Finanzen

EZB-Umverteilung von Nord nach Süd nimmt Fahrt auf

Die EZB hat erneut viele Milliarden Euro in die hoch verschuldeten Staaten im Süden der Eurozone gepumpt. Dies geschieht auf Kosten von Deutschland und anderen Nordländern.
Autor
09.08.2022 12:14
Aktualisiert: 09.08.2022 12:14
Lesezeit: 3 min

Die Europäische Zentralbank verfolgt das erklärte Ziel, die Risikoaufschläge (Spreads) auf Anleihen von Italien, Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern der Eurozone zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, kauft sie verstärkt deren Anleihen, wozu sie die Erlöse aus dem Corona-Anleihekaufprogramm PEPP nutzt. Dies geht zu Lasten der Nordländer, also etwa von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.

Denn zwar hat die Europäischen Zentralbank ihre Nettokäufe im Rahmen von PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) bereits im März beendet. Doch immer wenn Staatsanleihen, welche die EZB einst im Rahmen von PEPP gekauft hat, fällig werden, erhält die Notenbank erhebliche Summen, die sie wieder reinvestieren kann. Doch sie reinvestiert diese Summen fast ausschließlich in Anleihen der Krisenstaaten im Süden.

Nach Berechnungen der Financial Times, die auf Daten der EZB beruhen, hat die Notenbank zwischen Juni und Juli ihren Bestand an italienischen, spanischen und griechischen Staatsanleihen mithilfe der Reinvestitionen um netto 17 Milliarden Euro aufgestockt. Zugleich hat sie ihren Bestand an deutschen, niederländischen und französischen Anleihen um 18 Milliarden Euro zurückgehen lassen.

Schuldenkrise soll verhindert werden

Die Bevorzugung der hoch verschuldeten Staaten im Süden der Eurozone bei den Reinvestitionen verdeutlicht das Bestreben der EZB, die Kreditkosten der Krisenländer in Grenzen zu halten und eine mögliche neue Schuldenkrise in der Eurozone zu verhindern. Denn die Zinswende, also die Abkehr der EZB von ihrer ein Jahrzehnt lang betriebenen lockeren Geldpolitik, trifft die Schuldenstaaten am stärksten.

Eine straffere Geldpolitik könnte die Kluft zwischen den stärksten und den schwächsten Staaten in der Eurozone vergrößern - das so genannte "Fragmentierungsrisiko". Diese Befürchtungen hatten die Differenz zwischen den Renditen zehnjähriger italienischer und deutscher Benchmark-Anleihen im Juni auf bis zu 2,4 Prozentpunkte getrieben. Ein solches Niveau war zuletzt während der Marktturbulenzen in den ersten Tagen der Pandemie im Jahr 2020 erreicht worden.

Seitdem hat sich der Abstand zwischen den Renditen zehnjähriger italienischer und deutscher Benchmark-Anleihen auf etwa 2,1 Prozentpunkte verringert, nachdem die EZB zugesagt hatte, der "Fragmentierung" entgegenzuwirken. Die EZB sagte im Juli, dass die Flexibilität beim Einsatz von PEPP-Reinvestitionen die "erste Verteidigungslinie" bei ihrem Versuch ist, die Spreads einzudämmen.

Im Juli hat die EZB erstmals seit 2011 den Leitzins angehoben hat, nachdem sie das PEPP-Programm und das schon länger laufende Anleihekaufprogramm APP (Asset Purchase Programme) beendet hatte. Zudem hat die Notenbank im Juli ein neues Transmissionsschutzinstrument (TPI, Transmission Protection Instrument) eingeführt, das eingesetzt werden soll, wenn die PEPP-Reinvestitionen nicht ausreichen, um die Spreads unter Kontrolle zu halten.

Neues Instrument kommt

Mit diesem Transmissionsschutzinstrument kann die EZB in unbegrenztem Umfang die Anleihen eines Staates kaufen, der ihrer Ansicht nach unabhängig von den wirtschaftlichen Aussichten unter dem Druck des Marktes steht. Die Anleger haben die Spreads der italienischen Anleihen aufmerksam beobachtet, um herauszufinden, wann die EZB eingreifen wird, und viele halten einen Aufschlag von 2,5 Prozentpunkte für eine wichtige Marke.

