Politik

Scholz auf Stimmenfang? Kanzler-Vorstoß für weniger Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln

An der Kasse im Supermarkt merken Verbraucherinnen und Verbraucher die Inflation konkret – viele Produkte sind teurer geworden. Nun bringt der Kanzler eine Preisbremse über die Steuer ins Gespräch.
11.12.2024 14:59
Lesezeit: 3 min
Scholz auf Stimmenfang? Kanzler-Vorstoß für weniger Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln
Ein Kunde kauft in einem Rewe Pick & Go Supermarkt ein. Digital und teils ohne Personal - der Einkauf im Supermarkt ist im Umbruch. Jetzt auch bei der Mehrwertsteuer? (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Kanzler Olaf Scholz schlägt angesichts weiter steigender Preise in den Supermärkten eine Senkung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent vor. „Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen, und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung“, sagte der SPD-Politiker in der ARD. Von Handel und Opposition kam Kritik, Verbrauchervertreter begrüßten die Stoßrichtung. Lebensmittel waren lange Treiber der inzwischen abgeschwächten Inflation.

Vorstoß in Wahlkampfzeiten

Mit seinem überraschenden Vorstoß im anlaufenden Bundestagswahlkampf facht der Kanzler die schon länger schwelende Debatte über breite Entlastungen wieder an. Wichtig sei, „dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt“ - nämlich an der Supermarktkasse. „Da sind einige schon ganz schön erstaunt, was da an Geld zusammenkommt für den Korb, den sie da gefüllt haben.“

Tatsächlich sind die Preise für viele Nahrungsmittel lange stärker gestiegen als die allgemeine Inflation. Zwischen 2020 und 2023 verteuerten sie sich laut Statistischem Bundesamt insgesamt um mehr als 30 Prozent. Im November schwächte sich der Preisauftrieb allerdings ab. Die Preise für Nahrungsmittel lagen noch um 1,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor – bei einer Teuerung von insgesamt 2,2 Prozent. Deutlich teurer im Vergleich zu November 2023 waren zum Beispiel Butter (plus 38,9 Prozent) und Olivenöl (plus 13,3 Prozent).

Ermäßigter Steuersatz für viele Lebensmittel

Über die Mehrwertsteuer als Stellschraube wird immer wieder diskutiert. Aktuell greift für viele auf Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent. Dazu gehören etwa Zucker, Mehl, Kartoffeln, Gemüse und Obst, Tee und Kaffee, Nüsse, Milch und Milchprodukte sowie Fleisch, Fisch, rohe Eier und Honig. Für verarbeitete Produkte und Getränke gilt der reguläre Satz von 19 Prozent. Dabei gibt es an den Einordnungen auch Kritik: So seien für einen „Coffee to go“ mit einem Schuss Milch 19 Prozent fällig, erläuterte der Bundesrechnungshof – für Latte Macchiato mit aufgeschäumter Milch und Espresso aber sieben Prozent.

Zuletzt lief Ende 2023 eine zeitweilige Senkung auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent auf Speisen in der Gastronomie aus. Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) regte zwischenzeitlich eine leichte Anhebung des ermäßigten Satzes von sieben Prozent auf Fleisch an, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Ein vom Bundestag eingesetzter Bürgerrat schlug unter anderem null Prozent Steuer für Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität vor. Konkret umgesetzt wurde in der Ampel-Koalition von Scholz aber nichts davon.

Kritik von Union und Wirtschaft

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sprach prompt von einem „billigen Wahlkampfköder“. Sinnvoll wäre „eine zielgenaue Entlastung von Geringverdienern bei Steuern und auch bei Sozialabgaben, die verlässlich ankommt und das Arbeiten im Verhältnis zum Bürgergeldbezug lohnender macht". Der Generalsekretär des Bauernverbands, Bernhard Krüsken, sagte, eine Mehrwertsteuersenkung wäre dann sinnvoll, wenn sie für alle Lebensmittel erfolge. „Das würde Verbrauchern und Landwirten helfen.“

Inwiefern eine Senkung bei den privaten Haushalten ankäme, ist umstritten. Jedes Unternehmen entscheide für sich, ob es eine Steuerersparnis weitergebe – ob die Endverbraucher profitierten, sei daher ungewiss, erläuterte etwa der Bundesrechnungshof. FDP-Vize Wolfgang Kubicki schrieb auf der Plattform X mit Blick auf mögliche Effekte: „Macht pro Person im Schnitt 3-4 Euro Entlastung im Monat.“ Zu berechnen wäre auch das Gesamtvolumen. Nach Angaben des Finanzministeriums von 2023 lag das Mehrwertsteueraufkommen aus ermäßigt besteuerten Lebensmitteln bei geschätzt 16,5 Milliarden Euro.

Unterschiedliche Effekte je nach Einkommen

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, hält eine Senkung der Mehrwertsteuer nicht für sinnvoll. Menschen mit höheren Einkommen würden dabei absolut gesehen sogar stärker profitieren. „In Euro gerechnet wäre die Entlastung für das Kilo französischen Käse aus dem Feinschmecker-Geschäft höher als für den abgepackten Scheibengouda.“

Laut Dullien würde ein Zweipersonenhaushalt, der 450 Euro im Monat für Lebensmittel zum reduzierten Steuersatz ausgibt, durch die Maßnahme etwa acht Euro im Monat sparen. Allerdings nur, wenn die Steuersenkung vom Handel vollständig in niedrigeren Preisen weitergegeben werde. „Die Mittel für eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel könnte man zielgenauer für eine Erhöhung des Kindergeldes einsetzen“, so der Ökonom.

Forderung nach null Prozent Steuer

Der Handelsverband Deutschland lehnte den Vorschlag des Kanzlers ab. „Absenkungen der Mehrwertsteuer sind Entlastungen mit der Gießkanne, das ist nicht zielgenau“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Das Mehrwertsteuerrecht sei bereits kompliziert. Die Verwaltung sei mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes für die Unternehmen schon teuer genug. Kämen neue Absenkungen hinzu, stiegen die Kosten weiter.

Für den Sozialverband VdK geht der Kanzler-Vorschlag in die richtige Richtung, aber noch nicht weit genug. „Durch die nach wie vor hohe Inflationsrate, vor allem bei Lebensmitteln, kommen immer mehr Menschen an ihre finanziellen Grenzen“, sagte Präsidentin Verena Bentele. Geringverdienende, arme Rentner und Grundsicherungsempfänger litten besonders darunter. Der VdK forderte daher, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null Prozent zu senken. Dafür hatte sich 2023 etwa auch CSU-Chef Markus Söder ausgesprochen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitnehmerüberlassung: Wie Unternehmen Zeitarbeit sinnvoll einsetzen und was dabei wichtig ist
19.02.2025

Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ), auch als Leiharbeit oder Zeitarbeit bezeichnet, ist für viele Firmen ein gängiges Instrument, um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ehemaliger Adidas-Chef rechnet mit Deutschland ab: "Seit 2003 keinen wirtschaftlichen Plan mehr"
19.02.2025

Der ehemalige Adidas-Vorsitzende Kasper Rørsted äußert sich kritisch über Deutschland und seine Wirtschaftspolitik. Verantwortlich für...

DWN
Panorama
Panorama Papst mit Lungenentzündung in Klinik: Große Sorge um Kirchenoberhaupt
19.02.2025

Papst Franziskus wurde wegen einer beidseitigen Lungenentzündung in die Gemelli-Klinik in Rom eingeliefert. Zunächst war von einer...

DWN
Panorama
Panorama Neue Betrugsmasche: Telekom-Kunden werden mit Fake-Mails getäuscht - Verbraucherschutz warnt
19.02.2025

Eine neue Betrugsmasche führt Telekom-Kunden mit gefälschten E-Mails hinters Licht. Die Verbraucherzentrale warnt vor der neuen...

DWN
Finanzen
Finanzen Xiaomi-Aktie: Rekordhoch und starke Impulse aus China – was Anleger jetzt wissen müssen
19.02.2025

Die Xiaomi-Aktie hat seit Anfang 2024 ihren Wert um 300 Prozent gesteigert. Wer in der Xiaomi-Aktie investiert ist, hat sein Kapital...

DWN
Finanzen
Finanzen Stiftung Warentest: PKV im Test - diese Tarife lohnen sich wirklich
19.02.2025

Schnelle Arzttermine und exklusive Leistungen – die private Krankenversicherung gilt als Premium-Schutz. Doch ein aktueller Test zeigt:...

DWN
Politik
Politik EU-Staaten bringen neue Russland-Sanktionen auf den Weg
19.02.2025

Die EU-Staaten haben ein neues Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Unter anderem ist der Ausschluss weiterer Banken aus Swift,...

DWN
Technologie
Technologie KI-Jobs: Künstliche Intelligenz bedroht diese 7 Berufe
19.02.2025

Ob in der IT, der Buchführung oder im Journalismus: KI wird die Arbeitswelt tiefgreifend verändern und laut neuesten Studien rund 60...