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Zwei-Prozent-Ziel der NATO: Mehr Waffen bedeuten nicht mehr Sicherheit

Lesezeit: 5 min
18.12.2020 15:31  Aktualisiert: 18.12.2020 15:31
Eine Erhöhung des deutschen Verteidigungs-Etats käme der Waffen-Industrie zugute - aber nicht der Sicherheit Europas.
Zwei-Prozent-Ziel der NATO: Mehr Waffen bedeuten nicht mehr Sicherheit
Offiziell gibt Deutschland pro Sekunde 1.430 Euro für sein Militär aus - in Wahrheit sind es noch mehr. (Foto: dpa)

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Die USA kritisieren Deutschland dafür, nicht genug für den NATO-Rüstungsetat auszugeben. Dabei steigen die deutschen Rüstungsausgaben seit Jahren. Doch das Geld versandet in teuren Waffenentwicklungen, statt es für kluge Sicherheitskonzepte auszugeben. Davon profitiert in erster Linie die Rüstungs-Industrie, ohne dass sich die Sicherheitlage Europas dadurch merklich verbessert.

Aus Washington kam in den letzten Jahren immer wieder die Kritik, Deutschland würde nicht genug für die NATO zahlen. Festgemacht wird die Kritik am Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses, nach dem jeder Mitgliedsstaat dazu angehalten ist, mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Rüstung auszugeben. Der Vorwurf der Amerikaner lautet, Deutschland (das derzeit bei 1,5 Prozent liegt), würde seinen fairen Anteil an den europäischen Sicherheitskosten nicht tragen. Unter Präsident Trump gipfelte die Kritik im Beschluss, 12.000 US-Soldaten aus der Bundesrepublik abzuziehen. Auch wenn unter dem neuen Präsidenten Joe Biden damit zu rechnen ist, das diese Entscheidung revidiert wird, bleibt die Kritik an den Militärausgaben weiter im Raum stehen.

USA wollen Kosten senken, aber Kontrolle und Einfluss behalten

Die USA geben dieses Jahr rund 750 Milliarden Dollar für ihr Militär aus – und damit mehr als die folgenden zwölf Staaten zusammen (wovon zehn Staaten Verbündete der USA sind). Gemessen an der Wirtschaftsleistung entspricht das 3,4 Prozent des amerikanischen BIP. Die hohen US-Militärausgaben rühren vor allem daher, dass die USA ein weltumspannendes Netzwerk an Militärbasen und Truppen unterhalten. Trotz der kürzlichen Schließung von Hunderten von Stützpunkten im Irak und in Afghanistan betreiben sie immer noch fast 800 Militärbasen in mehr als 70 Ländern. Großbritannien, Frankreich und Russland verfügen dagegen zusammen nur über etwa 30 ausländische Stützpunkte.

Nach einer Berechnung von Politico kostete allein die Aufrechterhaltung von Übersee-Stützpunkten und -Truppen in Nichtkriegsgebieten 85 bis 100 Milliarden Dollar, die Summe mit Stützpunkten und Truppen in Kriegsgebieten beträgt mit 160 bis 200 Milliarden Dollar rund das Doppelte (die Angaben beziehen sich auf das Haushaltsjahr 2014). Die USA leisten sich diese gigantischen Ausgaben, um ihre Hegemonie in der Welt aufrechtzuerhalten – besonders mit Hinblick auf den steigenden Einfluss Chinas. Auf Dauer sind diese hohen Militärausgaben allerdings nicht haltbar. 2014 haben sich die NATO-Länder daher auf dem Gipfel in Wales auf das Zwei-Prozent-Ziel verständigt. Es handelt sich dabei um einen Richtwert und die Selbstverpflichtung, sich diesem Wert in der nächsten Dekade (also bis 2024) anzunähern.

Die US-Regierung will ihren NATO-Beitrag dadurch senken, ohne jedoch den Einfluss auf die europäische Verteidigungspolitik oder die Kontrolle über die militärische Infrastruktur zu verlieren.

