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Die Sanktionen bewirken gar nichts: Deutschland finanziert mit seinen Gas-Zahlungen den Krieg in der Ukraine

Lesezeit: 7 min
13.03.2022 08:23
DWN-Kolumnist Ronald Barazon hält die Sanktionen für zahnlos.
Die Sanktionen bewirken gar nichts: Deutschland finanziert mit seinen Gas-Zahlungen den Krieg in der Ukraine
Deutschland ist und bleibt von russischem Erdgas abhängig. (Foto: dpa)

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Eine Reihe von westlichen Sanktionen gegen Russland erweisen sich kurioserweise wirksamer als die mit großem Getöse verhängten Strafmaßnahmen im Finanzbereich. Wenn die russischen Jugendlichen ihre geliebten McDonald’s-Burger nicht mehr bekommen oder vor geschlossenen IKEA-Läden stehen, dann wissen sie, dass etwas nicht stimmt. Da kann das Staatsfernsehen noch so viele Märchen über den Ukraine-Krieg verbreiten - die Tatsachen machen doch die Runde. Fakt ist, dass das Unverständnis über den Überfall auf das Brudervolk in der Ukraine allmählich wächst. Und dass sich nicht verheimlichen lässt, dass junge Russen im Krieg gefallen sind und noch viele fallen werden. Die Erklärung von Präsident Wladimir Putin, dass sie als Helden in einer national wichtigen „militärischen Sonderaktion“ ihr Leben lassen, wird als Hohn empfunden.

Für russisches Erdgas werden Milliarden bezahlt, die die Finanz-Sanktionen ausgleichen

Die Blockierung der Finanzmärkte für die russische Zentralbank, für russische Kommerzbanken, Technologie-Konzerne, Oligarchen und führende Politiker erweisen sich hingegen letztlich als zahnlos. Dafür sorgen die Milliarden, der der Westen für Gaslieferungen nach Russland überweist, in Kombination mit dem Verhalten der Spekulanten an den Börsen. Übrigens: Obwohl die Versorgung bislang klaglos funktioniert, verbreitet sich in Europa rasch die Angst, Russland würde kein Gas mehr liefern. Die Folge wäre ein Zusammenbruch der Energieversorgung der EU und insbesondere Deutschlands. Angst an den Rohstoff-Börsen löst immer eine verstärkte Nachfrage und folglich eine Preissteigerung aus, und so stiegen der Gaspreis und in diesem Sog auch gleich der Ölpreis auf historische Höchstwerte. Die Folgen spüren alle Privathaushalte und alle Unternehmen. Weltweit.

Für das wirtschaftlich extrem schwache Russland sind die Einnahmen aus dem Gas- und Öl-Export entscheidend. In Normaljahren kann das Land mit etwa 100 bis 120 Milliarden Dollar rechnen. Durch die aktuellen Spitzen-Preise an den Börsen werden die Erlöse heuer voraussichtlich auf 240 Milliarden steigen. Im Westen feiert man die Sanktionen im Finanzbereich als Maßnahmenpaket, das Russland in eine Krise treibt und die Finanzierung des Ukraine-Kriegs erschwert. Tatsächlich jedoch finanziert der Westen über die Zahlungen für Energie den maroden russischen Staat und dessen Ukraine-Krieg. Derzeit wird sogar mehr Gas geliefert und gekauft als üblich, weil aus Angst vor einer Versorgungslücke die Lager aufgefüllt werden und weil - nach Auskunft der Internationalen Energie-Agentur in Paris - die Lagerbestände vor einigen Wochen noch besonders niedrig waren und jetzt der alte Stand wieder hergestellt wird.

Bemerkung am Rande: Die Finanzierung des Krieges wird im Westen als großes Problem für Russland gesehen. Allerdings kommen die Panzer und Flugzeuge sowie das sonstige Kriegsgerät aus russischen Fabriken, und Treibstoff ist genug verfügbar. Der Sold der Soldaten ist gering und wird zudem, wie die Kriegsgefangenen in der Ukraine erzählen, nicht pünktlich gezahlt.

