Unternehmen

Ostdeutsche Textilbranche kämpft mit Umsatzeinbußen – trotz erfolgreichen Neustart

Sachsen und Thüringen zählen noch zu den größten Textilstandorten bundesweit. Doch die ostdeutsche Textilbranche hat erheblich zu kämpfen, trotz erfolgreichem Neustart mit technischen Textilien nach der Wende, sowie Textilveredler Otex in Flöha. Die Insolvenzen steigen. Wiederholt sich die Wirtschaftskrise?
03.04.2025 11:07
Lesezeit: 3 min
Ostdeutsche Textilbranche kämpft mit Umsatzeinbußen – trotz erfolgreichen Neustart
Die Lage der ostdeutschen Textilindustrie insgesamt hat sich massiv eingetrübt. Allein im vergangenen Jahr habe sie etwa 10 Prozent an Umsatz verloren. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. (Foto: dpa) Foto: Jan Woitas

Es gibt viele mittelständische Unternehmen in Ostdeutschland, die nach der Wende eine Erfolgsgeschichte schrieben: Beim Textilveredler Otex in Flöha (Landkreis Mittelsachsen) laufen die Maschinen rund um die Uhr. Im Drei-Schicht-Betrieb fertigen mehr als 100 Mitarbeiter neun verschiedener Nationalitäten Garne. Die Rohfasern werden texturiert, gezwirnt, nach Kundenwunsch in allen möglichen Varianten gefärbt und auf Spulen gewickelt.

Bei den Kunden entstehen daraus medizinische Produkte, aber auch Bekleidungsstücke wie Strümpfe. Das Unternehmen, eine Tochter des Ostthüringer Bandagenherstellers Bauerfeind, plant laut Geschäftsführer Nico Teutsch weitere Investitionen.

Ostdeutsche Erfolgsgeschichte: Stützstrumpf als Modeartikel

Otex ist ein Unternehmen, das auch den Fachkräftemangel in der Branche vorbildlich bewältigt. Zum einen arbeite man eng mit Schulen zusammen und biete Praktika und Ferienjobs, sagt Geschäftsführer Teutsch, der sich zudem eine internationale Belegschaft zusammengestellt hat. Etliche seiner 107 Mitarbeiter kommen aus Kasachstan, Rumänien, Tunesien oder Venezuela. Vokabeln wie „Stützstrumpf“ oder „Lieferkettengesetz“ müssen sie nicht pauken. Um sie für die anspruchsvolle Arbeit anzulernen, kommen Video-Lehrgänge zum Einsatz.

Der Stützstrumpf ist ein Modeartikel geworden. Genauso wie Bandagen für Knie oder Ellbogen „trägt man den jetzt nicht mehr im Verborgenen“, sagt Nico Teutsch. Das Unternehmen, dessen Geschäftsführer er ist, trägt maßgeblich dazu bei, dass die medizinischen Hilfsmittel vorzeigbar geworden sind. Die knallbunten Farben bei Otex verbreiten gute Laune. Um die Situation der Branche insgesamt zu beschreiben, würde Jenz Otto indes vermutlich eher zu tiefschwarzen Fasern greifen.

Industrie in Ostdeutschland: Die Furcht vor dem Fadenriss

Jenz Otto ist Geschäftsführer des Verbands der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (VTI), in dem exakt 101 Unternehmen mit gut 7000 Beschäftigten organisiert sind. Die Zahl der Firmen sinkt indes: 2023 habe es drei Insolvenzen gegeben, 2024 waren es sechs. „So etwas kannte ich aus den Jahren davor nicht“, sagt Otto und räumt unumwunden ein: „Die Prognose ist besorgniserregend.“

„Insolvenzen kannte ich aus den Jahren davor nicht.“ Jenz Otto, VTI-Geschäftsführer

Die Lage der ostdeutschen Textilindustrie insgesamt hat sich massiv eingetrübt. Allein im vergangenen Jahr habe sie etwa 10 Prozent an Umsatz verloren, sagt Otto. „Die Luft ist dünn für viele Unternehmen.“ Auch für dieses Jahr sei keine wirkliche Trendwende zu erwarten.

Technische Textilien statt Bekleidung

Die Region Sachsen-Thüringen ist den Angaben nach die viertgrößte Textilregion in Deutschland und zählt rund 14.500 Beschäftigte. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten hätten vergangenes Jahr sechs Unternehmen Insolvenz angemeldet. Auch werde Personal abgebaut und Produktion ins Ausland verlagert. Belasten würden die Unternehmen unter anderem hohe Energiepreise und Sozialabgaben sowie ein immenser Bürokratieaufwand.

