Politik

Eskalationsspirale im Nahen Osten: Hamas meldet Tötung von politischem Anführer Hanija durch Israel

Lesezeit: 5 min
31.07.2024 10:19  Aktualisiert: 31.07.2024 10:44
Einer der wichtigsten Hamas-Anführer soll in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet worden sein. Die Islamisten machen Israel dafür verantwortlich. Israel meldete zuvor den Tod eines Hisbollah-Kommandeurs, der für den Raketenangriff auf die Golanhöhen verantwortlich sein soll. Die Eskalationsspirale im Nahen Osten wird immer bedrohlicher.
Eskalationsspirale im Nahen Osten: Hamas meldet Tötung von politischem Anführer Hanija durch Israel
Ein Plakat mit dem verstorbenen Hisbollah-Militärkommandeur Imad Mughnijeh (l-r), Hisbollah-Führer Sajjid Hassan Nasrallah und dem verstorbenen General der Revolutionsgarden Kassem Soleimani ist in der Nähe eines beschädigten Gebäudes zu sehen, das am Dienstagabend (30.07.2024) bei einem israelischen Luftangriff in den südlichen Vororten von Beirut (Libanon) getroffen wurde. (Foto: dpa)
Foto: Hussein Malla

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Die Nachricht von der Tötung des politischen Anführers der islamistischen Hamas, Ismail Hanija, versetzt den Nahen Osten in Aufruhr. Nach Angaben der Terrororganisation wurde der Hamas-Auslandschef bei einem israelischen Angriff auf seine Residenz in Irans Hauptstadt Teheran getötet. Er sei infolge einer Attacke auf seine Residenz ums Leben gekommen, teilten die Islamisten mit. Von israelischer Seite gab es dazu zunächst keine Mitteilung. Irans Revolutionsgarden bestätigten den Tod von Hanija. Er wäre damit der ranghöchste Hamas-Anführer, der seit Beginn des Gaza-Krieges vor rund zehn Monaten getötet wurde.

Die Nachricht von Hanijas Tötung folgte nur wenige Stunden nach einem israelischen Luftangriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut. Dabei wurde nach Angaben der israelischen Armee Fuad Schukr getötet, ein ranghoher Kommandeur der Schiitenmiliz Hisbollah. Die Hisbollah ist mit der Hamas in Gaza verbündet, beide sind wiederum Verbündete des Irans.

Hisbollah: Tod Hanijas wird Widerstand gegen Israel verstärken

Seit dem Terrorüberfall der Hamas und anderer Gruppen auf Israel am 7. Oktober greift die Hisbollah aus Solidarität mit der Hamas Ziele im Norden Israels an. Ihre Angriffe will sie erst einstellen, wenn es in Gaza zu einem Waffenstillstand kommt. Nach Angaben der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), Irans Elitestreitmacht, kam außer Hanija auch einer seiner Leibwächter ums Leben. Hanija habe vor seinem Tod an der Zeremonie zur Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian teilgenommen, teilte die Hamas mit.

Die Tötung eines der wichtigsten Hamas-Anführer wird nach Darstellung der libanesischen Hisbollah zu noch mehr Widerstand gegen Israel führen. Hanija „war einer der großen Widerstandskämpfer unserer Zeit, der sich mutig gegen US-Vorherrschaft und zionistische Besatzung wehrte“, teilte die Hisbollah mit. Er sei bereit gewesen, für die Sache zu sterben, an die er glaubte. Durch seinen Tod würden „Widerstandskämpfer an allen Schauplätzen“ noch entschlossener kämpfen und „ihren Willen stärken, dem zionistischen Feind gegenüberzutreten“.

Tod des Hamas-Auslandschefs folgt nach Israels Angriff auf Hisbollah-Kommandeur

Der als moderat geltende 69-jährige Peseschkian war im Parlament in Teheran vereidigt worden und nimmt somit offiziell die Amtsgeschäfte als neunter Präsident der Islamischen Republik auf. An der Vereidigungszeremonie nahmen nach iranischen Angaben hochrangige Vertreter aus 86 Ländern teil. Die meisten westlichen Länder hatten Peseschkian weder zum Wahlsieg gratuliert noch standen ihre Vertreter auf der Gästeliste des Parlaments.

Drei Tage nach einem tödlichen Raketenangriff auf den Golanhöhen hatte Israels Armee kurz zuvor nach eigenen Angaben in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut einen der ranghöchsten Kommandeure der Schiitenmiliz Hisbollah getötet. Eine Bestätigung der Hisbollah für den Tod von Fuad Schukr gab es zunächst nicht. Der Schlag birgt die Gefahr einer weiteren Eskalation der Spannungen zwischen der Hisbollah und Israel.

Man ziehe es zwar vor, „Feindseligkeiten ohne einen größeren Krieg zu lösen“, Israels Militär sei aber „auf jedes Szenario vorbereitet“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. „Wir glauben nicht, dass ein breiter Krieg unvermeidlich ist“, sagte eine Sprecherin des Weißen Hauses. Kampfflugzeuge trafen Schukr nach Angaben der israelischen Armee in einer „gezielten, nachrichtendienstlich gestützten Eliminierung“.

Hisbollah-Kommandeur soll für Angriff auf Golan verantwortlich gewesen sein

Schukr habe als rechte Hand von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah gedient und sei dessen Berater für Planung und Leitung von Kriegseinsätzen gewesen. Seit 2017 wird er von US-Behörden wegen Verstrickung in einen Anschlag auf US-Truppen in Beirut 1983 gesucht. Für Informationen zu Schukr hatten die USA eine Belohnung von fünf Millionen Dollar (4,6 Millionen Euro) ausgeschrieben. Schukr habe seit dem 7. Oktober auch die Angriffe der Hisbollah auf Israel koordiniert, teilte die israelische Armee weiter mit.