Einige Tage hatte Russland im Gefolge der Sanktionen Probleme beim Ölverkauf, weil die Abnehmer dachten, sie könnten anderswo einkaufen und auf diese Weise die Russen bestrafen. Der Preis für russisches ÖL sank dann auch rapide, obwohl der Marktpreis für ein Barrel Öl auf 120 Dollar hinaufgeschnellt war. Doch in dieser Situation kam die OPEC Russland zur Hilfe. Man werde nicht die Mengen ersetzen, die Russland derzeit im Westen nicht verkaufen kann, hieß es prompt aus Saudi-Arabien und aus Venezuela - also muss der Westen doch in Russland kaufen. So sind jetzt alle Anbieter vereint Nutznießer des Ukraine-Kriegs und des vermeintlichen Versorgungsproblems bei Gas und kassieren Milliarden, von denen sie bei den kürzlich noch üblichen Preisen nicht mehr zu träumen gewagt hatten.

Wofür zahlen die Deutschen seit Jahren den höchsten Strompreis der Welt?

Die Bewegungen auf den Märkten zeigen, dass die seit Jahren betriebenen Aktivitäten zur Förderung der „alternativen Energien“ großenteils Schimären waren und auch der von der EU derzeit forcierte „Green Deal“ das Produkt einer Illusion ist. Besonders die deutschen Konsumenten müssen sich als Betrogene sehen. Da zahlt man in Deutschland seit Jahren den mit Abstand höchsten Strompreis der Welt, weil mit dem Preis die teure Förderung von Wind- und Sonnen-Energie finanziert wird, und jetzt ist die Energieversorgung sogar noch schlechter abgesichert als beispielsweise im Nachbarland Frankreich. Damit nicht genug: in der krausen deutschen Energiepolitik wurde Gas forciert, das nun jedoch unerschwinglich teuer ist und direkt als Heizmaterial oder indirekt über die Stromproduktion aus Gaskraftwerken jede Energie-Rechnung belastet.

Im EU-Durchschnitt entfallen auf Gas etwa zehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs, in Deutschland liegt der Anteil bei 27 Prozent, die fast zur Gänze aus Russland stammen.

Anmerkung: Ein besonderes Kuriosum der grünen Energiepolitik sei am Rande vermerkt: Die Ökologen betonen, dass das beim Gaseinsatz frei werdende Methan sechs Mal schädlicher ist als die gleiche Menge CO2!

Die deutsche Politik glaubt beim Einsatz von Wind- und Sonnenenergie an Wunder

Bei der vor wenigen Tagen abgehaltenen Konferenz aller Energieminister Deutschlands war man sich auf Bundes- und Länderebene erstaunlicherweise einig, die bisherige Politik fortzusetzen. Vor allem wurde verkündet, dass man den Ausstieg aus der Atomenergie nicht korrigieren und den Abschied von Öl und Kohle weiter vorantreiben werde. Übersetzt heißt diese Botschaft, dass man an der Abhängigkeit von Gas nichts zu ändern gedenkt und die Augen vor der Tatsache verschließt, dass ein Ersatz der russischen Lieferungen aus anderen Quellen bestenfalls nach Jahren erreicht werden kann. Wenn also Russland jetzt nicht mehr liefert, dann gehen in Europa und vor allem in Deutschland die Lichter aus; Fabriken und Computer stehen still, und in zahllosen Haushalten kann nicht mehr geheizt, gekocht und warm geduscht werden.

Die deutsche Energiepolitik beruht auf der - leider - unerfüllbaren Hoffnung, dass immer genug Wind weht, um die Windräder zu drehen, und genug Sonne scheint, um die Solarpaneele in Gang zu halten. Und auf der Illusion, dass sich dieses von der Natur vorgegebene Wetter-Problem auf wundersame Weise löst, wenn man nur noch mehr Windräder und noch mehr Paneele installiert. Man steuert also - völlig unabhängig von möglichen russischen Störaktionen - in eine Energiekrise und kann nicht darauf bauen, dass immer ausreichend Strom aus französischen, polnischen und tschechischen Atomkraftwerken zur Verfügung stehen wird. Fakt ist: Stoppt Russland die Gaslieferungen, ist die Krise total.

