Politik

Finanzdesaster: Minister Lindner feuert den Schattenmann

Einer der Verursacher der womöglich schwersten Haushaltskrise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war Diener vieler Herren. Die Finanzminister wechselten. Doch einer blieb immer auf seinem Sessel sitzen: Staatssekretär Werner Gatzer. Jetzt hat Finanzminister Christian Lindner den Schattenmann des Ministeriums gefeuert.
Autor
24.11.2023 12:06
Aktualisiert: 24.11.2023 12:06
Lesezeit: 3 min
Finanzdesaster: Minister Lindner feuert den Schattenmann
Schattenmann Gatzer mit Minister Lindner. (Foto:dpa) Foto: Kay Nietfeld

Der wendige Beamte Gatzer hatte noch kurz vor seiner Entlassung mit FDP-Finanzminister Christian Lindner eine Haushaltssperre veranlasst, um den Schaden zu reparieren, der durch die verfassungswidrige Umbuchung der Corona-Hilfsgelder in Höhe von 60 Milliarden Euro in einem Klima- und Transformationsfonds entstanden war. Mit der Haushaltssperre verfügte Gatzer, dass nun die Ministerien keine über die bereits bewilligten Ausgaben hinaus tätigen können, ohne die Zustimmung des Finanzministeriums eingeholt zu haben. Doch das ministerielle Rundschreiben des Staatssekretärs hat eine pikante Note – es war Gatzer selbst, der das Schlamassel maßgeblich zu verantworten hat. Nun hat Minister Lindner den Staatssekretär mit einigen dürren Worten - „Hat sich um unser Land verdienst gemacht" - in den einstweiligen Ruhestand versetzt, also entlassen. Nachfolger soll der bisherige Leiter der Grundsatz-Abteilung im Finanzministerium, Wolf Reuter, werden.

Der Schattenmann

Die Geschichte des ministeriellen Schattenmannes ist eine Geschichte wechselnder Finanzminister, die teils aus Bequemlichkeit, teils aus Einsicht in die Unvollkommenheit ihrer Kompetenz, auf die Dienste des Beamten nicht verzichten wollten. Gatzer war schon in gleicher Funktion zuerst dem SPD-Finanzmister Peer Steinbrück zu Diensten, ging dann dem CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble zur Hand, tüftelte später für den damaligen SPD-Finanzminister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz den Verfassungsbruch aus, mit denen Milliardengelder im Bundeshaushalt hin und her geschoben wurde, um jetzt zusammen mit dem FDP-Minister Lindner eine massive Haushaltskrise zu verantworten.

Es ist im Nachhinein kaum verständlich, warum sich eigentlich kein Minister einmal die Frage gestellt hat, ob es dem Staatssekretär Gatzer nicht völlig egal ist, wer unter ihm gerade Minister ist. Tatsächlich hätte es allerspätestens dem schneidigen Liberalen Lindner auffallen müssen, dass mit Werner Gatzer, dem Juristen mit SPD-Parteibuch, eine liberale Finanzpolitik kaum durchzusetzen ist. So kam es denn auch: Von Anfang an – so rügte es der Bundesrechnungshof in seinem letzten Gutachten - jonglierte Lindner und seine Truppe mit Neben- und Schattenhaushalte. Milliarden verschwanden aus dem regulären Bundeshaushalt und fanden sich – ähnlich wie bei Hütchenspielern – einigermaßen versteckt in Nebenhaushalten.

"Ausufernde Topfwirtschaft"

Deutlich wie selten prangerte der Rechnungshof die „ausufernde Topfwirtschaft“ an. Insgesamt zählte der Rechnungshof 29 verschiedene Töpfe und Haushalte. Dies führe dazu, dass es Parlament und Öffentlichkeit immer schwerer falle, einen klaren Blick auf die tatsächliche Finanzlage der Bundesrepublik zu bekommen. Schon damals, es war im Sommer dieses Jahres, äußerte der Rechnungshof verfassungs- und haushaltsrechtliche Bedenken bei der Verschiebung der Corona-Hilfsgelder. Geradezu prophetisch wies der Rechnungshof auf die erheblichen Auswirkungen hin, sollte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung für verfassungswidrig erklären – die Bundesregierung sei mit diesem Schritt ein „hohes finanzwirtschaftliches Risiko“ eingegangen.

Gatzer war seit 18 Jahren Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und damit der mit Abstand längst dienende Staatssekretär der Bundesregierung. Begonnen hatte der aus Köln stammende Jurist in der Haushaltsabteilung, die damals der Staatssekretär Manfred Overhaus geleitet hatte. Overhaus war als Sparkommissar gefürchtet. Der einstige Chef der CSU-Landesgruppe Michael Glos hatte einmal gespottet, dass Overhaus schon „Nein“ sage, bevor ihn jemand überhaupt etwas gefragt hätte. Gatzer kletterte zügig die Leiter der Beamtenkarriere empor, ehe er dann unter Minister Steinbrück Staatssekretär wurde.