Schukr sei außerdem verantwortlich für den Raketenangriff am Samstag auf die drusische Ortschaft Madschdal Schams auf den von Israel annektierten Golanhöhen, bei dem zwölf Kinder und Jugendliche getötet worden waren. Unabhängig ließen sich die Angaben zunächst nicht überprüfen. Die Hisbollah sagte mehrmals, sie habe mit dem Angriff auf dem Golan nichts zu tun. Auch der Iran wies die Vorwürfe einer Beteiligung der Schiitenmiliz zurück. Die israelische Regierung machte sie jedoch für den Angriff verantwortlich und kündigte einen Vergeltungsschlag an.

Israels Schlag gegen Schukr in einem Vorort von Beirut erfolgte schließlich am Dienstag kurz vor Sonnenuntergang. Israels Verteidigungsminister Joav Galant schrieb danach auf der Online-Plattform X: „Die Hisbollah hat eine rote Linie überschritten.“ Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums kamen bei dem Angriff drei Zivilisten ums Leben, zwei Minderjährige und eine Frau. 74 Menschen erlitten den Angaben zufolge Verletzungen, fünf von ihnen sollen in Lebensgefahr schweben. Augenzeugen berichteten, dass die Attacke auf ein achtstöckiges Gebäude zielte. Das Obergeschoss sei getroffen worden, hieß es.

Iran, Libanon und Türkei verurteilen Israels Anschläge

Der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat Israel Vergeltung für den Tod des politischen Anführers der islamistischen Hamas, Ismail Hanija angekündigt. „Das kriminelle zionistische Regime hat unseren Gast in unserem Haus ermordet“, wurde Chamenei auf seiner Website zitiert. „Es wird eine harte Bestrafung geben.“ Chamenei sagte demnach mit Blick auf Hanija weiter, das ganze Land trauere um einen mutigen und heiligen Krieger.

Libanons geschäftsführender Ministerpräsident Nadschib Mikati sprach laut der staatlichen Nachrichtenagentur NNA von einer „kriminellen Tat“. Sie sei Teil einer Reihe aggressiver Operationen, bei denen Zivilisten getötet würden. „Die israelische Tötungsmaschinerie“ habe noch nicht genug davon, die libanesischen Gebiete im Süden und in der Bekaa-Region anzugreifen, sagte er. Seit Beginn des Kriegs im Gazastreifen kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion immer wieder zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah. Die Hamas verurteilte den israelischen Angriff. „Wir betrachten dies als eine gefährliche Eskalation“, für die Israel „die volle Verantwortung trägt“, teilte sie mit.

Auch die Türkei verurteilt den tödlichen Anschlag auf den Auslandschef der islamistischen Hamas scharf und wirft Israel vor, damit einen regionalen Krieg anzetteln zu wollen. Ismail Hanija sei durch einen „niederträchtigen Anschlag“ in Teheran getötet worden, hieß es in einer Mitteilung des türkischen Außenministeriums. Damit verfolge Israel das Ziel, den Gaza-Krieg auf die Region auszuweiten.

Die Türkei unterhält gute Beziehungen zur islamistischen Hamas. Erst im April hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Auslandschef Hanija in Istanbul getroffen. Erdogan hatte das Massaker der Islamisten in Israel am 7. Oktober zwar verurteilt. Die dafür verantwortliche Hamas hatte der türkische Präsident aber später wiederholt als Befreiungsorganisation bezeichnet. Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei haben sich seitdem massiv verschlechtert.

USA waren vorab über geplanten Angriff auf Hisbollah-Kommandeur informiert

Erst Anfang Januar war der zweithöchste Anführer der Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, bei einer Explosion in Beirut ums Leben gekommen. Die Hisbollah hatte Israel die Schuld am Tod des Vize-Leiters des Politbüros der Hamas gegeben. Auch mehrere Hisbollah-Kommandeure waren gezielt getötet worden. Israels Regierung hat nach Informationen der „Times of Israel“ die USA als seinen wichtigsten Verbündeten vor dem Angriff auf Schukr vorab informiert.

Eine Sprecherin des Weißen Hauses sagte, die US-Regierung arbeite weiter an einer diplomatischen Lösung, damit es nicht zum nächsten Krieg kommt. US-Präsident Joe Biden glaube an diplomatische Lösungen „vor allem in diesem Moment entlang der Blauen Linie“, sagte Karine Jean-Pierre. Dabei handelt es sich um eine von den Vereinten Nationen gezogene Demarkationslinie an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon. Mit Ende des zweiten Libanon-Krieges 2006 war eine Pufferzone im Süden Libanons eingerichtet worden.

Bericht: Angriff zeigt Verwundbarkeit der Hisbollah

„Die Tötung von Schukr drängt die Hisbollah in die Enge: Ihre Anhänger erwarten, dass sie einen bedeutenden Vergeltungsschlag ausführen wird, aber ihr sind die Hände gebunden, weil Israel gezeigt hat, dass es militärisch die Oberhand hat“, sagte Lina Khatib von Chatham House, einem Institut für internationale Angelegenheiten in London, dem Wall Street Journal. Der Angriff zeige, wie verwundbar die Hisbollah für den israelischen Geheimdienst sei. Diese Verwundbarkeit werde jeglichen Vergeltungsschlag der Hisbollah einschränken. Beide Seiten schienen zuletzt nach nicht daran interessiert, ihre seit fast zehn Monaten andauernden Gefechte erheblich auszuweiten. Ob sich die brisante Lage im Nahen Osten nach der Tötung des Auslandschefs der Hamas nun weiter zuspitzt, bleibt abzuwarten.


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