Besonders der „Flugzeugträger Deutschland“ spielt für die Amerikaner eine Schlüsselrolle. Über die US-Basis Ramstein werden Versorgungsflüge sowie Drohneneinsätze in aller Welt koordiniert. In Stuttgart befinden sich mit EUCOM und AFRICOM zwei der wichtigsten US-Kommandozentralen. Diese dienen jedoch nicht in erster Linie der Sicherheit Deutschlands, sondern der Durchsetzung amerikanischer Interessen auf der ganzen Welt.

Deutschlands Beitrag zum NATO-Rüstungsetat wächst und wächst

Durch die Kritik der USA an Deutschland entsteht das schiefe Bild, Deutschland würde sich nicht ausreichend an den NATO-Kosten beteiligen. Dabei steigt der deutsche Anteil an den NATO-Militärausgaben stetig. Während die Bundesregierung vor der eigenen Bevölkerung darum bemüht ist, die Verteidigungsausgaben kleinzureden, packt sie auf den NATO-Gipfeln auch jene Kosten auf den Tisch, die in anderen Haushaltsposten versteckt sind, wie das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (ISW) berichtet. Unter diese zusätzlichen Militärausgaben fallen unter anderem die Beteiligung an den Kosten für den Neubau des NATO-Hauptquartiers, Vorfinanzierungen für Waffenentwicklungen sowie die Beteiligung an den Kosten der Stationierung von US-Streitkräften in der Bundesrepublik in Höhe von einer Milliarde Dollar. Deutschlands Militärausgaben nach NATO-Kriterien sind dadurch etwa zehn Prozent höher als der offizielle Verteidigungsetat (2020: 45,2 Milliarden Euro. Zur Verdeutlichung: Das sind pro Tag circa 124 Millionen, pro Stunde etwas mehr als 5 Millionen, pro Minute 86.000 und pro Sekunde 1.430 Euro).

Seit 2014 sind Deutschlands Rüstungsausgaben um 50 Prozent gestiegen. Weltweit hat kein Land seine Rüstungsausgaben prozentual stärker erhöht, wie aus dem SIPRI-Jahresbericht hervorgeht. Mit rund 50 Milliarden Dollar liegt Deutschland bei den Militärausgaben innerhalb der NATO hinter den USA und Großbritannien auf Platz drei. Trotz der Pandemie und den dadurch gestiegenen Haushaltsausgaben hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer laut Tagesschau angekündigt, den Wehretat um weitere 1,3 Milliarden Euro zu erhöhen. Damit bewegt sich Deutschland im Marschtempo auf das Zwei-Prozent-Ziel zu. Die Zwischenetappe von 1,5 Prozent, die erst 2024 eingeplant war, wird schon dieses Jahr übertroffen.

Fraglich ist, wofür das Budget verwendet wird, denn bei der Bundeswehr reiht sich eine Peinlichkeit an die nächste. Angefangen um den Skandal um das defekte Sturmgewehr G36, über zu wenige einsatzbereite Panzer und Hubschrauber, bis hin zum Debakel um den Eurofighter und das Transportflugzeug A400M. Zwischenzeitlich, so Schätzungen der ZEIT, waren „30 bis 70 Prozent der Waffensysteme der Bundeswehr kaputt“. Als Hauptgrund werden – neben Personalknappheit, Mangel an Ersatzteilen und Missmanagement – vor allem die vielen Auslandseinsätze angeführt. Nach Angaben der Bundeswehr ist die deutsche Truppe derzeit in 13 Ländern auf 3 Kontinenten aktiv.