Den Äußerungen des grünen Energieministers Robert Habeck war zu entnehmen, dass man da und dort den Eifer etwas drosseln, aber an den Zielen ungebrochen festhalten werde. Dies von einem prominenten Grünen zu hören, war nicht weiter verwunderlich. Wenn aber die aus der CDU kommende Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ebenfalls kein Jota von ihren grünen Plänen abweicht, wird klar, dass die grünen Thesen in Europa überall angekommen sind.

Oder? Ist man sich wirklich so sicher, dass Russland weiterhin in ausreichendem Maße liefern wird, weil Putin das Geld braucht? Wissen vielleicht alle, die so laut die Sanktionen feiern, in Wirklichkeit, dass die Gas-Milliarden die Wirkung der Sanktionen entschärfen? Wird also nur wieder einmal schlechtes politisches Theater gespielt? Oder manifestiert sich hier rundum Hilflosigkeit und Inkompetenz? Beides ist möglich, wenn man sich die Analyse der möglichen Reaktionen auf einen russischen Lieferstopp ansieht.

Die Internationale Energieagentur demonstriert die Hilflosigkeit des Westens

Die Internationale Energie Agentur IEA hat ein Zehn-Punkte-Programm erarbeitet, wie man rasch die Abhängigkeit von russischem Gas verringern und somit einem möglichen Lieferstopp die Zähne ziehen könnte. Aber: selbst wenn die zum Teil sehr optimistischen Annahmen in die Realität umgesetzt werden, wird es nicht möglich sein, die Importmengen entscheidend zu reduzieren. Bei den zehn Punkten wird brav Rücksicht auf die Grünpolitik genommen, allerdings gleichzeitig auch die Atomkraft mit einbezogen. Gesondert werden außerdem die Möglichkeiten über den Einsatz von Kohle und Öl angeführt. Aber auch mit Hilfe dieser Energieträger als Ergänzung zu den zehn Punkten könnte man den Gasimport aus Russland bestenfalls halbieren.

Bevor auf die zehn Punkte eingegangen wird, sei ein Blick auf die Dimension des Problems geworfen:

Die EU insgesamt importiert jährlich rund 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland. Diese Menge deckt 40 Prozent des gesamten Gasverbrauchs in den 27 EU-Ländern. Insgesamt entfallen in der EU zehn Prozent des Energieverbrauchs auf Gas, davon 40 Prozent aus Russland, was bedeutet, dass insgesamt nur vier Prozent von Russland abhängen (wenn auch vier Prozent nicht zu unterschätzen sind). In Deutschland ist die Lage hingegen, wie erwähnt, dramatisch.

Die von der IEA vorgeschlagenen Maßnahmen erweisen sich schon in der Planung als bescheiden:

