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Trotz Sanktionen: EU steigert Importe von russischem LNG

Ein neuer Energiebericht zeigt: Die EU hat im ersten Halbjahr 2025 ihre Importe von russischem Flüssigerdgas (LNG) trotz Sanktionen und geplanter Einfuhrverbote ab 2027 um sieben Prozent erhöht. Während Europas Abhängigkeit von LNG wächst, verlieren viele Milliardeninvestitionen in Terminals an Sinn, da der tatsächliche Gasbedarf sinkt.
05.11.2025 08:29
Lesezeit: 3 min
Trotz Sanktionen: EU steigert Importe von russischem LNG
Obwohl Statistiken zeigen, dass Europa die russischen LNG-Käufe erhöht hat, hat sich der Bau von LNG-Terminals deutlich verlangsamt, und die Schließungen und Stilllegungen der bestehenden Terminals deuten darauf hin, dass Europa seinen Gasbedarf überschätzt hat. (Foto: dpa) Foto: Sina Schuldt

Trotz Sanktionspolitik: Russisches Gas bleibt gefragt

Die Europäische Union hat im ersten Halbjahr 2025 mehr Flüssigerdgas (LNG) aus Russland importiert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das geht aus einem Bericht des Energie-Thinktanks Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) hervor. Trotz der seit 2022 geltenden Sanktionen gegenüber Russland und des geplanten Importverbots ab Januar 2027 stiegen die Einfuhren russischen LNGs um sieben Prozent. Damit zeigt sich, dass Europas Energiemärkte weiterhin strukturell abhängig von russischem Gas bleiben – wenn auch in verflüssigter Form.

Nach Angaben der IEEFA war Frankreich im ersten Halbjahr 2025 der größte Importeur russischen LNGs in der EU mit einem Anteil von 41 Prozent, gefolgt von Belgien (28 %), Spanien (20 %), den Niederlanden (9 %) und Portugal (2 %). Seit Anfang 2022 bis Juni 2025 haben die EU-Mitgliedstaaten laut Bericht insgesamt rund 120 Milliarden Euro für den Import von russischem Pipelinegas und LNG ausgegeben.

Überkapazitäten bei LNG-Terminals: Europa hat Bedarf überschätzt

Die IEEFA weist darauf hin, dass die Bautätigkeit an europäischen LNG-Terminals spürbar an Dynamik verliert. Dies deute darauf hin, dass viele Staaten ihre zukünftige Gasnachfrage überschätzt haben. In diesem Jahr hat beispielsweise Deutschland den Bau von zwei LNG-Terminals gestoppt oder ausgesetzt, während der französische Hafen Le Havre seit mehr als einem Jahr stillsteht. Ein Gericht ordnete dort sogar an, die Regasifizierungseinheit aus der Anlage zu entfernen.

Daten des Instituts zeigen, dass der Bedarf Europas an Regasifizierungskapazität 2023 um 13 Prozent, 2024 um 8 Prozent gestiegen ist. In 2025 dürfte das Wachstum jedoch nur noch 2 Prozent betragen. Für den Zeitraum 2025 bis 2030 erwartet die IEEFA einen Rückgang des europäischen Gasverbrauchs um 15 Prozent sowie einen Rückgang des LNG-Imports um 20 Prozent. „Seit 2022 hat Europa 19 LNG-Terminals gebaut oder erweitert, um sich von russischem Pipelinegas zu lösen. Doch die jüngsten Schließungen und Baupausen zeigen, dass die Länder die LNG-Nachfrage überschätzt haben“, sagte Ana Maria Jaller-Makarewicz, leitende Energieanalystin der IEEFA für Europa. Wer an neuen LNG-Projekten festhalte, riskiere, „in überflüssige Infrastruktur zu investieren“.

Abhängigkeit verlagert sich: USA werden Hauptlieferant

Nach dem Stopp russischer Gaslieferungen über die Ukraine zum 01. Januar 2025 hat Europa seine Abhängigkeit vom LNG-Import deutlich ausgeweitet. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der gesamte europäische LNG-Import im ersten Halbjahr um 24 Prozent. Größter Lieferant sind inzwischen die Vereinigten Staaten: Ihre Exporte nach Europa legten im selben Zeitraum um 46 Prozent zu. Damit kamen 57 Prozent des in der EU importierten LNGs in der ersten Jahreshälfte aus den USA.

Die neue Struktur des europäischen Energiemarkts verdeutlicht eine Verschiebung der Abhängigkeit: weg von russischen Pipelines, hin zu US-amerikanischen LNG-Tankern.

Deutschland spielt bei der europäischen LNG-Infrastruktur eine zentrale Rolle. Der Rückgang geplanter Terminalprojekte, etwa in Wilhelmshaven und Stade, spiegelt das Überangebot an Kapazitäten wider. Während Berlin weiterhin auf Energieautarkie und Versorgungssicherheit setzt, zeigen die Zahlen, dass der tatsächliche Verbrauch und die Gasnachfrage sinken.

Die verstärkte Abhängigkeit von US-Lieferungen birgt wirtschaftliche Risiken: Verträge sind oft langfristig und an hohe Preisbindungen gekoppelt. Sollte die Nachfrage weiter fallen, drohen Milliardenverluste für Betreiber und Steuerzahler. Gleichzeitig zeigt der Anstieg russischer LNG-Importe, dass Sanktionspolitik und Marktrealität auseinanderdriften.

Heuchelei in Brüssel?

Der Bericht offenbart ein Paradoxon: Während Europa Russland politisch isolieren will, finanziert es Moskau weiterhin über den Einkauf von LNG. Frankreich und Belgien fungieren als zentrale Umschlagpunkte für russische Lieferungen. Auch für Drittländer innerhalb der EU.

Die USA haben sich als dominanter Energielieferant Europas etabliert und nutzen die geopolitische Lage, um ihren Einfluss auf den europäischen Energiemarkt auszuweiten. Damit wird Energie zunehmend zum Hebel transatlantischer Abhängigkeit, während die EU strategisch zwischen Sanktionsrhetorik und Versorgungszwang laviert. Langfristig droht Europa, zwischen den Interessen Washingtons und den Energieressourcen Moskaus zerrieben zu werden. Der Grund scheint banal für ein solches Staatengebilde: Es hat keine eigene, kohärente Energiepolitik. Sprich: Trotz Sanktionen fließt russisches Gas in liquider Form weiter nach Europa.Die EU steht vor einem Energie-Dilemma: Sie baut überdimensionierte LNG-Kapazitäten auf, während der Verbrauch sinkt, und verschiebt ihre Abhängigkeit von Russland hin zu den USA. Der Bericht der IEEFA legt offen, dass Europas Energiepolitik zwischen Symbolik und Realismus zerrissen ist und wirtschaftlich wie geopolitisch einen hohen Preis zahlen könnte.

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Marius Vaitiekūnas

Zum Autor:

Marius Vaitiekūnas ist ein ausgewiesener Experte für Geopolitik und internationale Wirtschaftsverflechtungen. Geboren 1985 in Kaunas, Litauen, schreibt er als freier Autor regelmäßig für verschiedene europäische Medien über die geopolitischen Auswirkungen internationaler Konflikte, wirtschaftlicher Machtverschiebungen und sicherheitspolitischer Entwicklungen. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die globale Energiepolitik und die sicherheitspolitischen Dynamiken im osteuropäischen Raum.

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