszeitung Magyar Nemzet spricht von 8 Millionen Forint (etwa 21.000 Euro), die das Land für jeden nicht aufgenommenen Migranten an die EU zahlen soll.

Orban kündigte am Freitag hingegen an, man werde "mit Händen und Füßen, mit Zähnen und Klauen" gegen die geplante Regelung ankämpfen. Er drohte damit, EU-Gelder für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte weiter zu blockieren. Polen forderte beim Gipfel, jedes EU-Land solle selbst entscheiden können, wie es Staaten mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt.

Die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni hingegen zeigte sich hochzufrieden. Die Einwände Polens und Ungarns beziehen sich ihrer Darstellung nach nur auf die interne Verteilung der Migranten auf die Mitgliedsstaaten. "Ich bin nicht enttäuscht über die Haltung Polens und Ungarns, ich bin nie enttäuscht von denen, die ihre nationalen Interessen verteidigen", sagte die rechtsnationale Politikerin.

Krise erinnert an Flüchtlingskrise 2015/2016

Die aktuelle Situation erinnert an die Hochphase der Flüchtlingskrise der Jahr 2015 und 2016. Im Zuge der stark steigenden Migrantenzahlen war schon damals gegen den Willen von Ländern wie Ungarn und Polen ein Verteilungsschlüssel beschlossen worden, den diese Staaten nicht akzeptierten und der in der Folge zu langen Verfahren am Europäischen Gerichtshof führte.

Ungarn und Polen könnten nun aus Protest gegen die Mehrheitsentscheidung bei der Migration andere EU-Entscheidungen blockieren, bei denen einstimmige Beschlüsse erforderlich sind. So muss in den nächsten Monaten eine Einigung darüber gefunden werden, wie die Lücken im EU-Haushalt gefüllt werden. Möglicherweise ist die polnische Politik dem derzeitigen Wahlkampf geschuldet und die Lage entspannt sich nach der Parlamentswahl im Herbst.

Zunächst aber scheint sich der Ton im Zuge des Wahlkampf in Polen eher noch zu verschärfen. Regierungschef Mateusz Morawiecki nutzte am Freitag die jüngsten Krawalle in Frankreich für seine Argumentation gegen die Asylreform. "Geplünderte Geschäfte, verwüstete Restaurants, brennende Polizeiautos und Barrikaden auf den Straßen - wollen wir so ein Bild in Polen sehen?", fragte er.

Ein weiteres Risiko für das Projekt der Asylreform sind Forderungen aus dem EU-Parlament, die denen der deutschen Bundesregierung entsprechen. Im Kreis der Mitgliedstaaten wird befürchtet, dass zum Beispiel Ausnahmen für Minderjährige von strengen Asylverfahren dazu führen könnte, dass Länder wie Italien ihre Zustimmung zu dem Projekt am Ende wieder zurückziehen. (dpa/gu)

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