Politik

RKI-Files und Corona-Aufarbeitung: Kubicki fordert jetzt Lauterbachs Rücktritt - der richtige Zeitpunkt?

Lesezeit: 4 min
13.08.2024 06:03
Für den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) ist klar, was die entschwärzten RKI-Files bedeuten: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat getrickst, getäuscht und gelogen. Deshalb fordert Kubicki Lauterbachs Rücktritt - und Aufklärung über die fehlende Transparenz der Leitmedien, sein Vorwurf: Es wurde eine „Corona-Furcht“ für die Impfpflicht-Debatte geschürt? Bisher nennt das Gesundheitsministerium die Corona-Maßnahmen „mehr als begründet“.

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„Und wo ist jetzt der Skandal?“ hieß es in der „Süddeutschen“ kurz nach der Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Files, die erst über einen Whistleblower und eine unabhängige Journalistin die Öffentlichkeit erreichten - hier finden Sie den RKI-Transparenzbericht mit über 4.000 Protokoll-Seiten.

RKI-Files: Kubicki attackiert Lauterbach

Für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sind sie der Grund, jetzt den Rücktritt des von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, ein Minister des Koalitionspartners und der Kanzlerpartei SPD, zu fordern. Der FDP-Vize wirft dem Gesundheitsminister und dem Robert-Koch-Institut (RKI) vor, während der Corona-Pandemie gravierende Fehler gemacht und die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt zu haben.

Auf seiner Homepage veröffentliche Kubicki Anfang August einen ausführlichen Text zu den nun vorliegenden ungeschwärzten RKI-Files aus dem Gesundheitsministerium. Darin übt er vor allem Kritik an dem Umgang der Leitmedien und formuliert abschließend seine Rücktrittsforderung an Lauterbach.

In dem offenen Brief bemängelt der Bundestagsvizepräsident die geringe Transparenz während der Corona-Pandemie. „Manch einer mag es für seriös halten, die tausenden von Seiten nach einer kurzen Draufsicht abschließend für völlig unkritisch zu befinden. Ich habe es mir nicht so leicht gemacht wie zum Teil hochdotierte und reichhaltig besetzte Redaktionen vor allem von ARD und ZDF.“

Alles, was Kubicki dem noch amtierenden Gesundheitsminister und seinem CDU-Amtsvorgänger Jens Spahn vorwirft, ist laut Kubicki auch den Leitmedien anzukreiden, die diese leichtfertig grundrechteverletzende Politik stützten und bis heute noch rechtfertigen.

Er fordert eine umfassende Aufklärung – und legt dem SPD-Gesundheitsminister den Rücktritt nahe.

Ministerium nennt Corona-Maßnahmen „mehr als begründet“

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) lässt Forderungen von FDP-Vize Wolfgang Kubicki an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach „persönlichen Konsequenzen“ im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) unkommentiert. „Die Äußerungen von Herrn Kubicki kommentiert das BMG nicht“, hieß es auf Nachfrage von welt.

Das Ministerium zitierte Lauterbach darüber hinaus allgemein „zum Themenkomplex Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungsbefugnis“ mit den Worten: „Es gibt in den RKI-Protokollen nichts zu verbergen. Daher habe ich die Veröffentlichung der Protokolle angewiesen. Das RKI hat während der Pandemie Empfehlungen abgegeben. Die politische Verantwortung liegt aber beim Ministerium. Trotz der insgesamt vorsichtigen Strategie sind allein im Jahr 2022 in Deutschland noch mehr als 50.000 Menschen an Corona gestorben. Die Maßnahmen waren damit mehr als begründet.“

Virologe Streeck fordert eine Erklärung von Lauterbach

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, der bei der Bundestagswahl 2025 für die CDU antreten will, forderte in der Bild-Zeitung, Lauterbach müsse ausführlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen, die sich aus den Protokollen gegen ihn ergäben.

Kubicki werfe seinem Koalitionspartner vor, wissenschaftliche Erkenntnisse unterdrückt zu haben, um politische Ziele zu erreichen. „Ein solcher Vorwurf darf nicht im Raum stehen bleiben, wenn Karl Lauterbach Gesundheitsminister bleiben möchte.“

Hat es politische Anweisungen an das RKI gegeben?

Nach der Veröffentlichung ungeschwärzter Dokumente über die Sitzungen des Corona-Krisenstabs beim RKI durch die Journalistin Aya Velázquez, übt Kubicki vor allem Kritik an der Rolle Lauterbachs während der Corona-Pandemie. Er bezieht sich dabei auf die Protokolle aus dem Frühjahr 2022 und auf die Aussage des Gesundheitsministers im März 2024, es habe keine politischen Weisungen an das RKI durch sein Ministerium gegeben.

