Die Menschheit steht auf Grund der Vierten Industriellen Revolution an der Schwelle zu einer Neuordnung der globalen Beziehungen, der Volkswirtschaften und der gesellschaftlichen Prioritäten. Da der Übergang in die neue Gesellschaft mit heftigen Turbulenzen verbunden sein wird, sollte man ihn nicht schrittweise und über einen längeren Zeitraum, sondern ruckartig und so schnell wie möglich vollziehen.
So lautet in verkürzter Form die Forderung, die sich das alljährlich im Schweizer Skiort Davos tagende World Economic Forum (WEF) in diesem Jahr auf die Fahnen geschrieben hat, und dessen Umsetzung es mit ganzer Kraft vorantreibt.
WEF – Treffen der Reichen und Mächtigen
Das WEF ist 1971 vom deutschen Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab gegründet worden und versteht sich nach eigener Aussage als die weltweit führende Organisation für öffentlich-private Zusammenarbeit. In den vergangenen fünfzig Jahren hat es sich zu einem der wichtigsten Treffen der internationalen Eliten entwickelt.
In jedem Januar kommen bis zu dreitausend Vertreter der größten Wirtschafts- und Finanzkonzerne, Regierungs-Chefs, Multi-Milliardäre, Zentralbanker, Gewerkschaftsführer und Journalisten in den Schweizer Bergen zusammen, um Kontakte zu knüpfen, über zukünftige globale Strategien zu diskutieren und Allianzen zu bilden.
Für 2021 ist ein „Zwillingsgipfel“ aus persönlichen und virtuellen Begegnungen unter dem Leitmotiv „The Great Reset“ (zu Deutsch: der große Neustart) angekündigt. Zentrales Thema der Veranstaltung, deren Schirmherr Prinz Charles sein wird, sind die Folgen der Vierten Industriellen Revolution, insbesondere die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der Einsatz von Robotern in der Arbeitswelt.
Glaubt man den Aussagen der Repräsentanten des WEF, dann besteht das Ziel des Great Reset darin, „den Zustand der Welt zu verbessern“ und „das System für die Nach-Corona-Zeit zu gestalten“. Ein auf YouTube geposteter Werbefilm erweckt den Eindruck, man könne die gegenwärtige Welt, die als Ort chaotischer sozialer Zustände, brutaler Gewalt und rücksichtsloser Umweltzerstörung dargestellt wird, per Knopfdruck in ein soziales, ökologisches und wirtschaftliches Paradies verwandeln.
Ungeachtet der plakativen Darstellung der aktuellen Weltlage sagt der Film doch einiges über ihre Einschätzung durch das WEF aus. Offensichtlich sieht es die Welt in einem höchst instabilen, von Chaos und Gewalt bedrohten Zustand. Ein Schaubild verdeutlicht zudem, welche aktuellen Probleme neben anderen für besonders wichtig erachtet werden: das globale Finanzsystem, 5G, Blockchain, die digitale Identität, Drohnen, Impfungen und 3D-Drucker.
Das Ziel des WEF: die Erhaltung der bestehenden Machtverhältnisse
Nach Aussage des WEF-Gründers Schwab bietet die Covid-19-Pandemie ein „seltenes, aber enges Fenster der Gelegenheit..., unsere Welt zu reflektieren, neu zu überdenken und neu zu gestalten". Wie diese Gestaltung im Einzelnen aussehen soll, sagt er allerdings genauso wenig wie die anderen in den Videos des WEF zum Thema „Great Reset“ auftretenden Persönlichkeiten, darunter UN-Generalsekretär António Guterres, Prinz Charles oder Kristalina Georgiewa, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Das ist allerdings auch nicht nötig, denn sowohl die Personen und Organisationen, die der WEF zu Worte kommen lässt, als auch die Adressaten, an die er sich wendet und die er in den Great Reset einbinden will, sind genau diejenigen, die die Welt in den gegenwärtigen Zustand geführt und darüber hinaus von ihrem Niedergang profitiert haben.
Die vor uns liegenden Probleme in Zusammenarbeit mit ihren Verursachern bewältigen zu wollen, kann nur eines heißen: Das WEF möchte den Eliten helfen, ihre Macht und ihr Vermögen möglichst unbeschadet durch die kommenden Turbulenzen hindurchzubringen. Das allerdings wird nicht einfach sein, denn vor uns liegt ein wirtschaftlicher und finanzieller Tsunami, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.
Die Weltlage ist so unsicher wie noch nie
Das globale Finanzsystem hat bereits mehrere Beinahe-Zusammenbrüche hinter sich. Seit der Krise von 2007/08 wurde es mittels Zinssenkungen und Geldschöpfung durch die Zentralbanken künstlich am Leben erhalten. Da das Geld nicht in die Realwirtschaft, sondern großenteils in die Finanzmärkte wanderte, kam es bei schleppender Wirtschaftserholung zu einem zwölfjährigen Boom an den Finanzmärkten.
Ende 2019 jedoch zeichnete sich ab, dass sich eine Rezession nicht länger vermeiden ließ. Als es im März 2020 dann nach dem Einbruch der Erdölpreise zu einem Crash an den Aktienmärkten kam, konnten die Zentralbanken den System-Absturz nur noch dadurch verhindern, dass sie die Zinsen bis auf null senkten und Billionen an Dollars und Euros in die Märkte pumpten.
Da der Löwenanteil dieser Billionen wieder in die Finanzmärkte geflossen ist, haben wir es zurzeit mit einer historisch nie dagewesenen Situation zu tun: Die Welt befindet sich in der schwersten Rezession der Neuzeit, während die Finanzmärkte gleichzeitig boomen. In den USA zum Beispiel hat der mehr als dreißigprozentige Wirtschaftseinbruch im zweiten Quartal 2020 den New Yorker Aktienindex Dow Jones nicht daran gehindert, im August 2020 das beste Ergebnis seit 34 Jahren zu erzielen.
Dieser Aufwärtstrend hat aber einen entscheidenden Haken: Er hängt an ganzen sechs Unternehmen, deren Kurse in den vergangenen acht Monaten vor allem auf Grund des Lockdowns explodiert sind. So hat der Aktienkurs von Alphabet (das Mutterunternehmen von Google) in dieser Zeit um 17 Prozent, der von Microsoft um 38 Prozent und der von Facebook um 45 Prozent zugenommen. Netflix hat es auf 66, Apple auf 68,5 und Amazon auf 81 Prozent gebracht.
Zudem sind auf Grund des Booms immer mehr Neulinge in die Märkte eingestiegen, die derzeit einfach nur der Meute folgen. Gleichzeitig ziehen sich professionelle Investoren seit einiger Zeit aus den Märkten zurück, während der Goldpreis als Indikator für Unsicherheiten im System kontinuierlich steigt. Zusammen mit der Tatsache, dass die Zentralbanken die Zinsen kaum weiter senken können, ohne das Bankensystem von innen her zu zerstören, zeigt diese Gemengelage, wie überaus heikel die Situation der Finanzmärkte derzeit ist.
Hinzu kommt der gigantische Schuldenberg, den die Welt in den vergangenen Jahren angehäuft hat und der im Gefolge des Lockdowns weiter gewachsen ist. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen leben nicht nur von der Hand in den Mund, sondern müssen zur Deckung ihrer Altschulden neue Schulden aufnehmen und befinden sich damit in einer tödlichen Abwärtsspirale.
Die wiederum zieht ein gewaltiges Problem für die Banken nach sich, denn sie sitzen auf einem riesigen Berg fauler Kredite. Darüber hinaus haben sowohl die Großbanken als auch die großen Hedgefonds ein weiteres Riesenproblem - die Derivate. Die Turbulenzen der vergangenen Monate dürften in diesem größten und undurchsichtigsten Bereich des Finanzsektors erhebliche Schäden angerichtet haben und zwingen viele Finanzinstitute, zum Ausgleich der erlittenen Verluste immer riskantere Wetten einzugehen.
Das Problem der explodierenden Arbeitslosigkeit
Zu dieser enormen Ballung von Problemen kommt aber noch eines hinzu, das das Fass sehr wahrscheinlich zum Überlaufen bringen wird: Uns erwartet eine gigantische Welle von Arbeitsplatzverlusten. Zum einen werden viele der aktuell Arbeitslosen nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, da ihre Unternehmen wegen der Folgen des Lockdowns zahllose Stellen werden streichen müssen. Zum anderen aber steht auf Grund der Roboterisierung und des Einsatzes der Künstlichen Intelligenz im Arbeitsleben ohnehin eine Entlassungswelle bevor, die alles, was die Welt je gesehen hat, in den Schatten stellen wird.
Ob Home-Office, Home-Schooling, selbstfahrende Autos oder der Einsatz von 3D-Druckern in der Produktion, der große Teile der weltweiten Logistik überflüssig machen wird – die komplette Umstrukturierung der produzierenden und der dienstleistenden Wirtschaft schreitet mit Riesenschritten voran und lässt sich nicht mehr aufhalten. Das aber wird die Staaten wegen der rückläufigen Steuereinnahmen und der steigenden Sozialausgaben immer weiter in den Bankrott treiben.
All diese Entwicklungen zusammengenommen bedeuten nichts anderes, als dass das gegenwärtige System den Herausforderungen der Zukunft in keiner Weise gewachsen ist und dass es grundlegend neuer Ansätze bedürfte, um sowohl weitere wirtschaftliche und finanzielle als auch soziale Katastrophen zu verhindern.
Wer unter diesen Bedingungen in Zusammenarbeit mit den bisherigen Machthabern eine Schocktherapie mittels des „Great Reset“ propagiert, spielt im Grunde mit dem Feuer, denn die Geschichte hat mehr als einmal gezeigt, dass das Festhalten an überkommenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen im Zuge historischer Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, auf gewaltigen sozialen Widerstand stößt und zu kaum beherrschbaren sozialen Erschütterungen führt.