Möglicherweise gelingt es der EZB, mit der Bevorzugung der hoch verschuldeten Staaten im Süden einen Zerfall der Eurozone zu stoppen. Doch dies ändert nichts daran, dass die EZB damit die eigenen Regeln so sehr dehnt wie nie zuvor. Schon Mitte Juni, nachdem die Notenbank wiederholt bekannt gegeben hatte, dass sie gegen den Anstieg der Risikoaufschläge (Spreads) vorgehen wolle, schrieben die DWN:

"Im Rahmen der umfangreichen Anleihekäufe der EZB kauft jede Zentralbanken [bisher] Staatsanleihen ihres jeweiligen Mitgliedsstaats im Verhältnis zu den Kapitaleinlagen dieses Staaten bei der EZB. Dieses Verhältnis richtet sich wiederum nach der Größe der Bevölkerung und der Wirtschaft der Euro-Staaten. Obwohl es einige Ausnahmen gab, mussten im Laufe der Zeit alle Anleihekäufe der EZB diesem Kapitalschlüssel entsprechen.

Doch die Ankündigung der EZB vom Mittwoch zufolge dürfte sich dies nun ändern, schwer verschuldete Südstaaten wie Italien sollen gezielt bevorzugt werden. Nach Ansicht des früheren Fondsmanagers Richard Cookson ist "die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens äußerst fragwürdig", auch wenn die Regeln, nach denen die EZB ihre umfangreichen Anleihekäufe bisher durchgeführt hat, nicht per se rechtsverbindlich seien."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Wahlrecht 2025: Kleinerer Bundestag, größere Auswirkungen – Das ändert sich für Wähler und Parteien
23.02.2025

Am Wahltag selbst werden die meisten Wählerinnen und Wähler keinen Unterschied bemerken. Doch hinter den Kulissen verändert sich...

DWN
Finanzen
Finanzen ROI: Return on Investment und warum eine hohe Kapitalrendite wichtig ist
23.02.2025

Eine hohe Kapitalrendite entscheidet über den finanziellen Erfolg von Unternehmen und Investoren. Erfahren Sie, warum sie so wichtig ist...

DWN
Finanzen
Finanzen BlackRock: Die unsichtbare Macht eines Finanzgiganten
23.02.2025

BlackRock ist der weltweit größte Vermögensverwalter – doch wie groß ist sein Einfluss wirklich? Buchautor Werner Rügemer erklärt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft in der Krise – Welche Pläne haben die Parteien für Deutschland?
23.02.2025

Deutschland steckt in der Wirtschaftskrise – und die Bundestagswahl steht bevor. Wie wollen die Parteien Wachstum fördern, Steuern...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr verstärkt Heimatschutz – neue Truppe startet im März
23.02.2025

Die Bundeswehr richtet ihre Verteidigung neu aus: Mit der Heimatschutzdivision will sie kritische Infrastruktur schützen und auf mögliche...

DWN
Politik
Politik Wahlkampf 2025: CDU/CSU zwischen Neustart und Tabubruch
23.02.2025

CDU und CSU setzen auf Steuererleichterungen, das Ende des Bürgergeldes und eine härtere Migrationspolitik. Doch wie realistisch sind die...

DWN
Politik
Politik Wie wähle ich bei der Bundestagswahl? Deutschland verweigert wahlberechtigten Auslandsdeutschen ihre Stimme abzugeben
22.02.2025

Mehrere Auslandsdeutsche berichten, zu spät oder bislang noch gar keine Wahlunterlagen erhalten zu haben. Nun drohen die Stimmen dieser...

DWN
Politik
Politik Rente mit 63: Wer wirklich von der abschlagsfreien Rente profitiert
22.02.2025

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist für Menschen gedacht, die beruflich sehr stark belastet sind. Doch aktuelle DIW-Zahlen...