Die Halbinsel Korea ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs in zwei Staaten geteilt, wobei die Grenze zwischen dem diktatorisch regierten Norden und dem demokratischen, am westlichen Wirtschafts- und Politikmodell orientierten Süden entlang des 38. Breitengrads verläuft. Aufgrund ihrer geographischen Lage spielt die Halbinsel in den geostrategischen Überlegungen der beiden mächtigsten Staaten der Welt – den USA und China – eine herausragende Rolle. Eine Wiedervereinigung des sozialistischen Nordens mit dem marktwirtschaftlichen organisierten Süden würde letzterem – trotz langfristig günstiger Perspektiven – kurz- und mittelfristig einen ökonomischen Kraftakt abverlangen. Darüber hinaus würde es die geopolitische Gemengelage in der gesamten Region verkomplizieren. Eine Analyse.
Die koreanische Halbinsel wird im Westen vom Gelben Meer und im Osten vom Japanischen Meer umspült. Im Norden Nordkoreas bildet der Fluss Yalu über weite Strecken die Grenze zur Volksrepublik China. Im Ersten Sino-Japanischen Krieg von 1894-95, im Russisch-Japanischen Krieg von 1904-05, im Zweiten Weltkrieg sowie im Koreakrieg war das Tal des Yalu immer wieder Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen. Dies zeigt, dass die Halbinsel aufgrund ihrer geografischen Lage von herausragender militär-strategischer Bedeutung war – und immer noch ist.
Die Tsushima-Meeresstraße trennt die Halbinsel von Japan, wobei die kürzeste Entfernung etwas über 200 Kilometer beträgt. Übers Meer drangen japanische Truppen immer wieder in Korea ein, zwischen 1910 und 1945 hielten sie das Land sogar besetzt. Im Jahr 1905 konnte die japanische Marine in der Schlacht von Tsushima die russische Flotte fast vollständig zerstören. Damals lag die Halbinsel an der Schnittstelle der Einflusssphären Japans, Chinas und Russlands. Und heute, vor dem Hintergrund des anschwellenden Konfliktes zwischen den USA und China, gerät Korea noch stärker in den Fokus der Weltmächte.
Das erklärt, warum der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump, Kim Yong-un, den diktatorischen Führer Nordkoreas, drei Mal getroffen hat. Und nach dem Gipfeltreffen der beiden Regierungs-Chefs in Singapur am 12. Juni 2018 soll Trump – halb im Spaß, halb im Ernst – gesagt haben: „Wir haben uns verliebt.“ Diese „Liebe“ dürfte in der Geografie Nordkoreas begründet liegen. Sollten die USA es nämlich fertigbringen, sich Nordkorea diplomatisch anzunähern und dadurch den chinesischen Einfluss auf Pjöngjang zu verringern, würden sie damit auch ihre Möglichkeit erhöhen, Druck auf China auszuüben. Denn Nordkorea stellt für das Reich der Mitte einen Pufferstaat dar, der dafür sorgt, dass nicht freundlich gesonnene Militäreinheiten (südkoreanische und amerikanische) nicht direkt am oben erwähnten Fluss Yalu, sondern erst weiter südlich hinter der Demarkationslinie des 38. Breitengrades stationiert sind, also weiter weg von chinesischem Territorium. Hier befinden sich die 30.000 Mann starken „United States Forces Korea“, deren offizielle Aufgabe es ist, die territoriale Integrität Südkoreas zu schützen, die inzwischen aber vor allem einen Machtfaktor im amerikanisch-chinesischen Kampf um die Vorherrschaft in der Region darstellen dürften.
Bisher waren die USA weitestgehend erfolgreich in ihrem Bestreben, den Bewegungsspielraum Chinas im Pazifik einzudämmen, und zwar einerseits durch die Einbindung Japans und Südkoreas in das amerikanische Bündnissystem, andererseits durch die Übermacht ihrer Marine. Um der amerikanischen Umklammerung entgegenzuwirken, hat China folgerichtig in den letzten Jahren viele Ressourcen in seine Seestreitkräfte investiert. Ein Blick auf die Landkarte verrät dabei, dass sich von Korea die gesamte Ostküste des Gelben Meeres kontrollieren lässt. Aus strategischen Gründen muss China also alles unternehmen, Nordkorea an sich zu binden. Eine Wiedervereinigung von Norden und Süden wäre für das Reich der Mitte außerordentlich riskant, weil zu erwarten wäre, dass ein vereinigtes Korea ein eher demokratisch und wirtschaftsliberal geprägter Staat wäre und sich so chinesischem Einfluss entzöge. Aber: Auch die USA können kein wirkliches Interesse an einem Zusammenwachsen der beiden koreanischen Staaten haben. Denn dann bestünde kein Grund mehr, amerikanisches Militär auf koreanischem Boden zu unterhalten. Aus diesem Grund ist die Existenz Kim Jong-uns, den Donald Trump vor seinen zärtlichen Sympathiebekundungen auch schon als „little rocket man“ bezeichnet hatte, für die USA eher von Vor- als von Nachteil.
Darüber hinaus schwindet der Wunsch der südkoreanischen Bevölkerung, sich mit den Nordkoreanern wieder zu vereinen, zunehmend. Der Grund dürfte vor allem ökonomischer Natur sein, denn das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beiden Staaten ist gewaltig. Zwar ist es schwierig, verlässliche Zahlen aus Nordkorea zu bekommen, doch dürfte das Pro-Kopf Einkommen der Südkoreaner das der Nordkoreaner um etwa das Dreißigfache übersteigen. Eine Wiedervereinigung würde daher einen beispiellosen Kraftakt darstellen, der aller Voraussicht nach Jahrzehnte dauern und für die Südkoreaner eine spürbare Verringerung ihres Lebensstandards mit sich bringen würde. Auf der anderen Seite verfügt Nordkorea über Bodenschätze, die der Industrie des Südens fehlen. Dazu gehören Kohle, Eisenerz, Magnesit, Grafit, Kupfer und Edelmetalle – ihr gesamter Wert wird auf über sieben Billionen Dollar geschätzt. Langfristig würden also beide Staaten, nicht nur der Norden, von einem Zusammenschluss wirtschaftlich profitieren und dadurch zwangsläufig auch ein größeres geopolitisches Gewicht in der Region erlangen. Ein Staat wäre entstanden, der eine weniger fremdbestimmte, viel selbstbewusstere Außen- und Sicherheitspolitik betreiben und als neue regionale Großmacht in der Region agieren könnte.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Großbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei:
Japan:
Saudi-Arabien:
Frankreich:
Zentralasien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509203/Zentralasien-Das-Zentrum-des-Schachbretts
Italien:
Österreich:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/511103/OEsterreich-Im-Westen-verankert-den-Blick-nach-Osten
Iran:
Indien: