Politik

Insolvenzverwalter erwarten große Pleitewelle in Deutschland

Der Pleitegeier kreist über Einzelhändlern, Hotels, Fluggesellschaften und sogar Großkonzernen - aber eine Branche boomt. Nach mageren Jahren bekommen Deutschlands Insolvenzverwalter viele neue Aufträge.
23.04.2020 14:05
Lesezeit: 3 min

Von Roland Losch, dpa

Air-Berlin-Insolvenzverwalter Lucas Flöther erwartet bald eine Flut von Pleiten aufgrund der Corona-Krise. Nur ob sie schon im Herbst oder erst nächstes Jahr kommt, sei noch offen: «Die Bugwelle baut sich gerade auf», sagte er am Mittwochabend in einer Videokonferenz des Münchner Clubs Wirtschaftspresse. Über diese Gefahr hatten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten bereits Anfang März berichtet.

Karstadt Kaufhof, die Restaurantketten Vapiano und Maredo, das Modeunternehmen Hallhuber und die Stadthalle Bonn-Bad Godesberg waren im April erste prominente Opfer, die Insolvenz anmelden oder unter einen Schutzschirm flüchten mussten. Im Tourismus, in der Luftfahrtbranche seien nicht nur die Einnahmen jetzt komplett weggebrochen - ihre Welt werde auch nach der Krise anders sein: «Ich glaube nicht, dass man noch für 23 Euro nach Mallorca fliegt. Keiner fliegt mehr für ein zweistündiges Meeting von Berlin nach Frankfurt», sagte der Sprecher des «Gravenbrucher Kreises» der führenden Insolvenzverwalter. Flöther ist auch gerichtlich bestellter Sachwalter des angeschlagenen Ferienfliegers Condor.

Unter den Autozulieferern habe es wegen der E-Mobilität schon vor der Corona-Krise «Zombies» gegeben. Im Einzelhandel hätten die Ladenschließungen «die Amazonisierung mit einem Turbo versehen». Auch Gastgewerbe, Messebetreiber, Kinos und die Kulturbranche dürften stark von Insolvenzen betroffen sein, sagte der Professor.

Laut Gesetz muss jeder Unternehmer bei drohender Zahlungsunfähigkeit sofort beim Amtsgericht Insolvenz anmelden - zum Schutz aller Vertragspartner und des ganzen Marktes «vor Unternehmens-Zombies, die den Wettbewerb verzerren und andere mit in den Abgrund ziehen», so Flöther. Die Bundesregierung hat die Antragspflicht jedoch für viele Unternehmen bis Ende September ausgesetzt. Für viele angeschlagene Firmen sei das allerdings «nur eine Beruhigungspille», zitiert die dpa Flöther. «Die Gefahr des Hinauszögerns besteht auf jeden Fall.»

Oft besser wäre sofort ein Schutzschirmverfahren - ein Insolvenzverfahren light für noch zahlungs- und sanierungsfähige Firmen. Ein gerichtlich bestellter Rechtsanwalt kontrolliert dann den Vorstand, aber das Unternehmen ist drei Monate lang vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt, die Löhne werden von der Agentur für Arbeit bezahlt. «Da gibt es einen Schuldenschnitt, da kann man auch langfristige Mietverträge und Arbeitsverhältnisse beenden. Das sind echte Restrukturierungswerkzeuge», sagte Flöther. Es sei wie beim Zahnarzt: Schmerzhaft - aber je früher, desto besser. Anfang April führten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten aus, dass auch Großkonzerne in die finanzielle Schieflage geraten sind.

Sonst dürfte für viele eben ein paar «Monate später das böse Erwachen kommen, weil die Bank keine weiteren Kredite mehr gibt». Denn die Banken stünden auch bei Staatsbürgschaften nicht nur weiterhin mit eigenem Geld im Feuer, sie könnten sich mit Darlehen sogar strafbar machen, wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung.

Professor Volker Römermann, Leiter des Instituts für Insolvenzrecht in Hannover, hatte bereits vor einem Bumerangeffekt gewarnt. Die Hilfen «werde manche retten, aber viele noch tiefer in den Strudel reißen».

Die Zahl der Insolvenzen war seit Jahren rückläufig. Laut Statistischem Bundesamt meldeten im vergangen Jahr nur noch 18 749 Unternehmen Insolvenz an, drei Prozent weniger als im Vorjahr. «Das waren magere Jahre für Insolvenzverwalter. Viele Kanzleien gingen vom Markt», sagte Flöther. Trotzdem seien noch genug da, um die Pleitewelle zu bewältigen: «Wir haben genügend Intensivbetten.»

Was ein Insolvenzverwalter verdient, entscheidet das Gericht und bleibt meist geheim. Mit annähernd 500 Millionen Euro, dem bislang höchsten Honorar in Deutschland, hatte Michael Frege, Insolvenzverwalter der deutschen Lehman-Brothers-Tochter, nach der Finanzkrise Schlagzeilen gemacht. Dafür hatte er aber auch neun Jahre lang über 100 Anwälte und Wirtschaftsprüfer samt einem Heer von Mitarbeitern beschäftigt und für die Gläubiger sämtliche Außenstände eingetrieben: 17 Milliarden Euro.

Die Corona-Krise sei noch schlimmer als die Finanzkrise, weil sie die gesamte Wirtschaft erfasse, sagte Flöther. Trotzdem seien jetzt keine goldenen Zeiten für die Insolvenzverwalter angebrochen. Denn nach Rettern, nach Investoren könnten sie jetzt lange suchen. Bei Condor ist die polnische Fluglinie Lot soeben wieder abgesprungen. «Zum Beispiel ein Hotel im Harz, wer kauft das? Kein Mensch!»

Und wenn Hedgefonds oder chinesische Investoren auf günstige Angebote lauern, Stichwort «Ausverkauf des deutschen Mittelstandes»? Sachwalter wie Insolvenzverwalter müssten immer zugunsten der Gläubiger entscheiden, nicht im Interesse des Unternehmens oder der Arbeitsplätze, betonte Flöther.

Die Insolvenzantrags-Pflicht werde vielleicht noch bis März ausgesetzt. Spätestens danach würden «die kranken Tiere sterben und aufgefressen». Schon heute zweifelten Unternehmen häufiger an der Zahlungsfähigkeit anderer und arbeiteten nur noch gegen Vorkasse. Leider könnten auch Gesellschafter maroder Firmen in der Frist noch «haftungsfrei ihre Schäfchen ins Trockene bringen», zum Nachteil der Gläubiger.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

 

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz
21.11.2025

Mithilfe KI-basierter Datengenerierung verlagert das Start-up DentalTwin die Zahnprothetik ins Digitale. Das dürfte nicht nur Praxen und...

DWN
Politik
Politik EU lockert Datenschutz: Digitaler Omnibus reformiert Regeln für KI
21.11.2025

Europa steht bei der Digitalpolitik vor einem Wendepunkt, an dem Wettbewerbsfähigkeit und Schutz von Bürgerrechten neu austariert werden....

DWN
Politik
Politik Trump und die Epstein-Akten: Verbindungen zu Politik und Tech-Elite offengelegt
21.11.2025

Mit jeder neuen Aktenveröffentlichung im Fall Jeffrey Epstein treten weitere Verbindungen zwischen politischen Entscheidern, Finanzeliten...

DWN
Panorama
Panorama Gewalt gegen Frauen in den eigenen vier Wänden nimmt zu: Justizministerin kündigt Reformen an
21.11.2025

Häusliche Gewalt trifft überwiegend Frauen – und die Zahlen steigen. Nach der Einführung der Fußfessel plant Justizministerin Hubig...

DWN
Politik
Politik Schwarzarbeit bekämpfen: Sozialschutz für Paketboten soll dauerhaft gewährleistet werden
21.11.2025

Der Schutz von Paketboten vor Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung wird dauerhaft gestärkt: Der Bundesrat hat die Verlängerung der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelsriesen setzen Verbraucher unter Druck – Gutachten kritisiert Marktmacht
21.11.2025

Steigende Lebensmittelpreise sorgen bei vielen Verbrauchern für Unmut – und laut einem aktuellen Gutachten der Monopolkommission liegt...

DWN
Politik
Politik Klimagipfel unter Druck: Deutschland fordert ambitioniertere Ziele
21.11.2025

Die Gespräche auf der Weltklimakonferenz befinden sich in einer entscheidenden Phase – doch aus Sicht des deutschen Umweltministers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mobilitätsstudie zeigt Wandel: Autos stehen öfter still – Fußverkehr gewinnt an Bedeutung
21.11.2025

Eine neue bundesweite Mobilitätsstudie legt offen, wie sich das Verkehrsverhalten der Menschen in Deutschland verändert. Zwar bleibt das...