Politik

Effektivität zweifelhaft: EU setzt auf neue Finanz-Sanktionen gegen Russland

Lesezeit: 4 min
21.02.2024 14:16  Aktualisiert: 21.02.2024 14:16
Kurz vor dem zweiten Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine hat die Europäische Union ihr 13. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Die neuen Maßnahmen verfolgen in erster Linie militärische Ziele und sollen unter anderem auch Firmen mit Sitz in der Türkei und China treffen. Die Wirkung der Sanktionen ist umstritten und zeitgleich will die EU Erträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank abschöpfen - ob das alles gut gehen wird?
Effektivität zweifelhaft: EU setzt auf neue Finanz-Sanktionen gegen Russland
Ein Motivwagen zeigt eine Darstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin (l), der Wind gegen einen Schirm in den Farben der EU-bläst, der wiederum gehalten wird von der Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: dpa)
Foto: Frank Rumpenhorst

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die EU verhängt zum zweiten Jahrestag des Krieges in der Ukraine neue Russland-Sanktionen. Vertreter der 27 Mitgliedstaaten verständigten sich am Mittwoch in Brüssel auf eine erhebliche Erweiterung der Liste mit Personen und Einrichtungen, deren in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden müssen. Zudem sollen auch weitere Unternehmen sanktioniert werden, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen. An sie dürfen aus der EU dann keine militärisch nutzbaren Güter und Technologien mehr verkauft werden.

Zuletzt hatte die EU mit diesem Instrument beispielsweise auch Unternehmen ins Visier genommen, die in Hongkong, Usbekistan, dem Iran und in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässig sind und die an der Umgehung von EU-Strafmaßnahmen beteiligt sein sollen. Die neuen Maßnahmen sollen unter anderem auch Firmen mit Sitz in der Türkei und China treffen und vor allem Beschaffungsnetzwerke für Drohnenteile ins Visier nehmen.

Dreistellige Zahl an Personen und Organisationen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte mit, sie begrüße die Einigung auf das mittlerweile 13. Sanktionspaket gegen Russland. Ziel sei es, die Kriegsmaschinerie von Präsident Wladimir Putin weiter zu schwächen. Mit Strafmaßnahmen gegen mittlerweile rund 2000 Personen und Organisationen halte man den Druck auf den Kreml hoch. Zudem schränke man Russlands Zugang zu Drohnen weiter ein.

Die Einigung der Vertreter der Mitgliedsstaaten muss nun noch in einem schriftlichen Verfahren formalisiert werden, wie die belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Danach soll die Liste mit den zusätzlich betroffenen Personen und Unternehmen bis zum Jahrestag des Kriegsbeginns an diesem Samstag im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Das Sanktionspaket gilt vor allem als Symbol zum Jahrestag, weil es keine neuen weitreichenden Wirtschaftssanktionen enthält.

Die neuen Maßnahmen sollen insgesamt etwa 200 Personen, Unternehmen und Organisationen treffen. Gelistete Personen sind nicht nur von Vermögenssperren betroffen. Mit ihnen dürfen auch keine Geschäfte mehr gemacht werden und sie dürfen auch nicht mehr in die EU einreisen. Dies soll bis zum Jahrestag an diesem Samstag geschehen. Russland ist am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert und hält seitdem große Teile im Osten und Süden seines Nachbarlandes besetzt.

Russland umgeht Sanktionen

Das bislang letzte EU-Sanktionspaket umfasste unter anderem das Verbot, Diamanten und Diamantschmuck aus Russland in die Europäische Union einzuführen. Schon länger gibt es unter anderem ein weitreichendes Einfuhrverbot für Rohöl, Kohle, Stahl, Gold und Luxusgüter sowie Strafmaßnahmen gegen Banken und Finanzinstitute.

Aber teilweise verfehlen die Maßnahmen ihre Ziele. In den EU-Staaten gibt es seit Monaten eine Debatte über die Wirksamkeit der schrittweise verschärften Sanktionen. Vor allem mit den verhängten Sanktionen im Wirtschaftsbereich sollten die Staatseinnahmen für Russland beschnitten werden. Es gibt aber in großem Maß Ausweichgeschäfte, bei denen Russland etwa Öl und Gas nun verstärkt nach Indien und China verkauft. Bestimmte russische Produkte wie Uran sind von europäischen und amerikanischen Sanktionen ausgenommen, weil Länder wie Frankreich oder die USA auf die Importe angewiesen sind.

Russland umgeht laut einer neuen Studie die westlichen Wirtschaftssanktionen vor allem über frühere Sowjetrepubliken, China und einen Nato-Staat: die Türkei. Zu diesem Schluss kommen die Wirtschaftsforscher von Münchner Ifo-Institut und Econpol. Grundlage der Auswertung ist eine Analyse der russischen Handelsströme. Demnach haben sich die russischen Importe bedeutender Wirtschaftsgüter und militärisch wichtiger Bauteile aus diesen Nachbarregionen in den vergangenen Jahren vervielfacht.

"Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und die Türkei haben im Jahr 2022 fünfzigmal mehr Güter nach Russland exportiert, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportiert haben", sagte Feodora Teti, die stellvertretende Leiterin des Ifo Zentrums für Außenwirtschaft. "Dies deutet mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf Sanktionsumgehung hin."

Laut Studie importiert Russland mittlerweile viele Halbleiter aus Hongkong. In Zentralasien spielt den Autoren zufolge Kasachstan die Hauptrolle bei der Umgehung der Sanktionen. Politisch brisant ist vor allem die Einschätzung der Autoren, dass die Türkei bei der Umgehung der Sanktionen eine Rolle spielt. Über den Nato-Staat laufen demnach hauptsächlich Exporte mechanischen und elektrischen Maschinen.

Nutzung russischer Zentralbank-Gelder geplant - EZB warnt

Schon vor dem neuen Sanktionsbeschluss hatten sich die EU-Staaten darauf geeinigt, dass Zinserträge aus eingefrorenen russischen Devisenreserven für die Ukraine abgeschöpft werden. Das vereinbarte Verfahren sieht vor, in einem ersten Schritt dafür zu sorgen, dass die außerordentlichen Erträge aus der Verwahrung von Vermögen der russischen Zentralbank in einem speziellen Fonds gesondert verbucht werden. In einem zweiten Schritt ist dann geplant, einen Teil der Gelder an die Ukraine zur Unterstützung des Wiederaufbaus weiterzuleiten. Dafür müssen allerdings noch weitere Rechtstexte ausgearbeitet werden.

Schätzungen zufolge könnte jährlich eine Summe in Milliardenhöhe anfallen, da in der EU nach Kommissionsangaben mehr als 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank eingefroren wurden und die Erträge aus der Verwahrung des Kapitals laufend steigen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Juni vergangenen Jahres davor gewarnt, dass eine Beschlagnahme oder Nutzung der russischen Devisenreserven zu einem Vertrauensverlust internationaler Investoren in die europäischen Finanzbehörden führen und folglich die weltweite Akzeptanz des Euro beeinträchtigen sowie langfristig die Stabilität des Euroraums gefährden könnte.

In Kombination mit den ständigen Sanktionen begibt sich die EU hier in gefährliches Fahrwasser. Es ist fraglich, ob die ganzen Maßnahmen so viel bringen, dass sie das Risiko eines eskalierenden Finanz- und Wirtschaftskrieges wert sind.

Moskau verfügt noch immer über gewichtige Hebel, mit denen es Druck auf die EU ausüben kann. In erster Linie sind dies die beträchtlichen Gaslieferungen, die zuletzt über die TurkStream-Pipeline sogar wieder deutlich anstiegen. Zudem sind weiterhin Unternehmen aus der EU in Russland aktiv und unterhalten dort auch noch Produktionsanlagen, die zum Ziel von Enteignungen werden könnten. Der Kreml bereitet schon erste gesetzliche Grundlagen zur Konfiszierung von Vermögen vor. (mit Material von Reuters und dpa)


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Solidaritätszuschlag auf dem Prüfstand: Was bedeutet das für Steuerzahler?
13.11.2024

Das Bundesverfassungsgericht prüft den #Solidaritätszuschlag! Wird die Ergänzungsabgabe für Gutverdiener und Unternehmen abgeschafft?...

DWN
Technologie
Technologie Erneuerbare Energien fressen Steuergelder auf
13.11.2024

Der Boom der erneuerbaren Energien in Deutschland ist ungebremst. Doch die Förderung der Energiewende kostet sehr viel mehr Geld als...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Rekordhoch: Kryptowährung über 90.000 Dollar - und jetzt?
12.11.2024

Der Bitcoin-Kurs befindet sich nach der US-Präsidentschaftswahl in einer kräftigen Aufwärtsrally. Mit einem Anstieg von rund 30 Prozent...

DWN
Politik
Politik Belarus wird BRICS-Partner: Was bedeutet das für Europa?
12.11.2024

Belarus wird BRICS-Partner! Was bedeutet das für Europa? Mit der Aufnahme von Belarus in die BRICS-Gruppe verschiebt sich das...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX rutscht ab: Unternehmensprognosen dämpfen die Anlegerstimmung
12.11.2024

Der DAX hat seine Gewinne vom Wochenbeginn am Dienstag wieder abgegeben und sich der psychologisch bedeutenden Marke von 19.000 Punkten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Start-up-Gründungen: Wirtschaftsminister Habeck will Frauenförderung verbessern
12.11.2024

In Deutschland wird weniger als jedes fünfte Start-up von einer Frau gegründet. Wirtschaftsminister Habeck betrachtet die...

DWN
Technologie
Technologie Cyberangriffe in Deutschland: Neue Gefahren und Sicherheitslücken
12.11.2024

Die IT-Sicherheitslage in Deutschland ist angespannt. Betroffen sind nicht nur Unternehmen, sondern auch Kommunen.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Öl- und Gasproduktion 2023: Rekordzahlen und Klimarisiken
12.11.2024

Auf dem Klimagipfel in Baku diskutieren die Staaten über den weiteren Verlauf des Kampfes gegen die Erderwärmung. Doch die anhaltend hohe...