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China: Regierung geht mit massiver Polizeipräsenz gegen Proteste vor

Lesezeit: 3 min
29.11.2022 11:01  Aktualisiert: 29.11.2022 11:01
Chinas Staatsgewalt reagiert auf die größten Protestwelle seit Jahrzehnten mit einer Machtdemonstration. Die Demonstranten fordern seit Tagen ein Ende der rigorosen Null-Covid-Politik.
China: Regierung geht mit massiver Polizeipräsenz gegen Proteste vor
Die chinesischen Behörden gehen mit Härte gegen die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten vor und nehmen dabei gezielt Regimekritiker ins Visier. (Foto: dpa)
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Massive Polizeipräsenz hat in mehreren chinesischen Städten ein mögliches Wiederaufflammen der Proteste gegen die harte Null-Covid-Politik der Regierung verhindert. In der Hauptstadt Peking und in Metropolen wie Shanghai, Guangzhou und Hangzhou waren seit Montag verstärkt Sicherheitskräfte auf den Straßen zu sehen. Vielfach wurden Passanten angehalten, mussten sich ausweisen und ihre Handys zeigen, die auf verdächtige Inhalte oder Programme wie Tunneldienste (VPN) zur Umgehung der chinesischen Zensur untersucht wurden.

Chinas Bürger fordern ein Ende der Null-Covid-Politik

Aus Protest gegen die rigorosen Null-Covid-Maßnahmen wie Ausgangssperren, Zwangsquarantäne, Massentests und ständige Kontrolle über Corona-Apps waren am Wochenende in mehreren Städten Tausende von Menschen auf die Straßen gegangen. In Peking riefen sie „Hebt den Lockdown auf“ und „Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen Freiheit“. Es waren die größten Proteste in China seit der Demokratiebewegung, die das Militär 1989 blutig niedergeschlagen hatte.

Der Unmut im Volk hatte sich verstärkt, während die Volksrepublik die bislang größte Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren erlebt. Ein Fünftel der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt – also Hunderte Millionen Menschen – dürften landesweit von Lockdowns betroffen sein, schätzen ausländische Experten.

Nach einem stetigen Anstieg der landesweiten Infektionszahlen meldete die Gesundheitskommission am Dienstag erstmals wieder einen leichten Rückgang der täglichen Neuinfektionen auf rund 38 400 Fälle. Am Vortag war ein Höchststand von mehr als 40 000 zusätzlichen Ansteckungen gemeldet worden.

In der Hauptstadt nahm die Zahl der neuen Infektionen allerdings weiter zu und stieg auf mehr als 4300. Während Supermärkte und Markthallen zur Versorgung mit Lebensmitteln noch geöffnet haben, sind in Peking die meisten Restaurants, Schulen, Geschäfte und Büros geschlossen.

Kommunistische Partei reagiert mit Härte auf Proteste

Nach Aufrufen in sozialen Medien zu neuen Protesten am Montagabend hatte die Polizei ihre Präsenz massiv verstärkt. In der Hauptstadt wurde die Uferpromenade des Liangma-Flusses in der Nähe des Diplomatenviertels besonders gesichert, nachdem dort am Sonntagabend Hunderte demonstriert hatten.

Auch im Universitätsviertel Haidian waren überall Polizisten auf den Straßen zu sehen. In Shanghai wurde ein Großaufgebot von Sicherheitskräften um den Volksplatz mobilisiert. Ähnlich sah es an der Wulumuqi-Straße aus, wo Sperren errichtet wurden, um Menschenansammlungen wie am Wochenende zu verhindern.

Benannt ist die Straße nach der Hauptstadt der Region Xinjiang, Ürümqi (Chinesisch: Wulumuqi). Dort hatten sich am Wochenende viele Menschen versammelt, um der zehn Toten eines Wohnungsbrandes am Donnerstagabend in Ürümqi zu gedenken. Das Feuer war Auslöser der Proteste in vielen Städten, da die Menschen den Verdacht haben, dass Null-Covid-Maßnahmen die Rettung der Menschen behinderten.

In der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong versammelten sich am Montagabend an der Chinesischen Universität Dutzende Studenten und hielten ähnlich wie die Demonstranten in anderen Städten am Wochenende unbeschriebene weiße Blätter hoch, um der Opfer zu gedenken. Die weißen Blätter sind zum Symbol des Widerstandes und des Protests gegen die chinesische Zensur geworden.

Angesichts der Proteste betonten die Vereinten Nationen in New York das Recht der Menschen in China und weltweit auf freie Versammlung und Meinungsäußerung. „Wir glauben an die Bedeutung des Rechts der Menschen, sich friedlich zu versammeln und zusammenzuschließen – des Rechts, friedlich zu demonstrieren“, sagte ein UN-Sprecher. Die zuständigen Behörden seien aufgerufen, dieses Recht zu garantieren.

US-Präsident Joe Biden verfolgte nach Angaben des Weißen Hauses die Proteste. „Menschen sollten das Recht haben, sich zu versammeln und friedlich gegen politische Maßnahmen, Gesetze oder Vorschriften zu protestieren, mit denen sie nicht einverstanden sind“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby.

Regierung geht gezielt gegen Regimekritiker vor

Nach den regierungskritischen Protesten erhöht die chinesische Regierung das Tempo bei den Corona-Impfungen. So würden die Bemühungen verstärkt, die über 80-Jährigen zu immunisieren, teilte die nationale Gesundheitskommission am Dienstag mit. Gleichzeitig werde der Abstand zwischen der Grund- und der Auffrischungsimpfung auf drei Monate verkürzt.

Unter anderem sollen mobile Impfteams losgeschickt werden. Offiziellen Angaben zufolge waren im November 86,4 Prozent der über 60-Jährigen mindestens zwei Mal geimpft. Die Quote der geboosterten lag bei 68,2 Prozent. Das ist ein Anstieg von jeweils weniger als einem Prozentpunkt im Vergleich zum August.

Gleichzeitig erhöht die Regierung den Druck auf ihre Kritiker. In einem Fall sei ein Demonstrant von einem Beamten in die örtliche Polizeistation zitiert worden, um dort eine schriftliche Auflistung seiner Aktivitäten vom Sonntag abzugeben, sagten Teilnehmer der Demonstrationen vom Wochenende. In einem anderen Fall habe eine Universität einen Studenten kontaktiert und ebenfalls eine solche Liste verlangt.

„Wir löschen alle verzweifelt unsere Chat-Verläufe“, sagte ein Demonstrant der Nachrichtenagentur Reuters. Überall seien Polizisten. „Sie haben die Personalien einer Freundin aufgenommen und sie abgeführt“ Einige Stunden später sei sie wieder freigekommen. Das Pekinger Büro für öffentliche Sicherheit wollte sich dazu nicht äußern. Das chinesische Außenministerium betonte, dass Rechte und Freiheiten im Rahmen der Gesetze ausgeübt werden müssten.

In Shanghai und Peking patrouillierten Polizisten Gegenden, in denen im Messengerdienst Telegram zu Demonstrationen aufgerufen worden war. Die Polizeipräsenz am Montagabend stellte sicher, dass dort keine Versammlungen stattfanden.


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