Dabei bezieht sich Kubicki auf Passagen der RKI-Files zur Risikobewertung. In den ersten Wochen des Jahres 2022 habe es ein „vitales politisches Interesse an einer breiten Corona-Furcht in der Bevölkerung“ gegeben, behauptet Kubicki, um die Debatte um die allgemeine Impfpflicht anzuheizen.

„Corona-Furcht“ für Impfpflicht-Debatte

Es habe Lauterbach aber nicht gepasst, dass die damals zirkulierende mildere Omikron-Variante aus fachlicher Sicht eine Herabstufung der Risikobewertung erforderlich machte, so Kubicki. Er verweist auf entsprechende Stellen in Protokollen des RKI-Krisenstabs.

RKI-Protokoll-Auszüge:

Am 9. Februar 2022 heißt es hier zum Punkt Risikobewertung: „Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), voraussichtlich nicht vor der MPK am 16.02.2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht. Inhaltliche Überarbeitung und Diskussion werden auf nächste Woche vertagt.“

  • 25. Februar 2022: „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt. Text der Risikobewertung ist nicht mehr auf aktuellem Stand.“
  • 20. April: „In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen.“
  • 25. April: „Diskussion der Änderungsvorschläge zur Risikobewertung, Warten auf Rückmeldung des BMG“; „Grundsätzlich ist Minister einverstanden, meldet sich aber noch einmal“.
  • Am 6. Mai 2022 senkte das RKI die Risikobewertung der Corona-Lage in Deutschland von „sehr hoch“ auf „hoch“. Lauterbach stimmte zu.

Dass es doch zu einer Absenkung der Risikobewertung kam, führt Kubicki darauf zurück, dass die allgemeine Impfpflicht im Bundestag im April 2022 durchgefallen war: „Lauterbach war gezwungen, die Lüge zu beenden.“

Konflikt über die Aufarbeitung der Corona-Politik

Die RKI-Papiere zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen regelmäßigen Sitzungen in der Corona-Zeit jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmaßnahmen. Das RKI erklärte dazu, es habe die Datensätze „weder geprüft noch verifiziert“. Das Institut will die Protokolle nach Angaben Lauterbachs zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt selbst veröffentlichen.

Spahn: Kritiker wollen „Art Volksgerichtshof“

Kubicki hatte zudem eine parlamentarische Aufarbeitung der Corona-Pandemie gefordert. Zu dem Thema äußerte sich auch Lauterbachs Vorgänger im Amt, Jens Spahn, im ARD „Interview der Woche“. Man müsse über das reden, was falsch lief, und auch den Blick nach vorn richten, was man daraus lernen könne, sagte der CDU-Politiker und sprach sich für die Einsetzung einer entsprechenden Enquetekommission im Bundestag aus. „Im Moment habe ich eher den Eindruck, die einen wollen gar nicht darüber reden, so nach dem Motto, war schon alles irgendwie ok und die anderen wollen – das sind vor allem die, die immer schon alles kritisch sahen – eher so eine Art Volksgerichtshof veranstalten.“

RKI-Files: „Und wo ist jetzt der Skandal?“

In seinem offenen Brief stellt Kubicki abschließend dar: „Einem Bundesminister, der die Wahrheit biegt und Grenzen der Wahrheit überschreitet, um ein persönliches politisches Ziel zu erreichen, dabei auch schwerste Grundrechtseingriffe billigend in Kauf nimmt, kann ich keine parlamentarische Zustimmung mehr geben. Wem die Beachtung der rechtsstaatlichen Ordnung, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und unsere Verfassung etwas bedeutet, kann diesen Minister in seinem Treiben nicht mehr unterstützen. Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handeln genährt. Er muss persönliche Konsequenzen ziehen.“

Jetzt zu diesem Zeitpunkt Lauterbachs Rücktritt zu fordern, bringt die notwendige Debatte um die fehlende Aufarbeitung zurück in die Öffentlichkeit und in den Bundestag, ja sogar in die eigene Ampel-Koalition. Doch wie kann man da weiter gemeinsam regieren? Nach herkömmlichen Maßstäben des Politikbetriebs ist so eine Regierung am Ende. Man darf gespannt sein, ob sich die anderen FDP-Granden von Kubickis Forderung (wiedermal) distanzieren. Sollten sich SPD und Grüne weiter diesem Ansinnen versperren, wird die FDP, laut Kubicki, ihre Teilnahme an einer künftigen Koalition mit dieser Aufarbeitung verknüpfen.

                                                                            ***

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.



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