Politik

Scholz auf Stimmenfang? Kanzler-Vorstoß für weniger Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln

An der Kasse im Supermarkt merken Verbraucherinnen und Verbraucher die Inflation konkret – viele Produkte sind teurer geworden. Nun bringt der Kanzler eine Preisbremse über die Steuer ins Gespräch.
11.12.2024 14:59
Lesezeit: 3 min

Kanzler Olaf Scholz schlägt angesichts weiter steigender Preise in den Supermärkten eine Senkung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent vor. „Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen, und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung“, sagte der SPD-Politiker in der ARD. Von Handel und Opposition kam Kritik, Verbrauchervertreter begrüßten die Stoßrichtung. Lebensmittel waren lange Treiber der inzwischen abgeschwächten Inflation.

Vorstoß in Wahlkampfzeiten

Mit seinem überraschenden Vorstoß im anlaufenden Bundestagswahlkampf facht der Kanzler die schon länger schwelende Debatte über breite Entlastungen wieder an. Wichtig sei, „dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt“ - nämlich an der Supermarktkasse. „Da sind einige schon ganz schön erstaunt, was da an Geld zusammenkommt für den Korb, den sie da gefüllt haben.“

Tatsächlich sind die Preise für viele Nahrungsmittel lange stärker gestiegen als die allgemeine Inflation. Zwischen 2020 und 2023 verteuerten sie sich laut Statistischem Bundesamt insgesamt um mehr als 30 Prozent. Im November schwächte sich der Preisauftrieb allerdings ab. Die Preise für Nahrungsmittel lagen noch um 1,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor – bei einer Teuerung von insgesamt 2,2 Prozent. Deutlich teurer im Vergleich zu November 2023 waren zum Beispiel Butter (plus 38,9 Prozent) und Olivenöl (plus 13,3 Prozent).

Ermäßigter Steuersatz für viele Lebensmittel

Über die Mehrwertsteuer als Stellschraube wird immer wieder diskutiert. Aktuell greift für viele auf Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent. Dazu gehören etwa Zucker, Mehl, Kartoffeln, Gemüse und Obst, Tee und Kaffee, Nüsse, Milch und Milchprodukte sowie Fleisch, Fisch, rohe Eier und Honig. Für verarbeitete Produkte und Getränke gilt der reguläre Satz von 19 Prozent. Dabei gibt es an den Einordnungen auch Kritik: So seien für einen „Coffee to go“ mit einem Schuss Milch 19 Prozent fällig, erläuterte der Bundesrechnungshof – für Latte Macchiato mit aufgeschäumter Milch und Espresso aber sieben Prozent.

Zuletzt lief Ende 2023 eine zeitweilige Senkung auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent auf Speisen in der Gastronomie aus. Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) regte zwischenzeitlich eine leichte Anhebung des ermäßigten Satzes von sieben Prozent auf Fleisch an, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Ein vom Bundestag eingesetzter Bürgerrat schlug unter anderem null Prozent Steuer für Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität vor. Konkret umgesetzt wurde in der Ampel-Koalition von Scholz aber nichts davon.

Kritik von Union und Wirtschaft

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sprach prompt von einem „billigen Wahlkampfköder“. Sinnvoll wäre „eine zielgenaue Entlastung von Geringverdienern bei Steuern und auch bei Sozialabgaben, die verlässlich ankommt und das Arbeiten im Verhältnis zum Bürgergeldbezug lohnender macht". Der Generalsekretär des Bauernverbands, Bernhard Krüsken, sagte, eine Mehrwertsteuersenkung wäre dann sinnvoll, wenn sie für alle Lebensmittel erfolge. „Das würde Verbrauchern und Landwirten helfen.“

Inwiefern eine Senkung bei den privaten Haushalten ankäme, ist umstritten. Jedes Unternehmen entscheide für sich, ob es eine Steuerersparnis weitergebe – ob die Endverbraucher profitierten, sei daher ungewiss, erläuterte etwa der Bundesrechnungshof. FDP-Vize Wolfgang Kubicki schrieb auf der Plattform X mit Blick auf mögliche Effekte: „Macht pro Person im Schnitt 3-4 Euro Entlastung im Monat.“ Zu berechnen wäre auch das Gesamtvolumen. Nach Angaben des Finanzministeriums von 2023 lag das Mehrwertsteueraufkommen aus ermäßigt besteuerten Lebensmitteln bei geschätzt 16,5 Milliarden Euro.

