Politik

Kranken- und Pflegeversicherung: Milliardenschweres Finanzloch - Beiträge könnten noch stärker steigen

Lesezeit: 3 min
07.10.2024 17:00
Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung könnten im kommenden Jahr stärker steigen als bisher befürchtet. Es fehlen Milliarden zur Finanzierung. Ist die Pflegeversicherung pleite?
Kranken- und Pflegeversicherung: Milliardenschweres Finanzloch - Beiträge könnten noch stärker steigen
Der Pflegeversicherung droht die Zahlungsunfähigkeit. (Foto: dpa)
Foto: Jan Woitas

Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung ist offenbar schlimmer als bisher bekannt: Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung könnten im kommenden Jahr deshalb noch stärker steigen als bisher befürchtet. Grund ist unter anderem die schlechte Finanzsituation der Pflegeversicherung. Zwar ist noch nichts entschieden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte an, in Kürze ein Konzept vorzulegen, das die Pflegeversicherung kurz- und langfristig wieder auf stabilere Füße stellen solle. Er hatte aber schon Ende August höhere Beitragssätze für das kommende Jahr angedeutet.

„Notoperation“ an der Pflegeversicherung

Ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) sorgte zuvor in Berlin für Wirbel. Demzufolge wird in der Ampel-Koalition wegen der Finanzlage der Pflegeversicherung fieberhaft an einer Notoperation gearbeitet. Das RND schrieb unter Berufung auf Koalitionskreise weiter, es drohe eine Zahlungsunfähigkeit. Das Bundesgesundheitsministerium trat dem entgegen: „Die Pflegeversicherung ist nicht pleite. Dafür wird der Gesetzgeber sorgen.“ Doch nun muss geklärt werden, woher das Geld dafür kommen soll und wie sehr die Beitragszahler dafür zur Kasse gebeten werden.

Eine erste Pflegereform hatte die Koalition schon umgesetzt. Sie brachte Entlastungen für Pflegebedürftige bei Eigenanteilen, die sie im Heim zahlen müssen, aber auch bereits einen höheren Beitrag: Für Menschen ohne Kinder stieg er Mitte 2023 auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – nun weniger als zuvor.

Milliarden fehlen

Doch die Finanzprobleme der Pflegeversicherung blieben. Das Gesundheitsministerium begründet das nun unter anderem mit eben dieser vorangegangenen Reform, die Pflegebedürftige in Heimen erheblich entlastet habe, und auch damit, dass es mehr Pflegebedürftige als angenommen gebe. Zudem seien Löhne in der Pflege gestiegen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der auch die Pflegekassen vertritt, hatte schon im Juni ein Minus von 1,5 Milliarden in diesem und 3,4 Milliarden Euro im nächsten Jahr prognostiziert. Rechnerisch entspräche das einer Beitragsanhebung von 0,2 Punkten zum nächsten Jahr. Nun wird in der Regierung laut RND aber von einem Erhöhungsbedarf von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen. Auch der Spitzenverband der Kassen korrigierte am Montag auf 0,25 Prozentpunkte nach oben. Wenn andere Reformen ausblieben, sei mindestens so viel notwendig, damit die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung gesichert bleibe.

Anstieg auch bei Krankenkassenbeiträgen erwartet

Auch bei den Krankenkassenbeiträgen wird – wie schon länger bekannt ist – mit einem Anstieg im nächsten Jahr gerechnet. Beim Kassen-Spitzenverband ist von mindestens 0,6 Prozentpunkten die Rede, laut RND könnten es auch 0,7 werden. Zusammen mit dem Pflegeversicherungsplus also bis zu 1 Prozent Abzüge mehr? Das wären bei einem Brutto von 3.000 Euro grob gerechnet 15 Euro weniger netto im Monat (die anderen 15 Euro zahlt der Arbeitgeber) – aufs Jahr gerechnet also 180 Euro weniger.

Genaueres wird erst in den kommenden Wochen klar. Ein Expertengremium – der sogenannte Schätzerkreis – gibt jährlich im Herbst eine Prognose zur Finanzentwicklung bei den Krankenkassen und eine rechnerisch daraus folgende mögliche durchschnittliche Beitragserhöhung ab.

Steuergeld statt höhere Beiträge?

Der GKV-Spitzenverband forderte Sofortmaßnahmen, um eine Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung doch noch abzuwenden. Die Versicherung hat demnach während der Corona-Pandemie etwa 5,3 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben müssen, etwa für Tests oder Boni fürs Personal – damit habe der Staat sie allein gelassen und müsse das nun ausgleichen. Außerdem sollte die Pflegekasse nicht Rentenbeiträge für pflegende Angehörige zahlen müssen, dies solle ebenfalls aus Bundesmitteln finanziert werden.

Mit beiden Schritten könnten nach Rechnung des Verbands rund 9 Milliarden Euro zusammenkommen. Doch auch die lassen sich nicht einfach aus dem Hut zaubern. Die Ampel müsste politisch entscheiden, solche Summen anderswo zu mobilisieren – und das bei einem Haushalt, in dem es sowieso schon an allen Ecken und Enden knirscht. „Jetzt ist keine Zeit zu verlieren. Die Ampel-Koalition muss unverzüglich erklären, woher das Geld kommen soll“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.



Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....