Politik

Kapitalgedeckte Rente: Der einzig gangbare Weg für die Altersvorsorge?

Die Altersvorsorge muss reformiert werden - könnte eine kapitalgedeckte Rente die Rettung sein? Ja, sagt die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV). Die Parteien sehen das anders. Welche auf Kapitaldeckung setzen – und welche sie ablehnen.
07.03.2025 10:57
Lesezeit: 5 min
Kapitalgedeckte Rente: Der einzig gangbare Weg für die Altersvorsorge?
Positionspapier der DAV: Kapitalgedeckte Rente als Teil der Forderungen zur Altersvorsorge (Foto: dpa). Foto: Hannes P Albert

Kapitalgedeckte Rente: Die Rente ist nicht sicher - oder doch?

“Die Renten sind sicher”, versprach Norbert Blüm einst. Heute ist klar: Blüms Versprechen war eine Illusion. Die demografische Realität hat den im Jahr 1986 berühmt gewordenen Satz des ehemaligen Bundesarbeitsministers längst überholt. Die Alterspyramide steht Kopf: Immer mehr Rentnerinnen und Rentner treffen auf immer weniger Beitragszahlende – ein System, das an seine Grenzen stößt.

Vor allem der Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1970 bringt das Umlagesystem ins Straucheln. Die Babyboomer, eine der größten Altersgruppen Deutschlands, verlassen den Arbeitsmarkt – doch die niedrigen Geburten- und Zuwanderungsraten reichen nicht aus, um die Lücke zu schließen.

Die Folge: Unsere Gesellschaft altert rapide – und die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bis Mitte der 2030er steigt die Zahl der Rentnerinnen und Rentner von aktuell 16,4 auf 20 Millionen, so das Statistische Bundesamt (destatis). Global wird sich die Zahl der über 65-Jährigen bis 2050 mehr als verdoppeln, warnen die Vereinten Nationen (UN).

Diese Entwicklung stellt Sozial- und Rentensysteme weltweit vor enorme Herausforderungen – Deutschland ist dabei keine Ausnahme. Doch während viele Staaten längst auf eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge setzen, dominiert hierzulande weiterhin das Umlagesystem. Doch genau das könnte sich als fatal erweisen: Ohne tiefgreifende Reformen drohe das deutsche Rentensystem in die Krise zu rutschen, warnt die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV).

Kapitaldeckung statt Illusionen – DAV fordert radikalen Kurswechsel

In einem Positionspapier fordert die DAV daher einen radikalen Umbau der Alterssicherung – hin zu mehr kapitalgedeckter Eigenvorsorge. „Unser Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, wird in 30 Jahren nicht mehr existieren, wenn keine nachhaltigen Reformen stattfinden“, heißt es darin. Längst habe der Beitragssatz der Sozialversicherung die einst festgelegte Grenze von 40 Prozent überschritten.

Diese Grenze wurde im Jahr 2003 von der rot-grünen Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als Maßstab gesetzt, um die Belastung der Arbeitnehmer in einem vertretbaren Rahmen zu halten. „Das belastet die erwerbstätige Generation in einem nicht mehr vertretbaren Maß und lähmt zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes“, so der DAV-Vorstandsvorsitzende Maximilian Happacher in dem gemeinsam mit dem Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS) vorgelegten Papier.

Kapitalgedeckte Rente als zentrales Element der Altersvorsorge

Die Rente allein reicht nicht – das ist längst klar. Laut einer Studie des US-Vermögensverwalters Fidelity benötigen Menschen im Ruhestand rund 86 Prozent ihres früheren Einkommens, um den gewohnten Lebensstandard zu halten. Doch steigende Inflation und sinkende Umlagebeiträge reißen wachsende Lücken in die Altersversorgung.

Neben der gesetzlichen Grundsicherung wird eine zusätzliche Vorsorge zum Muss – und genau hier setzt die DAV an: „Unsere Alterssicherung braucht ein stabiles Fundament, das neben der Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung noch stärker als bisher auf Kapitaldeckung setzt.” Die Aktuare fordern deshalb eine gezielte Stärkung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) und privaten Altersvorsorge (pAV) – und setzen damit auf einen hybriden Ansatz aus Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren. Nur so ließe sich eine nachhaltige und generationengerechte Absicherung erreichen.

Ein entscheidender Vorteil der Kapitaldeckung sei, so die DAV, die höhere Renditechance durch den Kapitalmarkt und die lebenslange Rentenzahlung durch die Risikogemeinschaft. Dies sei unerlässlich, um Langlebigkeitsrisiken und Kapitalmarktschwankungen auszugleichen. „Wer die Altersvorsorge allein auf das Umlageverfahren stützt, wird in Zukunft vor massiven Finanzierungslücken stehen“, heißt es in der DAV-Analyse. Kapitaldeckung sei daher keine Option, sondern unverzichtbar.

Auch Kranken- und Pflegeversicherung unter Reformdruck

Neben der Rentenversicherung sieht die DAV auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) wachsenden Finanzierungsbedarf. “Die Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind allein im ersten Halbjahr 2024 um 7,6 Prozent gestiegen”, warnt Happacher. Steigende Ausgaben für Krankenhausbehandlungen und Arzneimittel sowie der Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge verschärfen die Situation zusätzlich.

In der SPV zeichnet sich laut DAV ein noch dramatischeres Bild ab: Bis 2050 wird die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 5,7 Millionen auf 7,25 Millionen steigen. “Das umlagefinanzierte System der Sozialen Pflegeversicherung ist bereits heute defizitär”, warnt Happacher. Die DAV fordert deshalb eine stärkere kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung, um die Finanzierung langfristig zu sichern. Bislang fristen private Pflegeversicherungen jedoch ein Nischendasein – viele Menschen schrecken vor hohen Kosten oder mangelnder Transparenz zurück.