Unterschiedliche Effekte je nach Einkommen

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, hält eine Senkung der Mehrwertsteuer nicht für sinnvoll. Menschen mit höheren Einkommen würden dabei absolut gesehen sogar stärker profitieren. „In Euro gerechnet wäre die Entlastung für das Kilo französischen Käse aus dem Feinschmecker-Geschäft höher als für den abgepackten Scheibengouda.“

Laut Dullien würde ein Zweipersonenhaushalt, der 450 Euro im Monat für Lebensmittel zum reduzierten Steuersatz ausgibt, durch die Maßnahme etwa acht Euro im Monat sparen. Allerdings nur, wenn die Steuersenkung vom Handel vollständig in niedrigeren Preisen weitergegeben werde. „Die Mittel für eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel könnte man zielgenauer für eine Erhöhung des Kindergeldes einsetzen“, so der Ökonom.

Forderung nach null Prozent Steuer

Der Handelsverband Deutschland lehnte den Vorschlag des Kanzlers ab. „Absenkungen der Mehrwertsteuer sind Entlastungen mit der Gießkanne, das ist nicht zielgenau“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Das Mehrwertsteuerrecht sei bereits kompliziert. Die Verwaltung sei mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes für die Unternehmen schon teuer genug. Kämen neue Absenkungen hinzu, stiegen die Kosten weiter.

Für den Sozialverband VdK geht der Kanzler-Vorschlag in die richtige Richtung, aber noch nicht weit genug. „Durch die nach wie vor hohe Inflationsrate, vor allem bei Lebensmitteln, kommen immer mehr Menschen an ihre finanziellen Grenzen“, sagte Präsidentin Verena Bentele. Geringverdienende, arme Rentner und Grundsicherungsempfänger litten besonders darunter. Der VdK forderte daher, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null Prozent zu senken. Dafür hatte sich 2023 etwa auch CSU-Chef Markus Söder ausgesprochen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht auf tiefsten Stand seit Juni: Anleger leiden unter Risikoaversion
04.11.2025

Der Bitcoin-Kurs steht unter massivem Druck. Milliardenverluste, Panikverkäufe und makroökonomische Unsicherheiten erschüttern den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Studie: Betriebsrat wirkt sich positiv auf die Produktivität aus
04.11.2025

Wie stark kann ein Betriebsrat die Produktivität von Unternehmen wirklich beeinflussen? Eine aktuelle Ifo-Studie liefert überraschende...

DWN
Panorama
Panorama Triage-Regel gekippt: Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet
04.11.2025

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Triage-Regel gekippt – ein Urteil mit weitreichenden Folgen für Medizin und Politik....

DWN
Politik
Politik Reformen in Europa: Wie der schleppende Fortschritt den Wettbewerb gefährdet
04.11.2025

Europa steht vor wachsenden wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen. Kann die Union unter diesen Bedingungen den Rückstand...

DWN
Finanzen
Finanzen BYD-Aktie unter Druck: Chinas Autobauer mit größtem Umsatzrückgang seit Jahren
04.11.2025

BYD steht unter Druck: Der einstige Überflieger der E-Auto-Branche erlebt den größten Gewinnrückgang seit Jahren. Anleger sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stahlproduktion: Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt vor Milliardenverlusten durch Stahlauslagerung
04.11.2025

Die mögliche Stahlauslagerung deutscher Produktionskapazitäten sorgt für Aufsehen. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: So schützen sich Anleger vor einem möglichen KI-Crash an den Finanzmärkten
04.11.2025

Die US-Finanzmärkte sind in Bewegung. Technologiewerte und Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz sorgen für Begeisterung und...

DWN
Finanzen
Finanzen Autokosten: Check zeigt steigende Preise für Versicherung, Pflege und Reparaturen
04.11.2025

Die Preise rund ums Auto steigen rasant – von Versicherung bis Wartung. Ein aktueller Autokostencheck zeigt, wie stark sich der Unterhalt...