Politik

Urteile stellen Arbeit des Verfassungsschutzes in Frage

Lesezeit: 3 min
15.08.2023 15:52  Aktualisiert: 15.08.2023 15:52
Erst Köln, nun auch Gera – Gerichte bezweifeln in Prozessen um die AfD die Stichhaltigkeit der Beweisführung des Verfassungsschutzes. Das wirft grundlegende Fragen auf: rechtliche wie politische.

Den Anfang machte ein sogenanntes Stillhalte-Abkommen. Was erst so unscheinbar klingt, war allerdings eine ernste Schlappe für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Denn erstmals sah dieser sich gegenüber einem Gericht verpflichtet zu schweigen - wenigstens für eine gewisse Zeit.

Hintergrund dieses Vorgangs war der Bundesparteitag der AfD in Magdeburg, auf dem die Partei die Liste ihrer Kandidaten für das Europaparlament sowie ihr europapolitisches Wahlprogramm beschloss. Haldenwang tat aber noch während des laufenden Parteitages öffentlich weithin kund, dass nach seiner Meinung die Kandidaten der AfD von minderer demokratischer Qualität seien. So sagte der Behördenchef in einem Interview gegenüber dem ZDF, dass diverse Kandidaten der AfD rechtsextremistische Verschwörungstheorien verbreitet hätten. „Die bisherige Europawahlversammlung der AfD, die wir als Verdachtsfall bearbeiten, belegt einmal mehr unsere Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt.“

Innerparteilicher Meinungsprozess

Daraufhin stellte die AfD einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Köln. Die juristische Begründung: „Die Äußerungen sind rechtswidrig und verstoßen gegen das staatliche Neutralitätsgebot.“ Die Anwälte der AfD begründeten in ihrem Antrag, der den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) vorliegt, dass Äußerungen des Behördenchefs während eines laufenden Parteitages dazu geeignet seien, „Einfluss auf den innerparteilichen Meinungsbildungsprozess“ auszuüben. Das aber, so das Schreiben der Anwälte, sei verfassungsrechtlich unzulässig und verwiesen dabei auf den Artikel 21 Grundgesetz. Dieser Artikel gewährleistet die Rechte von Parteien, die demnach frei sein müssen von staatlicher Einflussnahme und Kontrolle. Dabei zitierten die Anwälte in ihrer Begründung zudem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977, das seinerzeit festgestellt hatte, dass es den Staatsorganen versagt sei, „sich in amtlichen Funktionen im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren oder zu bekämpfen“.

Tatsächlich hatte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz daraufhin gegenüber dem Kölner Verwaltungsgericht verpflichtet, während der Dauer des Parteitages der AfD von einer weiteren Kommentierung abzusehen. Zwar hatte die AfD ihr zweites Ziel nicht erreicht: dass nämlich auch über die Dauer ihres Parteitages hinaus die Äußerungen Haldenwangs als rechtlich unzulässig festzustellen seien - darüber aber will das Verwaltungsgericht Köln erst in einem gesonderten Verfahren befinden – trotzdem blieb es für die Verfassungsschutzbehörde und ihren Präsidenten eine deutliche Schlappe.

Urteil in Gera

Tatsächlich ist nun der Verfassungsschutz auch in einem zweiten Verfahren richterlich zurechtgestutzt worden. Das Verwaltungsgericht Gera hat festgestellt, dass es der Beweisführung des Erfurter Landesamtes für Verfassungsschutz nicht folgen könne. Hintergrund: Die Waffenbehörde des Saale-Orla-Kreises hatte einem Sportschützen, der auch Mitglied des Thüringer AfD-Landesverbands ist, seine Waffenerlaubnisse und Schusswaffen mit Hinweis auf eine, so der Thüringer Verfassungsschutz, rechtsextreme Ausrichtung eingezogen, da das dortige Landesamt die Thüringer AfD insgesamt als „gesichert extremistisch“ einstuft. Diese Begründung verwarf das Gericht in Gera. Denn, so die Richter: Eine Verfassungsfeindlichkeit der AFD in Thüringen sei nicht nachgewiesen. Es reiche nicht aus, auf verfassungsfeindliche Äußerungen „eines Landessprechers“ (gemeint war offenkundig der Landesvorsitzende Björn Höcke) zu verweisen, wie es der Verfassungsschutz tue. Vielmehr ließen sich solche Aussagen nicht automatisch aufgrund der „komplexen Strukturen politischer Parteien“ auf den gesamten Landesverband und alle seiner etwa 1200 Mitglieder übertragen.

Tatsächlich lassen die drei Richter, darunter auch der Gerichtspräsident, kaum ein gutes Haar an der Arbeit der Thüringer Verfassungsschützer: „Weder aus dem Vermerk noch aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 folgt mit Sicherheit die Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbands der AfD in Thüringen.“ Dem Verfassungsschutz fehle es an dem „dafür erforderlichen Grad der Erkenntnisgewissheit“. Darüber hinaus verweisen die Richter in Gera auf den Fall des neugewählten AfD-Landrates von Sonneberg, Robert Sesselmann. Nach dessen Wahl hatte das Thüringer Landesverwaltungsamt dessen Verfassungstreue von Amts wegen untersucht. Die Geraer Richter wiesen nun daraufhin, „dass dieses Prüfergebnis zur bejahten Verfassungstreue des neu gewählten Landrats“ geführt habe. Dies spräche aber gegen die Annahme, „es existiere in diesem Landesverband nur eine einzige, alle anderen dominierende politische Grundausrichtung“. In diesem Zusammenhang seien „die internen Willensbildungsprozesse“ im Landesverband sowie das „Verhältnis verschiedener Strömungen untereinander gänzlich unbeleuchtet“ geblieben.

Fragen nach der Professionalität

Michael Brenner, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Jena, bemerkt dazu, dass es dem Verfassungsschutz in Thüringen offenbar nicht gelungen sei, seine Einschätzungen „mit der juristisch gebotenen Tiefe“ darzulegen.

Diese beiden richterlichen Entscheidungen werfen jedoch ernste Fragen auf. Das eine Urteil – das aus Gera – lässt erhebliche Zweifel an der Professionalität der Arbeit der Verfassungsschützer aufkommen. Selten ist ein Befund dieser Behörde so auseinandergepflückt worden wie nun in Gera. Damit dürfte es den Gerichten aber insgesamt schwerer fallen, Urteile gegen die AfD zu fällen, wenn die Entscheidungsgrundlagen hierfür Einschätzungen des Verfassungsschutzes sind. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hat sich nun selbst die Frage zu stellen, ob sein Verfassungsschutzchef Stephan Kramer der richtige Mann am richtigen Ort ist. Und zum anderen hat das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln die Frage aufgeworfen, ob es denn tatsächlich der Stellenbeschreibung eines Chefs eines Nachrichtendienstes entspricht, fortwährend öffentlich innenpolitische Entwicklungen zu kommentieren.

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