  • Da die Gaslieferverträge mit Russland befristet sind, einige sogar bereits Ende 2022 auslaufen, wird man sie vielleicht einfach nicht verlängern und in Zukunft einfach woanders einkaufen. Nun ja: Ein ziemlich skurriler Vorschlag, da genau das Fehlen von anderen Anbietern das Hauptproblem bildet.
  • Die IEA meint, dass man mehr Gas aus Norwegen und Aserbaidschan beziehen könnte. Auch die Möglichkeiten, Flüssiggas zu importieren, seien besser als angenommen, wenn auch in der EU zu wenige Anlande-Vorrichtungen existieren und der größte Anbieter, die USA, Kapazitätsprobleme signalisiert. Dennoch sieht man in diesen Bereichen die Chance, 30 Milliarden Kubikmeter aus Russland zu ersetzen.
  • Empfohlen wird weiterhin, die Lagerhaltung zu steigern. Das geschieht derzeit gerade, wodurch allerdings die ohnehin hohen Preise zusätzlich in die Höhe getrieben werden.
  • Die Errichtung zusätzlicher Wind- und Sonnenanlagen könne weitere sechs Milliarden Kubikmeter Gas ersetzen.
  • Der Einsatz der stillgelegten Atomkraftwerke, die Beschleunigung der Fertigstellung einiger im Bau befindlicher Meiler, der Stopp der insbesondere in Deutschland betriebenen Stilllegungen würde 13 Milliarden Kubikmeter ersetzen.
  • Um die Konsumenten nicht das volle Ausmaß der Energiepreiserhöhung spüren zu lassen, sollten die zusätzlichen Gewinne der Unternehmen besteuert werden und die Erlöse in Form von Subventionen den Privathaushalten zufließen.
  • Gasthermen müssten beschleunigt durch Wärmepumpen ersetzt werden. Das würde den Ersatz von zwei Milliarden Kubikmetern Gas bewirken. Die Probleme bei der Umstellung werden in dem IEA-Papier allerdings nicht erwähnt.
  • Bessere Wärmedämmungen wären in der Lage, den Gas-Import um weitere zwei Milliarden Kubikmeter zu reduzieren. Diese Vorgabe steht seit bald vierzig Jahren auf der Tagesordnung und eröffnet wohl keine spektakulären Möglichkeiten mehr.
  • Vorletzter Vorschlag: Die Konsumenten sollen die Heizungen drosseln. Ein Grad weniger als die derzeit im Schnitt üblichen 22 Grad Raumtemperatur sollen zehn Milliarden Kubikmeter weniger Gasverbrauch ergeben.
  • In den nächsten Jahren sollten Regierungen und Elektrizitätsversorger Wege finden, um den Energieverbrauch flexibler zu gestalten. Dies sei vor allem beim Einsatz von Gas möglich und daher werde die Stromerzeugung aus Gas nach Ansicht der IEA in den kommenden Jahren noch zunehmen, auch wenn es gelingen sollte, den gesamten Gasverbrauch zu senken. Unter flexibel versteht man in der IEA, dass man private und gewerbliche Verbraucher dazu anhält, die Verbrauchsspitzen besser zu verteilen. Das mag bei bestimmten Produktionsabläufen unter Umständen möglich sein, aber die Vorstellung, dass alle EU-Bürger ihre Morgentoilette gestaffelt über den Tag verteilt vornehmen, ist doch zu skurril.

Mit den sehr gewagten Annahmen kommt man auf etwa 60 Milliarden, mit Öl und Kohle auf weitere 20 Milliarden, insgesamt also auf 80 Milliarden Kubikmeter Gas, die eingespart werden könnten. Das ist etwas mehr als die Hälfte der 155 Milliarden, die jährlich aus Russland in die EU eingeführt werden. Bleiben immer noch 75 Milliarden Kubikmeter, die man aus Russland benötigt. Wobei, wie schon gesagt, die Einsparvorschläge eher theoretischer Natur sind.

Das traurige Fazit: Die EU (und dort vor allem Deutschland) ist Russland energiepolitisch ausgeliefert und weiß nicht, wie sie sich aus dieser Falle befreien kann. Dass der Energie-Notstand in Europa nicht ausbrechen dürfte, ist dem Geldmangel der Russen zu danken - er wird wohl verhindern, dass Wladimir Putin den Gashahn zudreht. Die großspurige Behauptung, die Sanktionen würden Russland in die Knie und zur Beendigung des Ukraine-Krieges zwingen, ist angesichts der tatsächlichen Umständen alles andere als überzeugend, um nicht zu sagen, reines Wunschdenken.

Lesen Sie auch den Artikel von Anders Aslund, der eine gegenteilige Meinung vertritt:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/518065/Sanktionen-treffen-russische-Wirtschaft-hart-Wie-reagiert-das-Volk

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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