Die Frage der Mittelverwendung stellte auch ein Journalist auf der Bundespressekonferenz im Oktober 2019. „Diese Summe entspricht ja mittlerweile – bei ungefähr fünfmal längeren Landesgrenzen, die es zu verteidigen gilt – fast dem Verteidigungsbudget der Russischen Föderation. Können Sie noch einmal präzisieren, für was für Verteidigungsziele diese gestiegenen Summen dann eingesetzt werden sollen?“ Eine konkrete Antwort blieb die Sprecherin der Bundesregierung schuldig.

Eine mögliche Antwort liegt in der Entwicklung neuer Waffensysteme, für die gigantische Summen veranschlagt werden. Da wäre etwa die Entwicklung des „Kampfflugzeugsystems der Zukunft“ (Future Combat Air System – FCAS), das Deutschland zusammen mit Frankreich vorantreibt, und das laut einem SPIEGEL-Bericht mindestens 80 Milliarden bis zur Fertigstellung des ersten Kampfjets verschlingen wird. Am Ende könnte es sich um einen dreistelligen Milliardenbetrag handeln. Damit ist FCAS das teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten.

Ein weiteres Mega-Projekt dieser Art stellt der Leopard-3-Panzer dar, den Deutschland ebenfalls zusammen mit Frankreich entwickeln will. Kostenpunkt: 100 Milliarden Euro. Die Rüstungs-Unternehmen dürfte es freuen, doch für den deutschen Steuerzahler sind das schlechte Neuigkeiten. Schon jetzt zahlt jeder Bundesbürger für Militär und Rüstung 500 Euro pro Jahr. Für eine vierköpfige Familie kommen 2.000 Euro pro Jahr zusammen – Tendenz steigend.

Mehr Waffen bedeuten nicht mehr Sicherheit

Das NATO-Zwei-Prozent-Ziel ist als Messgröße überholt. Das verdeutlicht die aktuelle Pandemie mehr denn je. Deutschlands Quote (Verteidigungsausgaben am BIP) stieg durch den Einbruch der Wirtschaftsleistung von 1,4 auf 1,56 Prozent, das heißt, ohne dass die Bundeswehr dafür auch nur einen einzigen Panzer mehr kaufen könnte. Gerade die Pandemie hat offengelegt, dass das Geld an anderer Stelle dringender benötigt wird, etwa bei der Digitalisierung und Modernisierung von Schulen oder der angemessenen Bezahlung von Krankenhaus- und Pflegepersonal. „Gerade jetzt in Corona-Zeiten gilt das doppelt: Wir brauchen das Geld dringend für diejenigen, die unter der Pandemie und dem Lockdown leiden“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn von der Linkspartei.

Von steigenden Rüstungsausgaben profitieren in erster Linie die Waffenhersteller. Doch mehr Waffen sind nicht gleich mehr Sicherheit, besonders in Zeiten, in denen konventionelle Kriegsführung eine untergeordnete Rolle spielt und viele Staaten stattdessen auf hybride Kriegsführung setzen, z.B. durch Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur. Schon jetzt gibt Deutschland mehr für Rüstung aus als die Atommächte Frankreich und Russland. Trotzdem befindet sich die Bundeswehr in desolatem Zustand und die Sicherheitslage in Europa bleibt angespannt.

Die jüngsten NATO-Einsätze in Afghanistan, Irak und Libyen haben die Sicherheitslage Europas nicht gestärkt – ganz im Gegenteil. Aus dem NATO-Einsatz im Irak ist der islamische Staat (IS) erwachsen, die Einsätze in Afghanistan und Libyen haben die Migrationskrise verschärft. Die Zukunft der NATO wirkt ungewiss, was der angekündigte Truppenabzug Trumps und der schwelende Konflikt der NATO-Länder Griechenland und Türkei im Mittelmeer verdeutlichen. Eine europäische Armee mit einem europäischen Sicherheitskonzept könnte eine Lösung sein. Dadurch ließe sich die Abhängigkeit von den USA reduzieren und zugleich das Verhältnis zu Russland entspannen.

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André Jasch ist freier Wirtschafts- und Finanzjournalist und lebt in Berlin.  


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