Seitdem galt Gatzer im Finanzministerium als geradezu unverzichtbar. Keiner, so hieß es, kenne das Ministerium so gut wie er, keiner habe so viel Erfahrung bei Haushaltsverhandlungen. Und so beließen die wechselnden Finanzminister den Staatssekretär Gatzer im Amt, obwohl die Staatssekretäre eigentlich politische Beamte sind und damit jederzeit von einem Minister ohne Angaben von Gründen entlassen werden können. Das aber führte dazu, dass Gatzer immer mehr zur grauen Eminenz des Hauses wurde und am Ende es so war, dass das Ministerium den Minister führte und nicht andersherum.

Das Finanzloch

Nun ist die Not groß, denn nicht nur fehlen plötzlich 60 Milliarden Euro im Haushalt, auch noch der ungleich größere Schattenhaushalt „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ steht auf verfassungsrechtlich wackligem Grund. Dieser Fonds wurde 2022 eingerichtet und mit Kreditermächtigungen in Höhe bis zu 200 Milliarden Euro ausgestattet. Sollte auch dieser Fonds verfassungswidrig sein, wofür manches spricht, würden schon im nächsten Jahr weitere 20 Milliarden Euro fehlen. Das Desaster wäre perfekt und die Bundesrepublik Deutschland stünde vor dem größten Finanzloch ihrer Geschichte. Völlig unklar ist auch, wann überhaupt der Haushalt für das nächste Jahr beschlossen werden kann.

Eine Auswirkung ist jetzt schon klar. Für viele Projekte fehlt jetzt das Geld, darunter auch für die dringend erforderliche Sanierung der Deutschen Bahn. Denn mit Geldern des verfassungswidrigen Klima- und Transformationsfonds sollte auch der Schienenverkehr erneuert werden, allein für das nächste Jahr waren 5,3 Milliarden Euro fest eingeplant. Auf einer Sondersitzung ihres Aufsichtsrates will die Bahn nun herausfinden, wie sich das Haushaltsdebakel auf die geplanten Investitionen der Bahn auswirkt. Dabei trifft es sich, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn von jemanden geleitet wird, der die Haushaltszahlen parat hat: Chef der Aufsichtsrates der Deutschen Bahn ist der in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretär Werner Gatzer.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Politik
Politik Handelspause zwischen USA und China: Europas Balanceakt im globalen Handel
07.11.2025

Die Handelsgespräche zwischen den USA und China bringen vorübergehende Entspannung, werfen aber Fragen über Europas Einfluss auf...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzstabilitätsbericht 2025: Bundesbank warnt vor wachsenden Risiken für Banken
06.11.2025

Insgesamt stehen Deutschlands Banken gut da. Doch es gibt reichlich Risiken. Und bisweilen werden sie unterschätzt, warnt die Bundesbank.

DWN
Politik
Politik Brics-Europa-Symposium: AfD-Politiker reisen nach Russland
06.11.2025

AfD-Abgeordnete reisen zu einer Konferenz nach Russland. Dabei kommt es vielleicht auch zu einem Treffen mit Ex-Präsident Medwedew. Die...

DWN
Panorama
Panorama Uhrmacherhandwerk: Schwarzwälder wollen Kuckucksuhr als Kulturerbe schützen
06.11.2025

Die Kuckucksuhr feiert ihren 175. Geburtstag – doch die Branche steht vor Herausforderungen. Warum Hersteller jetzt auf mehr Schutz und...

DWN
Finanzen
Finanzen Schufa Auskunft: Wie lange darf die Schufa Zahlungsprobleme speichern?
06.11.2025

Der Schufa-Score soll Unternehmen helfen, die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden einzuschätzen. Aber wie lange dürfen die Daten gespeichert...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OECD schlägt Alarm: Zu wenig Tempo beim Klimaschutz
06.11.2025

Die Industriestaatenorganisation warnt: Die Welt ist nicht auf Kurs, um ihre Klimaziele zu erreichen. Welche Konsequenzen drohen, wenn...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungsbau: Regierung reaktiviert Neubauförderung mit 800 Millionen Euro
06.11.2025

Für bestimmte Neubauprojekte gibt es nun wieder Fördergeld. Welche Bedingungen Bauherren erfüllen müssen – und warum viele genehmigte...

DWN
Immobilien
Immobilien Dachausbau: Wie sich das verborgene Potenzial nutzen lässt
06.11.2025

Die Umgestaltung von Dachböden in Wohnräume ist eine der günstigsten Methoden, um neue Wohnfläche zu gewinnen.