Vor allem Bekleidungshersteller hätten zuletzt stark gelitten, erklärte Otto. Ihr Umsatzanteil im Verbandsgebiet sei von etwa acht Prozent vor zehn Jahren auf heute nur noch drei bis vier Prozent gesunken. Hauptsächlich verdienen die Unternehmen ihr Geld mit technischen Textilien. So habe sich die Branche zu einer klassischen Zulieferindustrie für andere Wirtschaftszweige wie Automobilbau, Gesundheitswesen sowie Möbel- und Bauindustrie entwickelt.

Sorge um Absatzrückgang in Auto-Industrie

Doch auch da haben sich die Aussichten getrübt. So werde angesichts der geringeren Autoproduktion bundesweit dauerhaft mit einem zweistelligen Absatzrückgang auch für Textilhersteller in diesem Bereich gerechnet, sagte Otto. Das betreffe etwa Produzenten von Autositzen. Er verwies beispielsweise auf die Situation des Volkswagenwerkes in Zwickau, wo das Unternehmen die Kapazitäten angesichts mangelnder Nachfrage deutlich herunterfahren will. Das treffe auch die Zulieferer in der Region massiv.

Forderung: Wertschöpfungskette erhalten

Aus Sicht der Branche müsse alles dafür getan werden, die vorhandene textile Wertschöpfungskette in Deutschland zu erhalten. Nur so könne sie ihre Flexibilität und Innovationskraft bewahren. „Billig können andere“, sagte Otex-Chef Teutsch. Europaweit gebe es nur noch zwei Unternehmen, die so aufgestellt seien wie seines. Stärken der hiesigen Branche seien Flexibilität, Kundennähe und ein hoher Innovations- und Servicegrad.

Gerade die Corona-Zeit habe gezeigt, wie wichtig diese Faktoren seien, ergänzte Verbandschef Thomas Lindner, der eine Strumpffabrik in Hohenstein-Ernstthal (Landkreis Zwickau) leitet. Damals waren internationale Lieferketten in vielen Bereichen ins Stocken geraten, was zu einem Mangel etwa an textilen Medizinprodukten wie speziellen Masken führte.

Die Textil- und Bekleidungsindustrie war in Ostdeutschland einst eine bestimmende Branche mit rund 300 000 Beschäftigten. Der Umbruch mit dem Ende der DDR und die zeitgleich einsetzende Globalisierung setzten ihr arg zu. T-Shirts und Blusen, Röcke und Hosen werden inzwischen vorwiegend in Asien genäht. In Ostdeutschland werden noch drei Prozent der Umsätze mit Bekleidung erwirtschaftet.

 

 

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Finanzen
Finanzen Inflationskrise USA: Warum 2026 zum gefährlichsten Jahr werden könnte
26.12.2025

Die Warnung eines führenden Ökonomen zeichnet ein düsteres Bild für die USA. Die Rückkehr einer hartnäckigen Inflationswelle könnte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Familienunternehmen Voelkel: Mit Ingwer-Shots zur größten Bio-Safterei der Welt
26.12.2025

Voelkel ist bekannt für seine Obst- und Gemüsesäfte aus biologischem Anbau. Stefan Voelkel leitet das Unternehmen in dritter Generation...

DWN
Technologie
Technologie Autonomes Fahren: Bolt bringt chinesische Technologie nach Europa
26.12.2025

Europa erlebt eine neue Phase im Wettbewerb um autonome Mobilität, da chinesische Technologieanbieter zunehmend mit großen...

DWN
Panorama
Panorama Die spektakulärsten Weihnachtsbäume weltweit: Wenn Tradition zur Show wird
26.12.2025

Lichtermeere, Rekordhöhen und ungewöhnliche Kulissen: Rund um den Globus werden Weihnachtsbäume zu echten Spektakeln. Von italienischen...

DWN
Immobilien
Immobilien The Line: Saudi Arabiens hochgestapelte Megacity quer durch die Wüste
26.12.2025

Eines der wohl ambitioniertesten und innovativsten Infrastrukturprojekte unserer Zeit ist The Line. Die von Saudi-Arabien geplante...

DWN
Finanzen
Finanzen Dotcom-Blase der 1990er: Wie Spekulationen den Markt auf den Kopf stellte
26.12.2025

Die späten 1990er Jahre waren geprägt von einem beispiellosen Börsenboom im Technologiesektor, der als Dotcom-Blase bekannt wurde....

DWN
Politik
Politik Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie
26.12.2025

2026 könnte zum Wendepunkt werden: Von Washington bis Berlin geraten liberale Demokratien unter Druck. Autokraten gewinnen Einfluss,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prognose: Startet die deutsche Wirtschaft 2026 endlich durch?
25.12.2025

Drei Jahre Flaute, kaum Wachstum – doch 2026 könnte die deutsche Wirtschaft endlich drehen. Prognosen deuten auf leichte Erholung,...