Vor diesem Hintergrund mahnt die Aktuarvereinigung, dass die kommende Bundesregierung die notwendigen Reformen nicht weiter aufschieben darf. “Wir brauchen klare Entscheidungen für eine nachhaltige Alterssicherung und ein stabiles Sozialversicherungssystem”, so Happacher. “Ohne eine Stärkung der kapitalgedeckten Vorsorge riskieren wir eine massive Finanzierungslücke und steigende Belastungen für kommende Generationen.”

Kapitalgedeckte Altersvorsorge: Wie die Parteien dazu stehen

Was die politischen Parteien in Deutschland angeht, haben diese in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2025 unterschiedliche Positionen zur Forderung der DAV nach einer kapitalgedeckten Altersvorsorge beim Thema Rente vormuliert – ein Überblick.

SPD: Umlagesystem stärken, Kapitaldeckung bleibt Randthema

Die SPD setzt laut Regierungsprogramm 2025 auf den Erhalt der gesetzlichen Rentenversicherung und will das Rentenniveau dauerhaft bei mindestens 48 Prozent stabilisieren - finanziert durch höhere Beiträge oder Steuerzuschüsse. Die betriebliche und private Altersvorsorge soll insbesondere für Geringverdiener attraktiver werden.

Echte Kapitaldeckung bleibt allerdings ein Randthema: Die SPD erwähnt in ihrem Wahlprogramm zwar eine “Aktienrente”, plant aber nur eine kleine staatliche Fondslösung ohne Zwangsbeiträge. Auch die geplante Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung soll vorerst nur für diejenigen gelten, die keine anderweitige Absicherung nachweisen können.

CDU/CSU: Mehr Kapitalmarkt für die Altersvorsorge

Die Union setzt auf ein mehrsäuliges Rentensystem, in dem neben der gesetzlichen Rente auch die betriebliche und private Vorsorge gestärkt werden soll. Zudem lehnen CDU/CSU Rentenkürzungen ab und wollen stattdessen die Beitragssätze stabil halten, um insbesondere kleine und mittlere Einkommen nicht zusätzlich zu belasten. „Unser Ziel ist es, durch wirtschaftliches Wachstum ein stabiles Rentenniveau zu sichern und weiterhin steigende Renten zu gewährleisten“, heißt es im Wahlprogramm.

Insbesondere für junge Menschen plant die Union eine frühzeitige kapitalgedeckte Altersvorsorge: Die so genannte „Frühstart-Rente“ soll sicherstellen, dass für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr monatlich 10 Euro in ein individuelles kapitalgedecktes Altersvorsorgedepot eingezahlt werden. Darüber hinaus will die Union eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einführen, sofern diese keine anderweitige Absicherung nachweisen können.

Grüne: Bürgerfonds als nachhaltige Kapitaldeckung

Auch die Grünen setzen auf eine stabile gesetzliche Rente und wollen das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozenthalten. Einen vollständigen Systemwechsel zur Kapitaldeckung lehnen sie ab. Stattdessen soll eine ergänzende Kapitaldeckung geschaffen werden – finanziert ausschließlich über Darlehen aus dem Bundeshaushalt und nicht aus Rentenbeiträgen, heißt es im grünen Wahlprogramm. Kernstück ist ein staatlich verwalteter Bürgerfonds, der nach sozialen und ökologischen Kriterien investiert und sich am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens orientiert. Die erzielten Erträge sollen auch zur Finanzierung der geplanten Garantierentebeitragen​.

FDP: Mehr Kapitalmarkt, weniger Umlage

Die Freien Demokraten setzen klar auf Kapitaldeckung und fordern eine „Gesetzliche Aktienrente“ nach schwedischem Vorbild. Demnach soll ein Teil der Rentenbeiträge in einem unabhängigen Fonds angelegt werden, um langfristig Erträge zu generieren. Das Ziel: das Rentenniveau stabilisieren und Beitragssteigerungen bremsen​.

Zudem will die FDP ein steuerlich gefördertes „Altersvorsorgedepot“ einführen, das den Vermögensaufbau erleichtert. Umschichtungen und Kapitalerträge innerhalb dieses Depots sollen steuerfrei bleiben, solange sie für die Altersvorsorge genutzt werden​. Auch in der betrieblichen Altersvorsorge will die FDP mehr Kapitalmarkt wagen: Unternehmen sollen höhere Aktienanteile in Pensionsfonds anlegen dürfen, um langfristig Renditen zu erzielen.

Die Linke: Kapitaldeckung verhindern, Umlage stärken

Die Linke lehnt eine kapitalgedeckte Altersvorsorge strikt ab und setzt in ihrem Wahlprogramm stattdessen auf eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Das Rentenniveau soll wieder auf 53 Prozent angehoben und die Beitragsbemessungsgrenze verdoppelt werden. Zudem fordert die Partei eine „Solidarische Mindestrente“, die sicherstellen soll, dass niemand im Alter unter das Armutsrisiko fällt. Alle Erwerbstätigen - auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete - sollen in eine einheitliche Erwerbstätigenversicherung einzahlen.

AfD: Flexibles Renteneintrittsalter und mehr Eigenvorsorge

Die AfD fordert in ihrem Wahlprogramm ein flexibles Renteneintrittsalter mit der Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente zu gehen. Gleichzeitig setzt sie auf mehr Eigenverantwortung und will die private und betriebliche Altersvorsorge steuerlich attraktiver machen. Außerdem schlägt die Partei ein „Junior-Spardepot“ vor, in das der Staat für jedes neugeborene Kind monatlich 100 Euro in einen ETF- oder Aktienfonds-Sparplan einzahlt. Die Auszahlung soll erst ab dem 65.

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